Bestien
“Als Equinox bezeichnet man die Tag- Nachtgleiche. Das weiß man doch!”
“Tag- Nacht-Leiche?”
“Oh Mann, der war so flach, der landet am Erdmittelpunkt.”
Der unmerkliche Übergang vom Kneipentag zur Kneipennacht vollzieht sich nicht als Wechsel der Lichtverhältnisse. Schummerig ist es immer im “Absent”. Das Fußballzimmer am Ende des schmalen Ganges zwischen Küche und Vorratkammer hat Gerüchten zufolge seit 6 Jahren kein Tageslicht mehr gesehen. Daher der Vorschlag einen Werbespot für Sky zu drehen: draußen in Biergärten hocken bei herrlichem Wetter die Sonnenanbeter an den Tischen. Musik: What a wonderful world. Kameraschwenk ins Innere des finsteren Hinterzimmers. Spruch: …und dann sehe ich was wirklich zählt. Dreißig leicht besoffene Fußballfans starren in einer pechschwarzen Muffelbude auf den Bildschirm, während draußen der Sommer regiert. Doch die Wahrheit is am Platz. Irgendwo hier drinnen. Anpfiff. Johlen. Schnitt.
Der Übergang vollzieht sich am Tresen. Jeder, der noch etwas Anderes vom Leben erwartet, als ständig betrunken zu sein, hat das Absent verlassen. Jeder, dem sein Zuhause noch mehr ist als ein Gefängnis, dessen Wände Depression und Verlassenheit auf einen zurückwerfen, ist nicht mehr da. Den Rest schwemmt die Nacht an dieses verkommene Ufer.
Hat man jetzt den Absprung verpasst, bedrängt einen links und rechts die Bestie Mensch. Ein besoffener Maischütze in vollem Wichs erklärt einem ungefragt die semantischen Tiefen deutschen Liedgutes. Eine Mitvierzigerin kippt in hektischem Rhytmus Bier und Whisky in ihren Rachen. Ihre Sonnenbrille klemmt am Scheitelpunkt des Ausschnitts ihres Tops, ein dezenter Hinweis auf ihren Brustansatz. Ihr Mann ist tot, ihr Kind ist 18, sie ist Reiseleiterin, sie sieht nicht ein, dem Kerl, der zu Hause auf sie wartet, hinterherzusaufen, sie würde sich gerne länger mit einem unterhalten, am nächsten Morgen wird ihm ein Arbeitskollege, der früher gegangen ist, als der Verfasser gekommen ist, von der Begegnung mit einer Irren erzählen, und er würde entgegnen - die kenne ich.
“Polonia 1 kannte da kein Pardon. Der hat die echt noch abgeschleppt.”
“Ich bin mir sicher alle ihre Stories sind frei erfunden. Kein Mann, kein Kind, keine Reise.”
Inzwischen eskaliert die Situation. Skellington, der seine cholerischen Anfälle auf eine Schilddrüsenüberfunktion zurückführt, hat sich mit dem Maischützen in den Haaren. Das geht jetzt, weil dem jemand die Mütze geklaut hat. Der Maischütze wird abwechselnd als Penner, Faschist und Nazi beschimpft, der wahrscheinlich morgen am Schalter einer Bank sitze und armen Schweinen den Kredit verweigert. Ein 40-jähriges Campino-Plagiat mischt sich ein und will Frieden stiften mit dem sensiblen Satz: wir sind doch alle mal blau. Diese Weisheit unterstreicht er mit einer weit ausholenden Wisch-Bewegeung, die Gläser und Flaschen zu Bruch gehen läßt. Scherben fallen in die Spülanlage.
Der Verfasser ergreift die Flucht. Er kommt heil nach Hause, aber ein Entkommen ist das nicht - er gehört dazu, geht immer zu spät.
Am nächsten Abend erzählt der Wirt und Besitzer, wie er den Laden im Alleingang aufgebaut hat, wie großartig er ihn managt. Ein Gast kommt vom Klo und sagt: “Die Seife auf der Herrentoilette ist alle.”
Der Wirt schweigt. Die Zuhörer lächeln still in sich hinein.