Alle Jahre bieder
“Ich dachte erst es handelt sich um eine Renaissance von Kazoos, aber das sind elektrische Zigaretten”.
Robin Sun konzentriert sich auf die Karatprüfung lupenreiner Aquavit-Pinchen. Seitdem sie eine Brille trägt ist sie kurzsichtig. Schwerhörig ist sie hingegen nur wenn der ganze Laden schreit: bedien mich! Und Kartenspieler ihr Spiel unterbrechen und zum Tresen waten müssen um sie aus ihrer Ghandi-Denker-Pose hinterm Tresen zu reissen und sich Gehör und Getränke zu verschaffen.
Bierkos Bemerkung ringt ihr jedoch ein Lächeln ab, er will ja nix bestellen. Hat noch. Robin Sun hebt den Blick von dem Aquavit-Pinchen aus hochkarätigem Fensterglas und krakeelt:
“Mann! Wenn ich Wasserpfeife rauchen will dann schnapp ich mir n Beduinen.”
“Gibts eigentlich schon eklektrische Stickis mit THC-Patronen?” fragt Bierko mit einem Seitenblick zu einem Tisch mit Wasserdampfpaffern, die alle grade in der “Dresdener Manufaktur für Dampferzeugungsgeräte” Schlange gestanden hatten, lauter hagere Erscheinungen in Pullovern, die einem frühen Ralf-König-Comic entsprungen sein könnten, damals, als der König sich noch über schwule Ökos lustig machte.
“Vielleicht haben die auch alle Asthma…”
Bierko dreht für Seitenblicke nie seinen Kopf. Ebenso wenig unterbricht er beim Trinken das Reden. Und jedes Getränk, gleich ob in der Flasche oder im Glas, hebt er lediglich mit Daumen und Zeigefinger, allerdings ohne den kleinen Finger abzuspreizen. Hat er sich abgewöhnt.
Bierko ist hier der traurige Clown des Wortspiels. Inkasso statt Picasso. Er, friedfertiger Fighter mit Betonung auf tiger…die Fröhlichkeit des Depressiven ist dadaistisch und verkopft, aber oft so lustig wie ein Kreuzworträtsel in der Times.
Ist er nicht nur schwer, sondern schwermütig weiten sich die Wortspiele zu Aphorismen, einige davon erzählt er, andere twittert er, viele behält er für sich und ihr Gewicht nimmt zu: es ist Weihnachtsmarkt und wie jedes Jahr steht da der Wagen von Fischhaus Krabbe, auf dessen Rückseite steht - Fisch gehört zum Leben. Bierko ergänzt: deshalb muss er sterben. Macht ihn traurig. Und durstig. Ist einer den er nicht erzählt. Oder twittert.
Auf dem Weg zum Absud fiel sein Schatten genau auf die Stelle eines Verkehrschildes, die “Hospital Bergmannsheil” anzeigte. No Omen no Cry.
Am selben Stand kam der gescheiterte Unternehmer vorbei und dachte: …deswegen muss er sterben. Schreib ich mir auf. Bau es irgendwo ein. Er ist glücklich, denn er hat Kleingeld für Zigaretten in der Tasche. Immer wenn er im Absud um Kleingeld für Zigaretten bittet kommt er sich vor wie ein Bettler, obwohl der Betrag ja als Auslagen auf seinem Deckel steht.
Wenn er gleich das Absud betritt wird er der erste Gast sein, jetzt ist nur Robin Sun da und das Innere des Absud ist noch eine Monade, in der es nach grade erloschenen Kerzen duftet.
Bierko kommt etwas später. Ebenso wie Kai Jahl, der wenn er betrunken ist nuschelt wie Brad Pitt in `Schweine und Diamanten`. Er wird irgendetwas äußern was so klingt wie `Gegrillte Schweineflügel`, und noch später, wenn aus einem kippenden Bataillon von Weizenbiergläsern sich Erdinger auf Robin Suns Existenzialistenpulli ergiesst wird er frohlocken: “Ist doch der Traum jedes Stammgastes. Möpse mit Pilsaroma…und ausserdem ist Frolic das englische Wort für Frohlocken.” Ist zwar Bullshit, aber man versteht jedes Wort, das heißt er ist so mit Sambuca abgefüllt dass er schon wieder nüchtern ist.
Da hat der gescheiterte Unternehmer den Laden schon wieder verlassen. Hat sich California Dreaming angehört wie ein alkoholisierter Maurer einen Deutschen Schlager, und hat nicht die geringste Ahnung was der Vergleich soll. Er ist doch nur noch Gast hier weil es hier egal ist ob er riecht wie ein lange nicht gelüftetes Zimmer, ist halt ne lange nicht gelüftete Kneipe.
Das Letzte was er mitnimmt ist ein Kommentar von Bierko zu einer Werbung für Haarfärbemittel: Männer färben nicht, sie tunen. “Männer haben keine Depressionen sondern Burnout”. In einer Fensterscheibe spiegelt sich der Blinker eines Rechtsabbiegers im Rhythmus eines Mundharmonika-Stoß- und Schoßgebetes.
Lloyds Diagnose über seinen abwesenden Stammgast:
“Ja, Alter, da kommst Du halt irgendwann in dieses Stadium wo Dir klar wird Deine Schulden sind nicht Ausdruck Deines jugendlichen Überschwangs sondern Ergebnis Deines Lebens.”
Warum bloß haben wir uns verloren statt uns zu gewinnen?
“Warst Du eigentlich schon auf dem Weihnachtsmarkt?” fragt der Mann mit Prinzipien Becks Benny.
Der sagt “ja” und überlegt, ob der Titel dieser Bieroglyphe gelungen genug ist um ihn zum Besten zu geben.
Wie immer wenn er unschlüssig ist steckt er sich eine Zigarette ins Gesicht, unnötig zu erwähnen dass er Kette raucht. “Demnächst”, unkt er, “gibts E-Garetten von Gerolstein.”
Er geniesst seine subtile Verachtung beim No-Look-Sinnieren über das Parzett asthmakranker Kazoonisten. So fühlt sich Helmut Schmidt inmitten von lauter Feiglingen, die nicht rauchen.