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Be polar

“Auch Rekapitulation ist Kapitulation.” Den Biergarten bevölkern gut gelaunt und sinnlich seine Ex-FreundInnen mit Partnern, die weder anmassend, noch besitzergreifend sind, statt dessen aufmerksam und interessiert. Jede von ihnen führte ein Leben, das rechtzeitig bevor es sich mit seinem kreuzen konnte von ihm weg strebte wie eine parallelle Geodäte in einem hyperbolischen Raum. Im Biergarten regiert der sanfte Sommer, angenehmes Klima mit geringer Luftfeuchtig- keit. Das Abendlicht funkelt zwischen den Cannabiskonturen des üppigen Laubwerks, zaubert einen bronzefarbenen Schimmer auf die Gesichter der weiblichen Gäste, von deren männlichen Pendants Strothmann nichts zu sehen bekommt. Die Pärchen sind so platziert, dass die Männer große Unbekannte bleiben, in den Schatten gestellt von seinen Partnerinnen, die er noch nie so strahlend gesehen hatte wie jetzt. Er freut sich für ihr Glück ihm niemals begegnet zu sein. Die Lästerhöhle des Absud ist menschenleer, und so weit es ihn betrifft ändert seine eigene Anwesenheit nichts daran. Statt Laubwerk dominiert Laufwerk, allein gelassene iphones und ipads, die flach auf dem Tresen liegen wie rechteckige Pfützen aus Öl. Ihre Halter drängeln sich am Ereignishorizont der Türschwelle. Es nieselt, es ist arschkalt, nie gab es Wintertage an denen es so lange hell blieb. Gesellt Strothmann sich zu ihnen und schiebt den Schleier ausgeatmeter Geister beiseite ist von seinen Exen (…seinen Zwischensicherungen…) nichts mehr zu sehen. Der Biergarten ist verwaist, unter dem Druck des Regenwassers beult sich die Zeltplane bedrohlich aus, die auf Spinnenbeinen aus Aluminium im Zentrum des Biergartens aufgespannt ist, ein monströses Tabernakel der Freiheit. Immer Rauchen. Niemand bei klarem Verstand wagt es unter der Traufe Platz zu nehmen, zumal es klamm wie Hulle ist, und der stürmische Wind für eine ergiebige Bewässerung der Bestuhlung sorgt, deren Sitzfläche nur vor brav lotrecht fallendem Regen notdürftig geschützt ist (später am Abend versammeln sich hier alle Schnapsdrosseln, tauschen Schnapsideen auf dem Basar geplatzter Träume). Das Tageslicht ist stumpf wie Bimsstein. Nichts ist erleuchtet. Die Trennung zwischen den Universen erweist sich als rigoros, sobald er damit liebäugelt sie zu überwinden. Der Biergarten ist nur gefüllt mit glücklichen Ehemaligen, solange er hübsch bescheiden im Suffschuppen hocken bleibt, eine Holografie die von Bits auf der Sitzfläche des Barhockers gekrümmt in den Raum projiziert wird. Im Guckkasten der Eingangstür bellt LLoyd: “9/11, 9/11, das war nix anderes als schlechtes Yenga!”. Er hat die Lacher auf seiner Seite, kein Wunder bei der rigiden Kompaktifizierung der sozialen Dimension zwischen Tür und Angel, zwischen Für und Wieder. Man rottet sich auf einer dahinschmelzenden Eisscholle zusammen, die in Folge der Konzentration von Wärme noch schneller schmilzt. Das gastronomische System kennt zwei voneinander getrennte Instanzen, das Personal, das die Gäste bespasst, und die Gäste, die den Laden finanzieren. Dies sind nicht mehr ihre Geschichten, weil sie zu einem nicht differenzierbaren Konglomerat verklumpen. Nicht das Strothmann nicht gerne dazu gehören würde, aber sein linker Arm ist 30 Jahre älter als sein rechter, solange er nur ein T-Shirt an hat schämt er sich so in die Tür zu gehen. Statt dessen bleibt er am Tresen hocken, geduckt, damit der Kopf nicht rascher an Demenz erkrankt, als die Füße an Osteoporose, und tröstet sich damit, dass am universalen Ereignishorizont der weißen Fläche am Ende der Welt ein suchtgefährdetes Interferenzmuster eingeprägt ist, eine Randerscheinung seiner Jugend, die bei passender Perspektive zu einem kompromisslosen Schluckspecht rekomprimiert wird. Die Beschäftigung mit Kosmologie ist seine Vorbereitung auf den Tod: ein Piepen im Ohr, der Transfer in ein weißes Loch, ein zeitloses, fraktales Dasein als plancktonale Melodie im finsteren und angespannten Inneren der Protonen, seine Wiedergeburt aus einer Weise, die nur der Mensch vernimmt, der er hätte sein können. Schöne Illusion. Das hier ist keine schlechte Stammkneipe für einen Freak Observer, der eben noch in aufgeräumter Stimmung einen Friedwald aufgesucht hatte und auf seinem Vater herum getrampelt war, nun aber Panik schiebt, dass die Wellenfunktion kollabiert, der tote (und total totalitäre) Erzeuger plötzlich dekohärent und quicklebendig neben ihm hockt, und ihn eindringlich aufklärt: `Es geht zu Ende. Du kannst nur noch darauf hoffen eine mit Vaterkomplex ab zu bekommen, die Sex gegen Aufmerksamkeit und später Pflege gegen materielle Sicherheit tauscht. Selbst bei dem Deal bleibst Du ein Betrüger, der sich Gefälligkeiten durch vorgetäuschte Trauer erschleicht.` “Nicht erschrecken, ich bins nur”, beschwichtigt Becks Benny den hochfahrenden Strothmann, “ich sehe bestimmt niemandem ähnlich, der Dich bedroht.” “Keine Ahnung, ich weiß nicht wer mich alles bedroht.” Al Rabiata nimmt erst Platz direkt neben Strothmann, hält kurz inne, schiebt Sonnenbrille, Zigaretten und iphone nach links, und rutscht einen Hocker weiter weg von Strothmann; der stürzt sich, bestürzt von der plötzlichen Abwendung, in den Dialog mit Becks Benny wie ein Ertrinkender in die Arme eines Rettungsschwimmers. Bei genauem Hinhören besteht ihre Konversation lediglich im höflichen Austausch apodiktischen Unfugs: Liebe ist gleich Autorität, so ein Unfug, Einstein nahm den Glauben an das Licht als reine Form der Wahrheit so ernst, dass er Metaphysik in Physik transformierte, das ist ja total un interessant, Katastrophen sind ungeplante preiswerte Marketingkampagnen, Blödsinn, wer Parallelwelten messen will legt den Maßstab der Kunst an, ach echt? Echt acht? Na na na na naaa naaa “…das weiße Haus ist eigentlich das Schwarze Haus…Lloyd, kriegen wir noch ein Bier?” “Ne. Ich muss nicht mehr freundlich zu meinen Gästen sein, schon gar nicht zu meinem Personal und zu Weibern erst recht nicht.” “Das find ich aber enttäuschend, ich mal Dir trotzdem weiter Herzchen.” “Ich bin gut darin, zu enttäuschen. Das hat mich zu dem gemacht der ich bin. Das hat mich groß gemacht.” Gefolgt von heiserem Gelächter, getränkt mit Selbstironie, die Verzweiflung und Existenzangst übertüncht. Hätte er mal den Laden so gründlich gestrichen wie er seine Furcht kaschiert. Gefragt was er denn vorhat wenn der letzte Bon gebucht ist antwortet er achselzuckend: dann publizier ich mein Untertagebuch und stoß mich dran gesund. (Arbeitstitel: Am Tresen und jenseits der Unendlichkeit) Nach Halloween ist das Absud dicht, die Wiederkehr des immer Gleichen unterbunden. Was dann? Man könnte leben ohne den Trost der Fernsehserien, aber ohne den Trost der Platanen im Biergarten? Ohne den sind wir so einsam wie Boltzmann-Hirne, verdammt bis an den Rand der Ewigkeit der Minimal Music der Strings zu lauschen, und unfähig zu trinken. Die Hölle: Durst und Monotonie. Noch n (Ph.) Glass? Ob bitte nein! Gnade! “Ich komme Dich jeden Samstag besuchen”, verspricht La Rabiata dem Wirt, während die Baumstammgäste nach `Zahlen!` ertrinken. Man kann nun mal nicht jedem Sterbehilfe leisten.