Der Tod und das Bierchen
“Hab beschlossen meine Ernährung umzustellen. Olivia, mach mir mal n Alt.”
Die Männer-wie-Bier, in deren Besitz die `Rutsche`war, gaben sich gegenseitig
Frauennamen, in Anlehnung an Full-Metal-Jackett und Scrubs. Olivia heißt
eigentlich Ole und assistiert:
“Na dann empfehle ich dazu nen Obstler, damit die Vitamine auch stimmen.”
“Gekauft!”, deklamiert Doc Strothmann, und pfeffert sich aus einer illuminierten
Glaskaraffe halbierte Erdnüsse ins Maul wie andere Leute Aspirin.
“Aber trink nicht wieder die Karaffe aus”, warnt ihn Ole, der mal fasziniert zugesehen
hatte wie Strothmann eine Karaffe Peanuts auf Ex kippte, allerdings einige Zeit später
die im Grün des Wahnsinns am Ende des Lebens gestrichenen Kacheln der Herren-
toillette mit Garben aus halb fermentierten Hülsenfrüchten beschoss, was die
bis dato größte Schweinerei erzeugte, die Ole in seiner gastronomischen Karriere
entsorgt hatte, inklusive der Agoniehinterlassenschaften zweier Zecher, die innerhalb
eines Abends reanimiert werden mussten, wobei sich der Notarzt beim zweiten Anruf
nur entrüstete:
`Sagen Sie mal, wollen Sie mich verarschen? Was geben Sie den Leuten denn in die
Getränke?`, woraufhin ihm rausgerutscht war: `Betriebsgeheimnis`.
“…sach mal ehrlich…”, insistiert Ole im vorgebeugten Flüsterton, da Tod ein Thema
ist über das man aus Furcht man könne ihn heraufbeschwören selbst in Abwesenheit
sonstiger Zuhörer nur hinter vorgehaltener Hand spricht: “…da kommste doch echt ins
Nachdenken ob Du nicht an Deinem Leben was grundsätzlich änderst und kommst
dann zu dem Schluß: wenn es Dich ohnehin jederzeit erwischen kann dann heidewitzka,
hoch die Tassen. Auf Dein Wohl.”
Zwei gläserne Särge mit Birnen- und Himbeergeist klirren aneinander, Geister die stets
bejahen stürzen in lebendige Schlünde, brennen sich ihren Weg die Mundschleimhöhlen
und die Speiseröhren entlang, zünden in vom ulkigen Ulcus gereizten Mägen als
kleine Wärmetode.
“Hab ich der Dämonenelfe zu erklären versucht”, hakt der Trinker sich behaglich
beim Dealer ein, “die unkte, ich wüßte mal gerne wie Du bist ohne Alkohol. Du
weißt schon dass Alkohol die Persönlichkeit verändert? Und ich sach so dass ist
doch verdammt nochmal der Sinn der Sache.”
Säufer und Schankwirt verschränken sich zu einem verschwörerischen Vexierbild.
In der Zweisamkeit der Doppelkornfelder sind sie alterslos, taub gegen die Bedrängnisse
und den Terror zielgruppenspezifischer Anreden, die in die emotionalen Lücken
sickern, welche der selbst verschuldete Mangel an Zuwendung in ihre Psychen riss.
Im Alltag erdrückt von der erbarmungslosen Umgebung von Leuten die alles richtig
machen verschaffen sie sich Luft durch uneingeschränkte Rechthaberei.
Das weiße Rauschen fließenden Wassers aus der Spüle, das gelegentliche Klickern
einer Eiswürfelmaschine erlauben ein rhythmisches Gleiten des Siginifi-Katers unter
den Signifi-Kanten.
Der reibungslose Flow des Dialogs wird gewährleistet durch ein Höchstmaß an
zwischenmenschlicher Distanz, es ist klamm im Schankraum, passend zur sozialen Kälte,
die Friktionsverluste im Prozess wechselseitiger Selbstüberhöhung minimiert, der
durch telepathologische Supraleitungen optimiert wird, deren Energie als schwaches
Glasfieberleuchten in den irrwitzigen, einander zugewandten Antlitzen
(…ein Wendehals…) des Januskopfes sichtbar wird, keine großen Leuchten,
in Abwesenheit von Erwachsenen, die ihnen den Vogel zeigen, jedoch extrem von
sich überzeugte.
Allmählich füllt sich der Laden mit Gästen, voll wird nicht nur der Laden,
sondern auch der Doppelkopf aus Anbieter und Abnehmer. Sie profitieren von der
abstumpfenden Wirkung des Alkohols, die sich darin äußert dass ihnen
trotz zunehmender Packungsdichte an Besuchern deren Anliegen und Bedürfnisse
nicht auf die Pelle rücken, so als erhöhe sich stetig der Betrag an Energie der
aufgebracht werden müsste damit zumindest die Aufmerksamkeit des Mundschenks
erregt wird. Das erzeugt vielleicht den einen oder anderen aufgebrachten Kunden,
der dünnhäutig auf Dickfelligkeit reagiert, aber wen kümmerts.
Doc Strothmann hat ein Mettbrötchen verzehrt, das ihm ein Quartett aus Rechtsver-
drehern gestiftet hat, die sich rund um einen bassgeigenförmigen Tisch im Rückraum
der Pinte versammelt haben um die Promotion eines Kollegen zu feiern, dessen Arbeit
sich mit “Rechtsfolgen der gesetzlichen Verordnung zur Größenreduzierung von
Zielobjekten bei Schützenfesten” befasst. Magna Cum Laudanum-prämiert.
In ihrer Mitte ein rüschenverziertes Tablett voller Böötchen, deren Fracht aus
rohem, gepfefferten Hackfleisch besteht. Mettastasen, denkt Strothmann, und Nuss-
schalen - was mit einer formalen Ähnlichkeit der halbierten Brötchen und Erdnüsse
hinsichtlich Kontur und Farbe zusammen hängen mag.
“…das Universum…”, nuschelt er mit Zwiebelraspeln zwischen den Zähnen, “zwingt
einen eben nicht ein definiertes Quantum an Bier zu trinken, wenn man indes Bier
trinkt muß man ein bestimmtes Quantum bestellen und bezahlen unabhängig davon
ob man es austrinkt oder nicht…das Universum ist ein Kapitalist”.
“…na in diesem Sinne nehmen wir doch noch ein Quantum Prost, was ist, bist dabei?”
Die zunehmende Schalldichte ist willkommen, nun müssen die beiden nicht mehr
flüstern, unterhalten sich in Zimmerlautstärke, die ein Wispern im Gegröhle ist,
nur füreinander bestimmte Sender und Empfänger zu hören, so jedenfalls fühlt es sich
an im geteilten Promillekokon.
Ole koppelt Hände aus der Kommunikation ab, zapft ohne hin zu sehen Bierbatterien,
seine `Perle`, deren Kommen er nicht bemerkt hat (merk ich nie, haha), deren geschäftige
Anwesenheit er jedoch voraussetzt schmeißt derweil den Laden seit bestimmt
drei Stunden.
Jetzt wo sie geschützt sind durch das Dickicht des Publikums, die Interferenzen der
Stammtischgespräche von Laufkundschaft auf Stehplätzen, zwischen deren
schwankenden Landganggestalten das `Schwedenrätsel` wie Ole seine Partnerin
nennt hin- und her wuselt wie zwischen Slalomstangen, müssen sie nicht mehr
wie zwei griechisch-römische Ringer ihre Köpfe zusammen stecken, können in
Gesprächspausen ruhig den Blick über die im Raum schaukelnden Köpfe schweifen lassen.
Ole sieht wie immer fasziniert seinem Rätsel zu, er weiß nicht wie sie das mit den Gästen
macht, aber während er nur seine Stammkunden am Tresen in Kauflaune hält verscherbelt
sie die trinkbaren Schadstoffe in rauhen Mengen an Menschen die er hier noch nie
gesehen hat und die bestimmt nicht wegen ihm und seinem olivenförmigen Schädel kommen.
“…ich glaub die Basis unserer Beziehung…”, erklärt Ole, diesmal wieder etwas leiser
und den Oberkörper auf die flexible Stütze aus Oberarm und abgewinkelten Unterarm
gelegt, “…ist das ich sie kaum verstehe. Für mich spricht sie total leise. Hab mir schon
mal überlegt ob ich Lippenlesen lerne, aber irgendwann hab ich kapiert dass es ohnehin
reicht freundlich mit dem Kopf zu nicken und als guter Zuhörer durchzugehen. Der letzte
Satz ist sowieso immer verstehst Du was ich meine, und da hab ich ein Repertoire an
Gesten und Antworten das keinen Anschein von Stereotypie und Desinteresse aufkommen
lässt. Abgesehen davon…wenn Du echt mal was hinterfragst dann kommt ja
wirklich: Du vestehst mich nicht…”
Doc Strothmann wirft einen schelen Blick zu Seite. Das Schwedenrätsel spricht. Ihre
Lippen bewegen sich lebhaft, zwei in die Taillen eines Notenschlüsseltisches geschmiegte
Typen lachen sich scheckig.
“Siehse…”, fühlt sich Ole bestätigt, “das ist es was ich meine. Wir beide hören dass die
Typen lachen, aber nicht was meine Perle sagt. Ich versteh sie überhaupt nicht, aber
inmitten dieses Tollhauses trifft sie genau den richtigen Ton für die Gäste. Unglaublich.”
Laut und deutlich. “Ole? Wo bleiben die Gulaschsuppen, die Cthulhus und die Löschzwerge?”
“Oh scheiße”, amüsiert sich Ole über seine eigene Ignoranz gegenüber den ureigenen
finanziellen Interessen, “ich verschwind mal eben in der Kombüse.”
Allein, gelassen, auf sich gestellt sieht Strothmann sich im Rumpf des Seelenverkäufers um,
fühlt sich ad hoc wie ein Schiffbrüchiger auf offener See. Die Köpfe
schwanken in unvorhersehbaren Vektorwechseln, eine Vielzahl von Bojen,
die aufgrund ihrer Menge und chaotischen Verteilung keinerlei Orientierung bieten.
Da kein Mensch eine Insel ist ersäuft er in sich selbst. Während mit zunehmender
Kompression der Körper im Raum die Schwankungen der Köpfe an Heftigkeit und
Geschwindigkeit zulegen, Ellenbogen von Personen ihn knuffen die von ihm absehen
treibt er immer weiter von dannen.
Eine verlässliche, stabile Struktur, berechenbar und zuverlässig wie die Sucht
und der Entzug, bietet das gradlinige Glas Altbier vor ihm auf dem Tresen, und das
transparente, lichtdurchflutete Spalier der Wodkaflaschen in der Vitrine hinter
dem Tresen. Quantenschaum und Bierblumen.
Up- und Down-Quarks und Antidepressiva. Er summt leise ihre Namen:
Saroten zum Schlafengehn, Notrilen ist immer schön, Aponal nimmt Dir die Qual…
die zartbittere Sehnsucht nach der Weisheit letztem Schuss verdichtet sich in
seinem Schädel zu einer Kugel aus gefrorenen Tränen, kein Widerspruch zu
seiner Befindlichkeit wenn er stocksteif wie eine Echse in Kältestarre auf dem
Hocker sitzt und sich darauf konzentriert nicht zu blinzeln.
Es gibt schlimmeres als seelische Tiefdruckgebiete. Ein Bekannter von ihm bildet sich
ein dass sein ganzes Leben live und exklusiv nur für seine Ohren von Marcel Reif
kommentiert wird.
“Na Doc, alles im Lack, was machen die Weiber?”, haut ihn der bleiche Justitiar eines
Energieversorgungsunternehmens an und hält aus dem Stegreif einen Vortrag über
Vor- und Nachteile von Großwindanlagen. Der windige Justitiar ist etwa 1,60 groß,
Doc Strotmann lenkt das Thema auf Kleinwindanlagen, der Justitiar ist überzeugt
dass man keine Geschäfte damit machen kann weil sie aufgrund der nachteiligen
Strömungswiderstände der Rotorblätter wenig effizient und allenfalls als ergänzende
Energiequelle zum Beispiel für Biobauernhöfe geeignet seien. So wie Dr. Strothmann
kein Wort versteht versteht der Jusititiar die Anspielung mit den Kleinwindanlagen
nicht, Ironie zu überhören ist der Segen, der denjenigen zu Teil wird die nur für
sich selbst sprechen. Genau so unvermittelt wie er den Vortrag beginnt schließt
der Justitiar ihn ab, ohne ihn während seines Solo auch nur einmal angesehen zu
haben, damit Strothmann kein angesehener Mann wird. Paranoia.
“War nett mal wieder mit Dir geplaudert zu haben. Und immer dran denken: wer
nur halb über seinen Schatten springt landet im Dunkeln. Bis die Tage, auf mich
wartet noch einen Abendessen mit köstlichem Nachtisch.”
Bestimmt Windbeutel, weg ist er, ein Albino von Amtsschimmel, dessen Haut so
hell ist, dass man sein Herz wie bei transparenten Zierfischen schlagen sehen kann
wenn er nackt ist.
Strothmann zählt die Fluppen in seiner XX-Box, er ist dazu übergegangen sich
Maxi-Schachteln zu holen um am Ende des Abends immer noch behaupten zu
können er habe nur eine Schachtel geraucht, schon absehbar das wird nix.
Keine neuen Nachrichten, weder per mail, sms noch Whats App. Bleibt der
Rastlosigkeit nur Gläser zu heben, Glut an die Lippen zu führen. Was weiß
der Bierfisch schon, wenn man untertauchen will ist Dunkelheit genau das
Richtige, gleich ob im eigenen Schatten oder dem eines Anderen, was ja
keinen Unterschied macht wenn Ich ohne Sinn ein Anderer ist.
Zum 7 mal liest er in HD-Qualität die aktuelle Tabelle der Eishockey-Bundesliga
auf Sky News. Champions League und Dschungelcamp als Höhepunkt
der technologischen Entwicklung nach Entdeckung der Wellenfunktion. Nichts
ist so uninteressant wie der Mond. Zu wenig Ungeziffer.
Neben Strothmann hockt in Gestalt seines Vaters (20 Jahre jünger als Strothmann
jetzt) der Tod, sein ständiger Begleiter, und langweilt sich zu sich selbst.
“Ist Hein wieder da?”, fragt Ole so mitfühlend wie nur ein Wirt sein kann, schenkt
Strothmann ungefragt und unwidersprochen Armagnac ein, “lass Dich nicht
irre machen, der Tod erscheint uns allen in Gestalt unserer jüngeren Eltern.
Nach dem Motto: nicht wir sind tot, Du bist es. Dagegen hilft etwas zu trinken
was älter ist als man selbst. Ich hab nen Whiskey zu Hause der wurde während
der Ardennenoffensive gebrannt.”
Der Tod ist allmächtig aber impotent. In Ermangelung der Möglichkeit Begehren
erotisch umzusetzen setzt er Begehren destruktiv um. Der hier ist auch noch
selbstmitleidig und verzweifelt, seit Stephen Hawking bei der Behauptung zurück-
ruderte in Schwarzen Löchern geht Information verloren. Das läßt den Tod an
seiner Insistenz nicht nur zweifeln, er weiß dass es ihn eigentlich nicht gibt.
Da kann man den verlogenen Sohn sich schon mal besinnungslos saufen lassen
der tatsächlich das Gespenst der Unfreiheit so verinnerlicht hat dass er sich
lieber zerstört, statt das Waisentum als Entwicklungshilfe zu begreifen. Familia,
abgeleitet aus dem Wort einer toten Sprache für Sklaverei, gegen Cash getauscht,
und er jammert über den schalltoten Raum in seinem Kopf statt die Chance zu ergreifen.
Memme.
“Weißt Du wovor ich Schiss habe?”, fragt Strothmann Ole in vorauseilendem
Geständnis, “dass man mich fragt dürfen Sie in ihrem Alter überhaupt noch
trinken?”
“Bei der Regelungswut”, pickt Ole den Zeigefinger in die letzte Wunde, “wäre das
kein Wunder. Das Innenministerium hat jetzt zur Prävention von Unfällen bei
Schützenfesten ein Gesetz verabschiedet, das den Vogel zwar immer noch
abschießen läßt, aber nur wenn die Normgröße von 30% der bisher üblichen
Spannweite nicht überschritten wird. Solche Themen sind so wichtig, die
sind für Doktorhüte gut.”
Schadenfrohes Gelächter der vollen Juristen im Hintergrund,
der Adler der Pillendreher kassiert die dritte Pille gegen Fellatio Rom.
“…aber bevor es so weit ist hier noch n Bierchen für Deine nichtspiegelnde
Begleitung und Dich. Wer war eigentlich das Mädel mit dem Du neulich hier warst?
Hab die erst für Deine Tochter gehalten.”
Die geht jetzt mit mir aus, zollt Väterchen Tod seinem älteren Sohn Spott, ich
bin einfach zuverlässiger als Du. Meine Halbwertszeit ist unendlich. Sie sagt
sich, lieber einer der es nur halb wert ist als einer den sie am liebsten nie gekannt
hätte. Außerdem bin ich viel jünger als Du. Verstehst Du was ich meine?
Bitterschön. Im Kühlschrank stehen Marmeladen, die hat sie mitgebracht als sie das
erste Mal bei ihm übernachtete. Die Marmeladen sind noch gut, das Mädel
ist wie vom Erdboden verschwunden. Weil er sonst nix zu lecken hat
leckt Strothmann seine Wunden, verschluckt sich fast daran. Eine
Beziehung die nicht mal ne Konfitüre lang hält.
Am Ende der Parabel dieser Nacht, wenn Ole die überdimensionale Lochkarte
aus Blech hochstellt, die als Abstellfläche und Überlauf zugleich dient, stickige
Wärme wieder zugiger Kälte weicht ist Strothmann so besoffen dass er hungrig
ist wie ein Werwolf. War er die ganze Zeit hier gewesen, oder grade erst gekommen
und hatte mit seinem Anblick sämtliche Gäste vertrieben?
Er spürt in den gereizten Augen den Lichtdruck aus den Deckenspots.
Schatten rethorischer Fragen, deren Antworten ihm alle unangenehm
sind, vermag er nicht zu überspringen. Seine Sprunghaftigkeit mündet
in Synchronspringen, nichts ist so unerreichbar wie eine Parallellwelt.
Unbeschränkte Verschränkung unter Vermeidung von Schnittstellen.
Ausweglosigkeit als Spieltrieb des Todes.
“Was geht, Last Man Standing. Gehn wir noch zusammen ins Zecher?”
Morgen früh ein wichtiger Kundentermin, denkt er, und ein langer Atem erzeugt
Mundgeruch. Aber was hätte er noch vom Leben ohne Kontrollverlust?
Warehouse 13, denkt Strothmann beim für heute Nacht letzten Blick auf die
Zapfanlage aus einem anderen Jahrhundert. Oles Perle ließ ihn abperlen,
ruht längst in ihrem Alkoven und übt sich in Kühle.
Als Strothmann das erste Mal hier war verpasste man ihm zunächst den Spitznamen der
Samenlose, weil er eigentlich Samen für Adonisröschen hatte besorgen wollen und der
Blumenladen schon zu hatte. Aus Frust war er hier reingeschneit, eine Schleppe aus
Frost und Schneekristallen hinter sich her ziehend.
Immer noch der selbe Winter, der vor seiner Geburt ein Herbst war und nach seinem
Tod ein Sommer wird. Glänzende Speckschwarten aus Eis bedecken die Strasse.
Auf ihnen schlittern sie Richtung Zecher, das zwar längst geschlossen hat, aber
Ole hat den Schlüssel zur Hintertür. Für Ole sind sie zu zweit, doch er akzeptiert
gutmütig und berechnend den paternalistischen Feind, der Strothmann begleitet.
Der ist zwar unsichtbar, stört jedoch nicht, und ist für ein fettes Trinkgeld gut.
Strothmann bricht lauthals in schallendes Gelächter aus, einziges Geräusch in den
Stunden ohne Passanten und der Alleinherrschaft der Straßenlaternen.
“Der Tod hat dermassenen Kohldampf, dass er sich permanent auf die Fresse legt.”
Ole stimmt ins Gelächter ein, prustet: “Ich weiß überhaupt nicht was Du meinst.
Überhaupt nicht”, kriegt sich nicht mehr ein.
Die Zeit steht still im Zecher. Ihre geschlossene Gesellschaft ist eine zeitlose
Saufbruderschaft, bis zum bösen Erwachen, mit dem der Kosmos beginnt, der in
dieser Sphäre der Abwesenheit Chronos leider (hähä) draußen bleiben muss,
winselnd am kurzen string gehalten.
Strothmann spricht schmerzfrei und hemmungslos von der Leber weg, selbst der
Gevatter lausch ihm gebannt, Ole OleOle Ole…
Die Physik sei die neue Metaphysik, die Frage sei nicht wer
man ist wenn man besoffen ist, sondern wer man ist wenn man nüchtern ist,
Kohärenz habe nichts mit Konsistenz zu tun, der Mensch, der sich ausstreckt sei
krumm außer im letzten Traum vor dem Exitus, die ultimative Waffe sei die, die es
einem unmöglich mache zu verrecken, ihm sei alles menschliche fremd, sich
umstellen bedeutet sich selbst zu umsingeln, ob die Gesetze der Quantenmechanik
oder der Relativitätstheorie gelten sei nur eine Frage der Größenordnung der wechsel-
wirkenden Elemente einer Versuchsanordnung in Relation zum Betrachter, wenn
Milliarden Katzen durch einen milchstrassengroßen Doppelspalt geschossen werden
ergebe sich auch ein Interferenzmuster, er habe einen Dauerauftrag bei Dignitas,
er sei ein Insekt im Smoking, er brauche keinen Lebensmittelpunkt, er brauche
Lebensmittel, der Satz des Pythagoras ging etwa 9 Meter weit, Weltrekord
und Plagiat, verbale Schnappschüsse vom Tresen die er als eigene Einfälle
für sich verbuchte, ein schwarzer Ring ums Universum statt einem schwarzen Loch
erkläre die beschleunigte Expansion des Universums und kehre die Vorzeichen bei den
Größenangaben um, so dass klein groß und groß klein sei, wenn jemand 14 Menschen
und sich selbst umbringt was ist er dann, oh mein Gott
ich Reit im Winkel, ich halte schwangere Fußballer für Mogelpackungen, auch wenn
sie beim Fallrückzieher in den Arsch gefickt wurden, es sei lustig und fremd wie er liebe,
deswegen sagt er Üch lübe Düch, es gibt Geräusche die man erst bemerkt wenn sie
ausbleiben, dann schlägt einem die Kunst der Stunde, seine Psyche sei ein schlecht
montiertes Ikea-Regal, das sieht er mit der schonungsloen Klarheit eines Spiegelbildes
im Klo eines Intercity, er habe Übergewicht weil so vieles an ihm nagt, nicht die
Bettler in der City seien der Skandal, sondern der Wettbewerb zwischen ihnen, Quanten-
mechanik und Sucht verschlieren die Zeit die man dann ruhig verlieren darf,
er verbrennt und hinterlässt verbrannte Haut, Indiskretion sei literarische Inkompetenz,
die Unschärferelation im Makrokosmos besagt, dass die Aussagen über den gegenwärtigen
Zustand eines beobachteten Objektes mit zunehmender Distanz unschärfer werden,
Selbstironie und Furcht seien Kehrseiten ein und derselben Bredouille, so wie
Babyschreie und das Quietschen schlecht geölter Scharniere, man macht den
Menschen weiß, dass Münchhausen recht hat, dass man sich am eigenen Schopf
aus dem Sumpf ziehen kann, das sei das Förderprinzip dieser Regierung, den
Menschen Unmögliches abzuverlangen und ihnen die Schuld zu geben, wenn sie
dran scheitern, alle Informationen seien ineinander umwandelbar, obwohl hermetisch
und hermitesch nicht das selbe bedeuten, ebensowenig wie Deklination und Inklination,
bitte fahren Sie mich zur Firma Sowieso in der Sowiesostrasse ungefähr 50,
natürlich sei auch Sprache quantifizierbar und Quantenphysik sei kognitive Psychologie,
weil wir als Beobachter angelegt seien und die Dekohärenz auf Basis quantenmechanischer
Verschränkung zwischen Subjekt und Objekt erzwingen, umgekehrt sei Informationsverlust
Verlust an Information über Verschränkung, wir sind dreidimensionale Projektion zwei-
dimensionaler Quintessenz
“Also ich komm da nicht ganz mit, es klingt irgendwie überzeugend. Wir nehmen
Ihr Angebot an.”
Es war hellichter Tag. In der Fußgängerzone hatte man sich zwar nach ihm umgesehen,
aber niemand hielt es für nötig ihn aus dem Stadtverkehr zu ziehen.
Ein leidlich gekleideter Spinner der Selbstgespräche führte, in der U-Bahn, im Taxi, vermutlich
auch im Kino, an der Kasse vom Supermarkt, bei Yoga, Jogurthkauf, und in Talk-Shows
und im Dschungelcamp. Penetrant, jedoch harmlos.
Mit schwerem Schädel kommt Strothmann zu Besinnung.
Jemand klopft ihm auf die Schulter. “Gut gemacht. Gratuliere.”
Nochmal davongekommen. Strothmanns Blick fällt auf eine halb ausgetrunkene Tasse
Kaffee, die Tasse aus der gleichen Keramik wie Pinkelbecken, wandert zu einer Revolver-
trommel, die mit Granini-Minis geladen ist und hält schließlich inne bei einer Schar
Kostüm- und Anzugträger, die sich von ihren Sitzen erheben und zu häppchenfressenden
Kleingrüppchen rund um den Konferenztisch sortieren.
Einige werfen ihm Blicke zu, die er nicht präzise deuten kann, am ehesten trifft es belustigte
Neugier. Er befindet sich in einem komplett verglasten Büro, hoch über dem Balkendiagramm
eines Stadtzentrums, dessen Dächer und Fassaden ihm nichts sagen.
Strothmann fasst erst sich und dann die Gelegenheit beim Korken:
“Wir haben einen Deal. Lassen sie uns darauf anstoßen.”
Alles Glück, nörgelt der Tod, entäuscht von Strothmanns unverdientem Erfolg. Reines Glück.