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Biesterrente

Wir sitzen zu viert um den Tisch und töten Wespen. Während wir mitleidlos und mit kindlich-klinischem Interesse zusehen, wie die Insekten verrecken, die wir in eine süßklebrige Falle aus Fanta locken, welche in Gestalt eines auf das Glas gelegten Bierdeckels zuschnappt, erzählt der Mann mit Prinzipien die Geschichte, wie er einst mit einem Kasten Bier in einem Fahrstuhl stecken geblieben war, eingeschlossen mit allen flüssigen Schätzen der Welt, aber fernab jeder Toilette. Wir erörtern, dass dies ein scheinbares Dilemma sei, Hohlkörper seien schließlich genügend vorhanden, und wenn man anschließend die Kronkorken wieder auf die Pullen presst, wird der auf Lieferung harrende Junggesellenabschied den Unterschied kaum merken, jedenfalls dann nicht wenn es sich um Warsteiner handelt. “Ersticken die eigentlich oder ertrinken die?”, fragt mit einem breiten Belmondogrinsen und unter Dehnung der ´i`s in `Ersticken´ und `Ertrinken` Robierto, der vespafahrende Smutje, der sich genüsslich vorstellt bei den Wespen handele es sich um Gäste, die ihn mit Bestellungen wie `eine nicht ganz so große Portion Bratkartoffeln mit Spiegeleiern` nerven, für die sie dann nur die Hälfte zahlen wollen. “Viel wichtiger ist wer von uns beiden führt”, stellt Barbie Q fest, die bisher auf drei von fünf Leben den Deckel drauf hielt. Robierto protestiert: “Na ich, drei zu zwei, bei der Driiitten ist Dir der Deckel runter gerutscht und ich hab schnell reagiert.” Die fünfte Wespe kämpft noch. Schafft es die glatte Innenwand des Glases hoch, krabbelt an der Unterseite des Deckels entlang, erschöpft sich in den vergeblichen Versuchen zu entkommen. Es herrscht angespannte, erwartungsvolle Stille wie unmittelbar vor einer öffentlichen Enthauptung. Nur das von flinken Fingern verursachte Geigerzählergeräusch der iphone-Tastaturen an Neben- tischen ist zu hören. Ich wohne dem Mini-Snuff-Movie mit einer Mischung aus Unbehagen und sadistischer Befriedigung bei. So abstoßend ich Wespen finde, so sind sie doch in letzter Zeit die einzigen Lebewes(p)en, die konsequent meine Nähe suchen. Auf eine verdrehte Art und Weise erinnert mich der Anblick der Wespe an der Unterseite des Deckels an eine Filmszene, in der jemand in einem Gewässer unter einer dicken Eisdecke treibt und vergeblich eine Lücke oder dünne Stelle im Eis sucht. Mir kommt ohne den Bezug bestimmen zu können der Begriff Koordinatentransfer in den Sinn. “Zähe Biester”, äußert der Mann mit Prinzipien bewundernd, “das dauert ganz schön lange bis die den Gast aufgeben.” “Den G-a-a-st?”, kichert Barbie Q. “Hab mir halt grad vorgestellt wie es wohl sein muss in einem Bierfass zu ertrinken.” “Für jemanden mit Deinem Durst”, necke ich MmP, “ist das völlig ausgeschlossen.” Die erschöpfte Wespe nutzt den Leichenklumpen ihrer Artgenossen, die im Tod die Nähe zu ihresgleichen gesucht haben, als Rampe um sich aufzurichten. Sie verfügt über Intelligenz, aber nicht mehr über genug Kraft für den Aufstieg am senkrechten Glas. Barbie Q. ist heute die Betrunkenste von uns, jedenfalls bis jetzt. Wenn sie sich in der Frequenz weiter mit Wein druckbetankt wird ihr Filmriss die Qualität einers Genickbruchs haben. Robierto nimmt den Deckel ab und verpasst der noch matt zuckenden Wespe mit der Kante des Deckels Stöße, die sie unter die Oberfläche der trüben Flüssigkeit drücken bis auch dieses Opfer sich nicht mehr rührt. Schluß mit luftdicht, der Mann mit Prinzipien und Robierto erheben sich und verabschieden sich so rasch und leise, als spürten sie eine akute Gefahr, vor der sie die anderen nicht warnen mochten. Schließlich sind wir alle drei mal sechs Jahre alt und müssen selber wissen was wir tun und an wem wir uns warum rächen. Barbie Q. und ich starren gelähmt vor Angst und Sentimentalität auf die toten Wespen. Es hat sich eine Wendung ereignet, hinter die es kein Zurück mehr gibt, eine Verschiebung, die nicht nur ein Spiel in etwas Todernstes verwandelt, sondern eine zerstörerische Entwicklung in Gang setzt, der niemand mehr Einhalt gebieten kann, weil die dazu notwendige Kraft im jahrzehntelangen Überfluss der Spirituosenvorräte versiegt ist. “Ich will meinen zynischen Wirt wieder zurück, die Aura erhabener Resignation und Depression, die Weigerung irgend etwas nur deshalb zu ändern weil es zum Besseren ist. Der Mann hat sich um 180 Grad gedreht, achtet auf Körperhygiene und verbreitet Tatendrang und Optimismus. Das geht mir tierisch auf den Sack.” “Ah!”, jubiliert Barbie Q, “es drohen Änderungen.” “Das ist genau der Punkt, wenn sich etwas ändert, dann endet es nicht. Ich hatte gehofft dass diese Geschichte mit dem Absud endlich vorbei ist, und plötzlich ist keine Rede mehr davon dass er den Laden zu macht.” “Ach, Strothmann”, verspottet mich Barbie Q, “wo gehst Du bloss hin, jetzt, wo der Wirt Deiner Stammkneipe auf einmal glücklich ist und Du Dich nicht mehr heimisch fühlst?” Die Schuldige für diese Entwicklung ist so blutjung, dass sie bei der letzten Bundestagswahl noch nicht wahlberechtigt war. Das Biergartenvolk huldigt dem Königspaar und kniet vor ihm nieder wie die Ur-Engländer in der King- Arthur-Verfilmung mit Clive Owen und Kiera Knightly. Ich weiß, dass Barbie mit dem was sie nicht ausspricht recht hat. Ich werde neidisch in diesem Biergarten sitzen, nicht neidisch auf Tabula an seiner Seite, sondern überhaupt auf sein Glück, nicht auf seinen konkreten Gewinn, sondern darauf, dass Lloyd überhaupt gewonnen hat. Was soll ich hier, wenn nicht mehr Beckett auf dem Spielplan dieser Bühne steht, ein später Beckett kurz vor seinem Tod, sondern ein derber, burlesker Shakespeare voller Lebenslust und Normverstoß? “Unter Marketing-Gesichtspunkten sind ihre Manipulationen bewundernswert aufgegangen. Er jammert nicht mehr, sondern blüht auf, schon kommt das Publikum daher. Aber trotzdem geht mir das auf den Keks, diese turtelnde Ignoranz gegenüber den Gästen, andererseits dieses Hofhalten und das das auch noch funktioniert und goutiert wird. Ich meine - wer zahlt denn den Laden und hält ihn am Kacken?” Barbie Q lacht ihn an: “Sag mal, kann das sein dass Du eifersüchtig bist?” Aber das ist nicht der Punkt: “Nein. Ich mag sie, aber ich steh nicht auf sie. Das Blöde ist, ich komm mir trotzdem gehörnt vor.” Später verliere ich auch noch das Sambuca-Saufen klar gegen Kai Nada. Am nächsten Tag rasiere ich mich mit Quantenschaum, streiche anschließend gedankenverloren oder auch dement das erste `r` in einem Buchtitel der `Verborgene Universen` lautet. Wer zum Teufel wird meine Altersvorsorge?