Breit aufgestellt
Seid seiner Kindheit öffnet der Wirt täglich denselben Kleiderschrank. Die roten Donald-Duck und Goofy-Aufkleber hat er längst entfernt. An den Stellen, an denen sie klebten, haften immer noch Reste des Klebstoffs. Jeden Tag nimmt das Unbehagen zu wenn er ihn öffnet. Etwa seit seinem 40sten Geburtstag hat er jedesmal, wenn er den Schrank öffnet, das Gefühl vergreist zu sein. Er ist fehl am Platze, diesen Schrank dürfte nicht er, sondern nur das Kind öffnen, dem der Schrank gehört.
Seitdem säuft er schon zum Frühstück. Seinem Müsli mischt er Himbeerlikör unter. Das Nichtsein bedrängt ihn. Die Leblosigkeit umhüllt ihn. Die Luft die Du atmest, ist tot, und Du bist nur eine fragile Membran, die sich rund um Hohlräume ausstülpt zu diesem Ding, das Du `Körper` nennst. Im Rausch und im Kater spürst Du nicht den Sog, aber wehe, Du bist bei vollem Bewußtsein.
Nachts nach Kneipenschluß bleibt er wach, sieht fern und surft gleichzeitig im Internet. Man stirbt nicht bei laufenden Sendungen. Horrorfilme beruhigen ihn, das Klicken von links beruhigt ihn. Hypercube ist sein Lieblingsfilm. Es gibt immer ein Weiter. Wie im Internet. Es gibt keinen Ausweg. Auch nicht den Tod, wegen paralleler Universen. Gefangen zu sein heißt: nicht tot zu sein.
Er ist Vater eines Kindes, das er kalt schaudernd heranwachsen sieht…diese Augen…werden das Letzte sein, was Du siehst…
mitten in der Nacht fährt er schwer besoffen zu seiner Kneipe, schließt sie auf und starrt durch den Monitor des nächtlichen Fensters auf die menschenleere Straße und das Schaufenster der Buchhandlung gegenüber.
So findet ihn die Frühschicht mit den ersten Gästen im Schlepptau, eine vollständig zu Asche verbrannte Zigarette zwischen den Fingern. `Was machst du denn hier?`, fragt man ihn verblüfft. Es dauert Sekunden, bis er reagiert. `Ich lebe hier`, antwortet er.
`So siehst Du aber nicht aus`, sagt die Kellnerin und hält ihm einen Aschenbecher hin.