Rauchzeichen
…müssen leider draußen bleiben. Das ist nur der Anfang: ein Kommunikationsembargo
wird folgen. Es ist verboten während des Saufens mit dem Nachbarn zu sprechen.
Grundsätzlich ist Sprechen nur noch in Call Centern erlaubt.
Spekulationen auf dem Treppenabsatz im Niemandsland zwischen rauchbefreiter
Zone und dem Parz-IV-Reservat Biergarten:
“…keine Aschenbecher auf dem Tresen im Absud? Das verletzt die Sehgewohnheiten
so wie das Fehlen der zwei Türme über Ground Zero.” Peter Stuyvesant würde sich
ob dieses Vergleiches so oft im Grab umdrehen bis er sich in eine Selbstgedrehte
verwandelt hat.
“Diese frische Luft da drinnen…”, gruselt sich Skellington, “…schmeckt verächtlich.
Das verwandelt uns doch alle in stinkende Aussätzige, die gefälligst vor der Tür
bleiben sollen.”
Die Rotte der Stammgäste versammelt sich rund um den Aussenaschenbecher,
in gekrümmter Körperhaltung wie eine Gruppe Ghettokids, die sich um ein brennendes
Ölfass scharen um sich die Hände zu wärmen. Es ist Mai. Das Frösteln ist nicht
Reaktion auf niedrige Temperaturen, Gazprom hat genug Gas verkauft und den sibirischen
Ostwind abgestellt, sondern auf das Empfinden aus der eigenen Stammkneipe
ausgegrenzt zu werden. Kaum setzt man sich an den Tresen und legt die Kippen
auf den Tisch kommt man sich fehl am Platze vor, fühlt sich unbehaglich.
Kaum einer, inklusive kettenrauchendem Personal, betritt ohne mentales Sodbrennen
das Absud, was bisweilen zu gespenstischer Leere im Schankraum führt.
Eine Geisterkneipe für die meiste Zeit des lauschigen Abends, Gäste im Permafrust.
Einzige Ausnahme: ein Stammgast der allen auf den Wecker gilt, weil er sich immer
mit viel zu spät kommenden Anekdoten in Gespräche einmischt: “Habt ihr das schon
gehört mit dem Gerücht, dass der Subotic die Frau vom Hummels…”, so in der Art.
Allein diese Annahme man könne sich in ein Kneipengeschwätz einbringen, indem
man als Echo der Gerüchte von vorvorgestern auftritt. Bleib mir weg.
Jetzt hockt er alleine im Tresen und Tabea Rasa ist ihm ausgeliefert:
“Also ich…”, freut er sich behaglich, “finde das Rauchverbot hat Vorteile. Da kann
ich am nächsten Tag ohne weiteres nochmal die selben Klamotten anziehen.”
Tabea Rasa, deren Haut sonst so hell ist, dass sie schon beim Betrachten von van
Goghs Sonnenblumen spannt färbt sich gelb vor Langeweile und Schmacht.
Nur: wohin jetzt? fragt sich Strothmann. Auf irgend nem Sender läuft immer
Big Bang Theory, aber im Moment kann er es nicht ertragen, ne Comedy-Serie
zu gucken in der jeder Nerd unterhaltsamer und intelligenter ist als er selbst.
Diese niederschmetternd komischen Dialoge, die einem die Farblosigkeit der eigenen
Selbstgespräche vors wässrige Auge führen. Deprimierend. Versteht er dann nicht
wieso bei Anspielungen auf die Symmetrie der Dekohärenz mit dem Imaginären und der
Interferenz mit dem Realen Gelächter von der Konserve eingespielt wird (wo ist der
Witz?) hallt es nur noch `minderbemittelt` in seinem Schädel, und selbst das vermag
er aufgrund seiner Begriffstutzigkeit zwar zu hören, scheitert aber daran es laut
auszusprechen.
Bleibt man halt besser auf dem Treppenabsatz, stellt heikle Weizengläser auf dem schiefen
Blech vorm Fenster ab, weiterhin einsam nicht weil man sich an sich selbst berauscht,
sondern sich an sich berauschend weil man einsam ist.
Das Echo am Tresen ist aktiv bei den Grünen.
Der Este bläst einen absbestfarbenen Trichter aus Qualm in die fahle Reflexion
seines eigenen Gesichtes im Fenster, durch dass er das ebenso blasse Gekicke
seines Vereins auf dem Flachbildschirm betrachtet:
“Der Typ der sich den Chaplin-Satz nicht merken konnte hatte schon Recht.
Jeder Tag ist ein verlorener Tag.”
Das grüne Echo hat sich inzwischengedrängelt:
“Hieß das nicht: jeder Tag ohne Lächeln ist ein verlorener Tag?”
Drinnen verliert Tabea Rasa die Nerven, klaubt die Aschenbecher raus und klotzt
sie auf den Tresen.
Die Geschwindigkeit, mit der die Stammgäste ihre Hocker besetzen kehrt die
Zeit um.
Es ist gästern.
Das Ordnungsamt pennt und kifft heimlich im Traum.