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Bier und Beute

Ein Flohmarkthändler, der zu viele Jahre damit verbracht hatte den Menschen zu finden von dem er wußte, dass er den Verlust dieses Menschen nicht verkraften würde verriet mir - während wir kopfüber ein Sofa von einer Wohnung in eine tarsenläufig recht weit entfernte andere Wohnung transportierten, unsere Stimmen dumpf weil die Köpfe tief im Stoffthorax des monströsen Käfers steckten, den wir beide und die Couch bildeten - er habe den kategorischen Imperativ als Einziger richtig verstanden: “Handele so daß die Maxime Deines Handelns nur Dir nutzt”. Offenbar war er zu melancholisch um dieser Maxime zu folgen. Zuletzt, das ist einige Jahre her erzählte er mir im Intershop, er sei neulich in Berlin so besoffen gewesen, daß er sich im Holocaust-Denkmal verirrt habe, und das irre war da sei er einer Israelin begegnet der es ganz genauso ging… ein Schuld-Komplex als Labyrinth für einen Händler, zu dessen Geschäft das Vertrödeln von Vergangenheit gehört. Damals meinte er noch launig: “Solange ich das Talent habe wie aus dem Ei gepellt auszusehen obwohl ich mich fühle wie ein Eimer voll Kotze ist alles gut.” Ich sah ihn vor einigen Tagen wieder, morgens in der Fußgängerzone lange bevor das Marketing mit seinen Terrorkampagnen startet, um eine Uhrzeit, in der die Einkaufsmeile unbevölkert ist, bis auf die Abfalleimer. Bei jedem Abfalleimer steht ein Begleiter, der entweder darin herumwühlt oder nur diskret hinein sieht. Ein anklagendes Bild, das sich mir jeden Morgen auf meinem Weg von der Kneipe zur Arbeit bietet. Menschen, deren Scham vor ihrer Bedürftigkeit so groß ist, dass sie um Uhrzeiten in den Zweitverwertungsbehältern der Wegwerfgesellschaft kramen (was soll das sein, eine Wegwerfgesellschaft, eine die gut ist in den Wurfdisziplinen?) an denen nichts zu holen ist, weil die Entsorgungsunternehmen schon ihren Raubzug vollendet haben, nur um nicht gesehen oder gar erkannt zu werden. An einem standen zwei, die sich um eine halbvolle Bierflasche stritten. Ich erkannte den wieder, der den Kampf verlor. Und schämte mich weil ich es nicht fertig brachte ihn zu grüßen.