Brutal
“…entweder Therapie, oder Lokalverbot.”
Lloyd hatte die Geduld mit Strothmann verloren. Etwas stimmte nicht mit
dem Kerl. Seit mehreren Abenden weigerte er sich beharrlich alkoholische
Getränke zu ordern und - ein ungeheuerliches Benehmen - schlug nicht nur
angebotene Fluppen aus sondern rauchte überhaupt nicht.
Die Sorgfaltspflicht des Wirtes für seine Gäste führte zunächst zu
Säuferrückkehrgesprächen, die nichts fruchteten. Lloyd musste zu
drastischen Mitteln greifen weil das Absud einen Abstinenzler, der
seit neuestem auch nur noch vegetarische Totellini bestellte nicht
dulden konnte. Das versaute die Atmosphäre und verprellte die hart
am Rausch und am Rachenkarzinom arbeitenden Gäste, und bei der Beförderung
Strothmanns zum Stammgast war ganz klar vereinbart worden: der Stammgast
erklärt sich hiermit bis zur endgültigen Schließung des Absud oder bis zum
eigenen Dahinscheiden unwiderruflich zum Schnappsschwanz.
Lloyd war es nicht angenehm Strothmann derart den Zapfhahn auf die
Brust zu setzen, aber zum Chefsein gehören eben auch Situationen die
nicht vergnügungssteuerpflichtig sind, und er konnte es mit seinem Ethos
als Dealer nicht vereinbaren einen Gast einfach seiner Nüchternheit zu
überlassen und zuzusehen wie er sich in einen Langeweile verströmenden
Club-Mate-Trinker verwandelte, über den man nicht mal vernünftig lästern
konnte.
“…Du weißt was Lokalverbot bedeutet…”, setzte Lloyd mit erhobenem Zeigefinger
noch eins drauf: “…hier tun wir wenigstens so als könnten wir über Deine
Wortspüle lachen. Über Hertha BSE, den Hoden Hodini, den Kar-Affen und Muskat
Spielen mit Rekontra, aber draussen…”, flüsterte LLoyd eindringlich, “…draussen in
den Cafes mit Rauchverbot und 17 Chai-Teesorten, kann kein Entmenschter Deinen
Einfällen und Ausfällen irgendwas abgewinnen, soviel professionelle
Heuchelei gibts nur hier…”
Lloyds Drohung wirkte wie ein heilsamer Schock, es bedurfte keiner Absinthberatung.
Strothmann wusste das Lloyd Recht hatte. Wo sollte er Samstag Nachmittag
zur Zeit der Bolzplatz-Konstante hin? Wem konnte er zumuten seinen Überlegungen
zur Analogie von Erbschleichern und Erbforcierern wenigstens scheinbar zuzuhören?
“…der Körper…”, schloss Lloyd seinen Vortrag,”…ist ein Verstärker. Und der wird
nun mal mit Drogen betrieben.”
Strothmann nickte stumm, präsentierte zum Zeichen des Einlenkens zwei leere
Handflächen und trollte sich vom Heißen Stuhl am Katzentisch auf einen Hocker
am Tresen:
“Was darfs denn sein?”, fragte die neue Service-Kraft, eine Statistik-Studentin,
die er mit einem Gag über Tortendiagramme und Diagrammtorten angeödet hatte,
und Strothmann, bereit seine fünfte Pubertät zu erleben, war endlich wieder
eingenordet:
“Mach mir mal n Weizen und gib mir mal bitte Kleingeld für Kippen.”
“…willkommen zurück unter den Lebenden…”, prosten ihm Barbie Q und Bierko
zu, worauf hin Strothmann zu ihnen aufrückt und sich erkundigt:
“Da draussen, der Slogan gegen Kinderarbeit auf der Litfassäule, wie viel
kann ein Kind ertragen, habt ihr da nicht auch sofort gedacht wieviel
Ertrag bringt ein Kind?”
Bierko und Barbie Q sehen sich gegenseitig an und verdrehen die Augen.
Bierko fragt:
“Wenn einer mit Cotard-Syndrom deprimiert ist will er dann leben?” weil die Gegen-
frage ohne thematische Berührung zur Ausgangsfrage der radikalste und rascheste
Weg ist die Peinlichkeit zu überspielen.
Kein Zweifel, er ist wieder da, und dass er geduldet wird rührt ihn zu Tränen.
Er schwört sich - und ist zuversichtlich diesen Eid nie wieder zu brechen -
von nun an nie wieder auf Alk und Nikotin zu verzichten.