Beängstigend beengt
“Über den Tresen hinweg kann es keine unverfängliche Kommunikation geben, die sich nicht ums Geschäft dreht.”
Die Schließerin reinigt die Zapf-Anlage, deren Rost aussieht wie ein riesiges Vier(zig)-Gewinnt-Spiel, das ein Schaumbad nimmt. Der Klugschwätzer ist eine prima Ausflucht, solange er nicht der einzige Gast am Tresen ist. Spät und zuverlässig kommt er spät zu ihren Soloschichten, die sich herumgesprochen haben, und vertreibt die Schattengestalten, die wegen ihr früh kommen und möglichst bis zum Ende bleiben. Die einen nutzen die Beschränktheit ihrer Machtposition hinterm Tresen aus und texten sie zu, weil nur ein Schwätzchen tätigen zu wollen ihnen als Rechtfertigung dient sie anzustarren, doch unheimlich ist eher der Einzelgänger, der sich an einen Tisch in der Ecke hockt, dumpf vor sich hinbrütet und trinkt, bis sie den Laden dicht macht.
Stundenlang ist sie beschäftigt mit Gläserspülen und Weggucken, bis der Klugschwätzer den Raum betritt, sich an den Tresen setzt und sie ein Gespräch mit ihm beginnt. Irgendwann verkrümeln sich die Anderen. Big Deal - solange, bis der Klugschwätzer selber aufdringlich wurde.
“Du willst ins Event-Management? Prima. Ich brauche einen Manager. Oder eine Managerin. Wir sollten uns mal unterhalten. Gib mir doch mal Deine mail-Adresse.”
Sie wiegelte das ab. Einen Abend danach beschwerte er sich bei einer Arbeitskollegin darüber, daß sie die Stammkundschaft wie Nutzvieh behandle. “Du hockst kaum, da heißt es schon: Was trinkst Du? Der erste Satz. Keine Begrüßung. Kein Gespräch, sauf und halt die Klappe. Das hasse ich. Genau wie Lehrer, die immer sagen `Du hast mich falsch verstanden` wenn sie etwas mißverständlich ausgedruckt haben.`
Sie hatte den Kardinalfehler begangen, ihm als Zeichen, dass sie nichts gegen ihn hat, ihre mail-Adresse doch noch zu verraten. Hätte sie nicht tun sollen. Seine sehr prompte mail teilte ihr nach ca. 10 Zeilen mit: `Eigentlich wollt ich gar nicht so viel schreiben, aber wo ich schon mal dabei bin…
…daß er wirklich Bücher schreibe, sie solle sich seine web-site ansehen, als Beweis, daß es nicht darum geht, Sie anzugraben, auch wenn er Sie natürlich attraktiv und wenn er nichts dagegen wie wärs mit Kino und so weiter…
Wie kommt sie raus aus der Nummer? Sie kann hier nicht weg. Er ist Stammkunde. Sie will keinen Stammkunden vor den Kopf stoßen…
“Da ist was dran…”, antwortet sie vage, und sieht aus den Augenwinkeln die Veränderungen in seinem Gesichtsausdruck. Er schweigt und nippt 10 Minuten wortlos an seinem Bier, bis er schließlich den Rest - etwa die Hälfte - in einem Zug herunterstürzt. “Ich zahl dann mal”, ist das nächste und letzte, was er heute zu ihr sagt. Überstürzt, peinlich berührt dadurch, wochentags mit Abstand der der letzte Gast zu sein, bricht der Verfasser auf.
Er sieht noch die Erleichterung im Gesicht seiner Adressatin. Sie ist erleichtert zu sehen, daß er verstanden hat. Um sie herum weitet sich der Raum, als er die Tür hinter sich schließt. Der Tresen öffnet sich um sie, wie ein zu enger Gürtel, den sie löst.
Es ist früher Morgen. Feierabend. Auf dem Weg zum “Kliff”, wo Sie noch einen Absacker nimmt, fährt sie auf ihrem Rad gegen einen Fahrtwind an, der warm ist und nach Blütenblättern und Heu duftet.
Der Verfasser wird sich am Nachmittag des neuen Tages nicht entsinnen, ihre mail-Adresse aus seinem Verzeichnis gelöscht zu haben.