Brautschlau
In unserer Kneipe verkehrt eine geniale Idiotin. Jeden Abend hockt sie an ihrem Tisch, trinkt Caro-Kaffee und beschäftigt sich ansonsten mit einem Satz Glasmurmeln, die sie unablässig auf der runden Tischplatte hin und herrollt.
Ab und zu brabbelt sie vor sich hin; meistens sind ihre Sätze völlig unverständlich, doch ab und zu sind sie sonnenklar. Heute abend zum Beispiel: `Ich bin die Perlenfrau. Ich löse Probleme. Aber nur dann, wenn ich sie nicht verstehe. Ich löse Rätsel. Aber nur die, die ich nicht begreife. Ich beantworte Fragen. Aber nur die, die ich nicht kapiere. Ich bewältige Aufgaben nur dann, wenn mir die Aufgabenstellung zu hoch ist. Ich kann jeden Abend ausgehen. Ich bin reich.`
Dann folgten einige mathematische Formeln.
Der Wirt sagt, sie hat Geld wie Heu, weil sie den Fields-Preis gewonnen hat. Für die Lösung eines der `Millenium-Rätsel`. Der heilige Gral der Mathematik.
Wir scharen uns wie die Aasgeier um sie, die Idealisten und Materialisten, alle befaßt mit existentiellen Fragen: wie werde ich unsterblich? Wie schaffen wir Frieden auf der Welt? Wie werd ich meine Schulden bei der Citibank los?
Nun zerbrechen wir uns alle über unser Vorgehen den Kopf. Die Fragen sind so einfach gestellt, dass selbst die Perlenfrau sie kapiert. Wenn wir sie so stellen, bekommen wir keine Antwort.
Also versammeln wir uns Abend für Abend um sie und hoffen, jemand vermag es unsere einfachen Fragen so kompliziert zu stellen, dass sie sie nicht versteht und Antworten gibt, die uns weiterhelfen.
Der Banker versucht, es sich einfach zu machen:
`Willst Du mich heiraten?`
Sie ist wohlhabend. Das beantwortet seine Fragen und löst seine Probleme (wenigstens die, die er erkennt).