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Welt ohne Kontakt

 

 ...weiter gehts mit `Die alte Normalität`...

 

100 Tage Einsamkeit: 25. Juni 2020

In meinem Traum lacht mich ein Seemann aus: `Angst vor Quarantäne? Ich habe seit einem Jahr kein Land gesehen.`

Mit einem Gefühl des Bedauerns wird man wach. Daran ändern die Nachrichten nichts. Der selektive Umgang mit den Bewohnern der Landkreise Gütersloh und Warendorf, die anderswo nicht mehr willkommen sind, ist Brustlöser für die Förderung weiterer Ungleichbehandlungen. Die Vorlage aktueller negativer Coronatests als Einreisebedingung wird Vorbild für den Immunitätsausweis. Die SPD ist nun aufgeschlossen. Man müsse aber eine Zweiklassengesellschaft vermeiden. So wie niemand aus Gütersloh stigmatisiert werden dürfte. Wenn Politiker mahnen, was nicht passieren darf weiß man immer ganz genau was passieren wird.  

Die Süddeutsche findet denn auch eine einfache Begründung für Ungleichbehandlung: `Es reicht, nur diejenigen Orte zu beschränken oder zu isolieren, an denen das Virus stark wütet. Das entspricht dem Umkehrsatz des Gleichheitsgebotes: Es fordert, Ungleiches ungleich zu behandeln.` Mit dem Corona-Mobbing der Gütersloher und Warendorf geschieht jedoch exakt das Gegenteil. Ungleiches wird gleich behandelt - obwohl die Infektionszahlen in der Bevölkerung gering sind und nur im Umfeld der Tönnies-Fabrik hoch gilt das von verschiedenen Ländern ausgesprochene Einreiseverbot pauschal. 

Es herrscht monothematische Klaustrophobie. Alle Wege führen zu Sars, die Corona-Einbahnstraße, die in ein Schwarzes Loch mündet. Kaum noch Themen ohne Bezug zur Pandemie. Allerworten mentale Beklemmung, nichts wie raus aus dem Kopf. Abends vor der Tagesschau Polizeiserien, die Sympathie mit Ordnungshütern heischen. Ein Verleger prognostiziert: es wird kaum noch jemand Bücher lesen. Nach dem lockdown verbinden die Menschen Lesen mit Isolation und Rückzug. Mit notgedrungenem Zeitvertreib. Ratgeberliteratur geht ein Bisschen. Zurechtkommen mit der Situation. Aber Belletristik? Bleib mir weg. Wer hat überhaupt noch Lust auf Kultur wenn jeder nur noch weg will bevor die Grenzen schließen. 

Gedrückte Stimmung bei der Aktionärsversammlung der Lufthansa. Nicht so sehr wegen des Einstieges des Bundes, sondern wegen der Aussage es werde Jahre dauern, bis die Lufthansa wieder so erfolgreich sein kann wie vor der Krise. Nicht nur Luftfahrtinteressierte  nehmen diese Worte zur Kenntnis - sie geben ein grobes Zeitmaß dafür an, wie lange man mit den Folgen und Begleiterscheinung der Pandemie rechnen muss.

Die Regierenden werden ihr Volk lange bei der Stange halten müssen. Lars Klingbein, Generalsekretär der SPD, deutet im Mittagsmagazin an, wie das bei der Stange halten aussieht. Gefragt, ob er es für richtig halte, wie mit der überwiegend infektionsfreien Bevölkerung in Gütersloh und auch den in Quarantäne verfrachteten Infizierten in Sachen Freiheiten umgegangen wird antwortet er: Priorität hat die Gesundheit. Es genügt unverschuldet krank zu sein, um hinter Gitter zu müssen. Es genügt, in der Nähe von Erkrankten zu leben um selbst wie ein Aussätziger behandelt zu werden. 

Nichts wie weg. Aber wohin geht die Reise, wenn es keinen Ausweg gibt? 

 

99. 24. Juni 2020

Dann gibt es wieder Bevölkerungsgruppen an deren Schicksal niemand denkt: was machen eigentlich Nägelbeißer und Nasenbohrer in Corona-Zeiten?

Winfried Kretschmann scheinen Beziehungsprobleme zu quälen. Bei der gestrigen Pressekonferenz des Landes Baden-Württemberg beklagte er die Folgen der Corinna-Krise. Nicht, dass da was mit Frau Schumacher läuft.

Angesichts der Kopfputze bei der sowj...russischen Militärparade zum 75. Jahrestag des Weltkriegsendes kommt mir ein Beitrag über das richtige Verhalten beim Benutzen öffentlicher Toiletten in Corona-Zeiten in den Sinn. Nach dem Geschäft Luft anhalten und unbedingt erst dann abziehen, wenn der Toilettendeckel zugeklappt ist.

Der populäre Impfgegner, Partylöwe und Stripper Novak Djokovic hat sich auf der von ihm organisierten Adria-Tour beim Bad in der Menge mit Corona infiziert. Ich dachte bislang Schadenfreude sei mir fremd.

Jochen Breyer interviewt einen Mann, der sich weigert Nasen-Mundschutz zu tragen. Wenn diese Verpflichtung beibehalten werde bliebe ihm nur Wahnsinn oder Selbstmord. Der Mann beklagt sich dass der Anblick der Maskierten in der Stadt ihn in den Irrsinn treibe und wird von Jochen Breyer nach allen Regeln der Kunst vorgeführt. Weder weiß der Mann zu sagen, welche Experten wie er behauptet vom Tragen der Maske abraten, noch gelingen ihm vollständige Sätze. Zu allem Überfluss schüttet der Mann beim Interview Bier in sich hinein. Das passt, denn das Interview wird für die Sendung "Volle Kanne" geführt.

Das Interview stellt bloß, aber nicht den Interviewten, sondern Jochen Breyer. Ihm wird wohl bewusst sein, dass der Auftritt seines überforderten und in ungünstiges Licht gerückten Interviewpartners, der mit vollem Mund und angesäuselt Halbsätze vor sich hin nuschelt, sämtliche Kritiker der Maskenpflicht als besoffene Idioten diskreditiert. Jochen Breyer missbraucht seinen Interviewpartner um seiner persönlichen Meinung Nachdruck und Wirkung zu verschaffen - mit dem Bemühen um Sachlichkeit und Objektivität hat das nichts zu tun. Das ist gezielte Beeinflussung der öffentlichen Meinung. 

Buchungen von Urlaubern aus Gütersloh werden umgehend storniert. Autofahrern mit Gütersloher Kennzeichen zeigt man den Stinkefinger. Es bedarf nicht - wie von Markus Lanz und anderen ins Spiel gebracht - eine Ausreiseverbotes. Man kann auch durch Ächtung dafür sorgen, dass die Gütersloher in ihrem Landkreis bleiben statt sich einem öffentlich Spießrutenlaufen auszusetzen. Armin Laschet warnt vor Stigmatisierung, er geht mit einigem Recht davon aus, dass die Grillmeister in den Nachbarkreisen unbehelligt von Seuchenvögeln aus Gütersloh in Ruhe ihre Tönnies-Bratwürste an Flussufern grillen wollen. 

Ohne Anhänger Armin Laschets zu sein bleibt festzuhalten, dass die derzeitigen Hotspots in NRW nichts mit dem allgemeinen Verhalten der Bevölkerung und mit Nichteinhaltung der Hygieneregeln im öffentlichen Raum zu tun haben. Ursachen sind die gemeingefährlichen Verhältnisse in Massenunterkünften und Betrieben. Das Infektionsgeschehen ist auf einen Mangel an Prävention zurück zu führen. Man hat Verhältnisse in der Fleischindustrie geduldet, von deren immensem Gefährdungspotenzial man wusste - diese Betriebe hätte man präventiv schließen müssen, statt nun nicht infizierte Menschen prophylaktisch in Quarantäne zu zwingen.

Nett, die Baden-Württemberger. Da wird extra für Bundesinnenminister Horst Seehofer ein bei der Randale in Stuttgart demolierter Polizeiwagen wieder herbei geschafft, vor dem Horst Seehofer sich öffentlichkeitswirksam ablichten lässt. Bei der Bundespressekonferenz wird gefragt, ob der Inszenierungscharakter der Veranstaltung nicht der Glaubwürdigkeit seines Sachanliegens - schützend seine hünenhafte Wandergestalt vor die Polizei zu stellen - erheblich schadet. Die Bundesregierung antwortet darauf, Herr Seehofer habe ein Interesse daran gehabt, den Originalschauplatz des Gewaltexzesses in Anschauung zu nehmen. Statt dessen besuchte er den Schauplatz eines Schauspiels, plakativ in Szene gesetzt um glaubhafte Empörung zu demonstrieren.  

Der Phoenix-Beitrag `45 Grad` befasst sich mit der Friday for Future-Bewegung in Zeiten von Sars-Cov2. Als Aktivist von FfF müsste man sich von der Pandemie veralbert vorkommen - denn die Pandemie ist wie eine globale Umsetzung des Satzes: Fürchte Dich vor Deinen Wünschen, denn sie könnten in Erfüllung gehen. Wozu sich die Politik nicht aufzuraffen vermag, das tut das Virus: es handelt und zwingt Regierungen in einen Krisenmodus. Der Wandel der klimatischen Gegebenheiten durch die Lockdowns dieser Welt ist so radikal, wie der Preis für die Lockdowns hoch ist und in einem katastrophalen Ausmaß in Kauf genommen wird. Wir erlebten Himmel ohne Kondensstreifen, die Reduzierung von CO2-Emissionen und Feinstaub in der Luft, die Beseitigung von akustischem Müll. Doch um welchen Tribut: Erst starben die SeniorInnen in den Pflegeheimen, jetzt vermehrt die Armen, die verstärkt unter Vorerkrankungen leiden. Auf den Äckern, die vernichteter Regenwald hinterlässt, entstehen mehrschichtige Massengräber, in denen Leichen auf Leichen gestapelt werden. Parallel zur Erholung des meteorologischen Klimas verdüstert sich das soziale und ökonomische Klima - Welt in Angst, die krisenbedingte voraussichtliche Erreichung von Klimazielen wird erlebt als ironisches Menetekel, das Erfüllen von Klimavorgaben wird nicht mit Beifall bedacht: es wird zum Signal der Apokalypse so als teile COVID19 der Welt mit, dass die Klimaziele nur ohne Menschen zu realisieren sind. Für Fridays for future ein Dilemma - denn aus dieser Situation eine Aufbruchstimmung für Klimawandel zu erzeugen, ist kaum zu leisten. Kopfschüttelnd stellt man der Bewegung die Frage: Zukunft? Welche Zukunft?

Nun, da die Neugier auf die nächste Volte der Pandemie abgelöst wird vom schreckhaften Blick in ökonomische, soziale und psychologische Abgründe, die Überraschung über Entenkolonnen, die die leer gefegten Straßen besuchen und über Rehe in Parkanlagen der Furcht vor einer unbegrenzten Depression weicht, der Angst vor nicht endender Arbeitslosigkeit, vor der unbestimmten Dauer der epidemiologischen Lage und ihrer Konsequenzen, der Permanenz von Freiheitseinschränkungen, Kontaktsperren und Quarantänen steigt die Zahl der Verzweiflungstaten, die Ausdruck von Perspektivlosigkeit sind. Manche beginnen sogar Bücher zu lesen.

Markus Lanz zitiert Kanzleramtschef Braun mit den Worten: Die Kunst eines Anästhesisten besteht nicht darin, jemanden in Narkose zu versetzen, sondern ihn wieder aufzuwecken, was der Moderator als Metapher für Brauns Kunst versteht, Deutschland aus dem Dornröschenschlaf wach zu küssen. Das Gebrummel des Braunbären macht mich jedenfalls schläfrig und ich schalte ab. Ein Hoch auf die Mediatheken.    

Vor dem Zubettgehen lese ich einen Artikel: Aliens könnten schwarze Löcher zur Energiegewinnung nutzen.  Mich übermannt ein intensives Fernweh und ich träume mich durch ein Wurmloch südwärts.  

 

98. 23. Juni 2020

Böses Erwachen mit einem Satz Horst Seehofers im Kopf: Strafe ist die beste Prävention. Die deutsche Fassung von Minority Report: Strafen bevor sich überhaupt ein Vergehen ereignet. Gruselig. 

Im Lokalteil der WAZ ein Artikel zum `Risiko Sammelunterkünfte`. Mit Fragezeichen. `Eine klare Antwort, wie die Belegung der Unterkünfte entzerrt wird, wie viele Geflüchtete maximal zusammenleben oder eine Toilette nutzen, gibt die Stadt Bochum nicht.`Noch soll keine Corona-Infektion in diesen Unterkünften bekannt sein.` Das klingt wie bei Tönnies abgeschrieben - statt präventiv vorzugehen und Infektionen vorzubeugen wird der Umstand dass es noch kein Infizierter registriert wurde zum Anlass auf Prophylaxe zu verzichten. Anscheinend müssen sich die Denkzettel erst zum Drehbuch eines Katastrophenfilms zu verdichten, bevor man agiert statt abzuwarten.  

Mittlerweile eine Rarität: Professor Wieler gibt eine Pressekonferenz. Der Tenor liegt eher darauf wachsender Unruhe durch zunehmende R-Werte und Infektionszahlen vorzubeugen. Betont wird die hohe Anzahl von Landkreisen ohne oder mit weniger als 5 Neuinfektionen in den letzten 7 Tagen, sowie die lokale Begrenzung von Infektionsgeschehen. Ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt: die Aussage grade angesichts lokaler Ausbrüche in Betrieben müsse sich die Bevölkerung nach wie vor mittels der geläufigen Maßnahmen schützen betont Prioritäten ebenso wie sie Gefahrenherde benennt. Im Klartext - nicht der Andere ist die Corona-Hölle vor der man sich schützen soll, sondern der systemrelevante Massenbetrieb nebenan, der so weiter weiter wurschteln darf wie bisher. 

Der letzte Cowboy weint in Gütersloh, und seine Kinder dürfen nicht zur Schule. Dank Hotspot in der Kühlkammer darf Armin Laschet einen erneuten Versuch unternehmen sich als Krisenmanager zu bewähren und verkündet den lockdown für den Landkreis Gütersloh. Erster Erfolg: es gelingt ihm das Wort `Brennglas` während seiner Pressekonferenz zu vermeiden.   

Das ZDF-Polit-Magazin `Frontal` präsentiert einen Beitrag unter dem Titel `Infektionsrisiko Armut`. Eigentlich sollte dieser Beitrag `Infektionsrisiko Reichtum` heißen. `Infektionsrisiko Armut` klingt nach selbst verantwortetem Elend, und die Risikominimierung sei einfach: Hygieneregeln beachten, Armut vermeiden. Doch die beengten Verhältnisse mit heiklen hygienischen Bedingungen, in denen beispielhaft die Beschäftigten der Fleischindustrie leben sind Resultat von Profitgier. Wie das funktioniert illustriert der Umstand, dass sich bis zu drei im Schichtbetrieb arbeitende Heloten ein Bett zum Schlafen teilen müssen, für die alle drei von ihrem Mindestlohn bis zu 200 € Miete bezahlen. In derartigen Lebensumständen sollen die Beschäftigten nun in Quarantäne - bei steigenden Temperaturen und hinter Zäunen. 

Man könnte einiges zu Markus Lanz Sendung schreiben, in der es ebenfalls um das Lichterloh in Gütersloh geht. Zu einem Imagefilm der Tönnies-Gruppe, dessen Komparsen Tausende toter Schweine sind: heraushängende Gedärme zu fröhlicher Musik. Wenn das als Imagepflege funktioniert, muss man sich über den Charakter der Zielgruppe keine Illusionen machen. Hängen bleibt jedoch außer den Gedärmen die Eilfertigkeit, mit der der Moderator seine Suggestivfragen stellt: warum man denn den Bewohnern des Landkreises nicht die Ausreise verbietet? Die einzigen Maßnahmen die dem Impressario wirkungsvoll dünken sind Verbote. Staatsjournalismus nach russischem Vorbild, für den die GEZ Gebühren kassiert.  

 

97. 22. Juni 2020

Die Symbolik ist unverkennbar. Die Infektion beginnt beim Apres-Ski und betrifft zunächst die Begüterten. Sie trifft schließlich die sozial Benachteiligten, die "auf engem Raum in Kontakt sind oder sogar leben, ohne dass die hygienischen Mindeststandards eingehalten werden können. Das betreffe enge Wohnungen genauso wie Sammelunterkünfte für Flüchtlinge, Notquartiere für Obdachlose und Frauenhäuser. Ärmere müssen öfter zusammenrücken, weil sie wenig Platz haben oder auch nirgendwo hin können oder unter schlechten Arbeitsverhältnissen wie in der Fleischindustrie arbeiten" (Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverband in der WAZ von heute). Natürlich tragen die Skiurlauber, die sich in Ischgl infizierten, keine Schuld an der Infektion. Dass der Lebensstil der Wohlhabenden und auch der des Mittelstandes elende Lebensbedingungen der weniger Glücklichen voraussetzt lässt sich gut am Beispiel der Fleischindustrie und der in ihr Beschäftigten zeigen. Mittlerweile 1300 Infizierte bei Tönnies - ein Ausbruch, der das Potenzial dafür hat eine zweite Infektionswelle auszulösen. Die Lektion: Pandemien einzudämmen setzt voraus, gegen soziale Benachteiligung vorzugehen. Anderenfalls rächt sich die Armut in Form pandemischer Feedback-Schleifen, nicht nur als Infektionsgeschehen, sondern auch als exzessive Gewalt. Stuttgart wird weder ein Einzelfall bleiben, noch wird man von Einzelfällen reden dürfen, wenn deren Anzahl exponentiell wächst. 

Aus der Sehnsucht nach abgeschiedenen Orten erwächst eine Strategie. Meide Ballungszentren. Meide die Nähe von Großbetrieben. Meide die Innenstädte. Meide Wochenendausflüge in Naherholungsgebiete. Meide Bahnhöfe und Flughäfen. Finde schwer zugängliche Buchten. Finde ausgesetzte Pfade ohne Wegmarkierung. Sei Einzelfall. 

Eine BPK in gereizter Stimmung. Der Bundesinnenminister kündigt an Strafanzeige gegen die taz-Autorin Hengameh Yaghoobifarah zu stellen, die "hasserfüllte Fratze der Linken", wie auf einem von der CSU veröffentlichten Steckbrief der Autorin zu lesen war, wegen ihrer Glosse "All cops are berufsunfähig." Sie hatte - was unerträglich ist, aber kaum eine Straftat bedeutet - Polizisten in ihrer Glosse als `Müll`bezeichnet. Die vierte Gewalt wehrt sich gegen Drohungen und die Einschränkung der Pressefreiheit. Hort Seehofer begründet wörtlich enthemmt sein Vorgehen mit den Worten: "Der Enthemmung der Worte folgt unweigerlich die Enthemmung der Taten" und insinuiert, der TAZ-Artikel habe die Krawallmacher in Stuttgart zu ihrem Handeln bewogen. Dafür gibt es nicht nur keinerlei Indizien, es ist auch eher abwegig anzunehmen, dass die jugendliche Stuttgarter Partyszene zur Stammleserschaft der taz gehört. Besonders unangenehm wird Horst Seehofers Äußerung durch ihre Beispiellosigkeit. Dunya Ayali legt auf Twitter den Finger in die Wunde: `kann ich dann jetzt auch mit klagen gegen hildmann: juden schuld am holocaust, gauland: vogelschiss und jeden anderen rechnen, der sich geschichtsrevisionistisch, beleidigend, drohend, rassistisch äußert? Toll.` Es hätte viele Anlässe gegeben, gegen Äußerungen von rechts rechtlich vorzugehen. Statt dessen wird ein Exempel gegen eine eher dem linken Spektrum zuzurechnende Autorin statuiert, und damit das Geschäft der AfD betrieben. Die  Regierungsbank windet sich, wiegelt ab und beantwortet keine Fragen (auch nicht zum Thema Lufthansa, wirecard und Tönnies). Sie bezieht insbesondere keine Stellung zu dem unerträglichen Steckbrief in einem Tweet der CSU, mit der die Journalistin quasi zur Vogelfreien erklärt wird - ein Vorgehen, das nicht spanisch, sondern ungarisch vorkommt. 

Beziehungspflege. Treffen mit einer Freundin, die zur Entspannung Aquarelle produziert. Eine bald illegale Kunst, wenn in naher Zukunft Wasser rationiert wird. Ich verstecke mich hinter meiner Sprache um nicht das zu sagen was ich sagen will. Ältere Menschen schieben Kinderwagen vor sich her, damit niemand merkt, dass sie einen Rollator benötigen. 

Wenn ich noch einmal das Wort Brennglas höre brenne ich durch: Bei Plasberg geht es ums Zerfleischen der Fleischindustrie. Mit dabei Karl Josef Lauterbach, Karl Laumann (oder sind es Karl Josef Laumann und Karl Lauterbach? Alle anderen Teilnehmer der Runde verwechseln slapstickartig ständig beide Namen) Journalist Christian Brücker,  Müslimann Christian von Bötticher (Chef von Kölln-Flocken und Vizepräsident der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie) und Katrin Göring-Eckardt, die erneut das Brennglas bemüht, das nun die Missstände in der Fleischindustrie fokussiert. Frank Plasberg charakterisiert Maulheldentum und Lippenbekenntnisse der Fleischindustrie wie folgt: `Verbale Aufgeschlossenheit bei weit gehender Verhaltensstarre`. 

Highlight des Abends ist die empörte Beschwerde des Müslimanns über die Bezeichnung der Leiharbeiter in den Schlachthöfen als Sklaven.  Schließlich herrsche Freizügigkeit der Arbeit im Europa der offenen Grenzen und die Menschen aus Rumänien und Bulgarien seien freiwillig gekommen. Das hat etwa die gleiche Qualität als würde man die Verhältnisse in Moria rechtfertigen indem man betont die Menschen in Moria seien freiwillig in das Auffanglager gekommen.  

Eine erschreckend rat- und einfallslose Schwarzer-Peter-Schieberei.  Mittendrin ein Lobbyist, der die bestehende Praxis verteidigt. Lösungsansätze Fehlanzeige. Gute Nacht.

 

96. 21. Juni 2020

"Ich erwache aus einem Traum, in dem ein metallicblaues Zwitterwesen aus Heuschrecke und Mensch mich auf einer Strandpromenade überholt. Es sieht sich mit meinem Gesicht lächelnd nach mir um. Es dauert lange, zwei Cappuccinos, bis die bedrohliche Stimmung aus dem Traum abebbt und ich daran glaube, dass ich wirklich auf meiner Dachterrasse mit Meerblick sitze und nicht nur ein Traum in einem Traum bin....Ich schaue auf den Strand. Wo sind die Strandverkäufer? Wo sind die Menschen?"

Nur die Toten haben das Ende des Krieges gesehen (George Santayana)

Brasilien begräbt aus Platzmangel seine Toten in den Gräbern anderer Verstorbener. Man kann den Wald nicht so schnell roden, dass er Platz für genügend viele Massengräber macht. Im glücklichen Deutschland sterben sterben die Menschen nicht wie die Fliegen. Dafür ereignet sich ein Massensterben von Unternehmen, deren Friedhöfe die Insolvenzgerichte sind und deren Todesanzeigen im Generalanzeiger stehen. Man wird sehen wohin das führt. Es gibt viele Tode. 

Zum Beispiel durch auf den Bürgersteigen rasende Radfahrer, mit denen man zusammen stößt sobald man vor die Haustür tritt. Alle entstauben ihre kaum genutzten Fahrräder, die in Kellerräumen zwischen Umzugkisten und Sperrmüll ihr trauriges Dasein fristeten, wer noch kein Rad besitzt kauft sich eins. Die Zahl der ungelenken, ungeübten Radfahrer, die ohne Gespür für die Gefahr in die sie sich und andere bringen die Bürgersteige und Wanderwege für sich beanspruchen, steigt ins Unermessliche. Die Radfahrer glauben, dass ihnen die Gehwege gehören. Es ist keine Bosheit. Es ist die Mentalität der Autofahrer, die auf den Drahtesel umsteigen. Sie haben das Recht des Schnelleren für sich gepachtet und übertragen es auf die Fußgängerwege. 

Amüsant: Klimaaktivisten entfernen an einem Büro der CDU das C und hängen an das verbliebene DU an SOLLST DAS KLIMA SCHÜTZEN!

Eine intelligente Sabotage vermasselte Trump seinen Wahlkampfauftakt in Tulsa, übrigens dem Ort eines Massakers an Afroamerikanern in den 20er Jahren, was dem Trump-Team wohl bewusst war. Trump-Gegner reservierten Karten für den Propaganda-Auftritt und organisierten einen "No Show"-Protest. So fand Trumps Auftritt vor Tribünen statt, die so gähnend leer blieben wie die Stadien bei Spielen der Fußballbundesliga. Gut gemacht und eindeutig sozialen Abstand gewahrt.

Eine Branche boomt: Billigparkplätze für Flugzeuge. Teruel in Spanien erlebt einen ungeahnten wirtschaftlichen Aufschwung. Man könnte auch sagen: dort hebt die Konjunktur ab. 

Es mag ja sein, dass die Regierung nicht die Wahrheit sagt. Selbst wenn das stimmt - das macht das genaue Gegenteil nicht wahr und die Behauptung das Virus sei harmlos nicht richtig. 

Tralali, tralala, Eiapopeia: Das Kulturloseste seit langem ist die Nacht der Kultur trotz Corona. Ein Sedativum für alle Schlafgestörten. 

Der Weltyogatag endet. Einatmen. Ausatmen. Wegdämmern.

 

  

95. 20. Juni 2020

"Sie werden die Krise benutzen um ohnehin schon geplante Betriebsschließungen und Entlassungen vorzunehmen" unkte mein Wanderpartner noch vor dem Lockdown. 

Karstadt-Kaufhof schließt 62 von 172 Filialen. 6000 Vollzeitstellen werden gestrichen, die Verödung der Innenstädte bekommt einen gewaltigen Schub, die Umsätze im Online-Handel ebenfalls. Verödung, Verwüstung, Ruhrgebiet.

All-mählich kommt Dunkel ins Licht. Die Ausmaße und Ausprägungen der Katastrophe werden deutlich sichtbar, ebenso die Bedrohungsszenarien. Die Schäden und deren Lokalisation kommen messerscharf zum Vorschein, auch diejenigen die durch Angst und Ignoranz entstehen. In Wohnblöcken und Betrieben grassieren Existenzangst, Klaustrophobie und Leichtsinn. Corona-Popups entzünden ihr Feuerwerk in beängstigender Nähe und alarmierender Häufigkeit, akustisch begleitet vom Quieken der Schweine. Tönnies - der Bolsonaro der Fleischindustrie. Von 1100 Beschäftigten werden 800 positiv auf Corona getestet. Was für eine Quote. Macht bei einer Gesamtbelegschaft von 7000 Beschäftigten einen Tross von über 5000 infizierten Euro-Fightern, der kreuz und quer durch Europa verschoben wird. Einer meckert in die Kamera: warum soll ich in Quarantäne? Ich fühle mich nicht krank. Andere werden in Einkaufszentren und Schwimmbädern gesichtet.

Gibt es etwa keine marinierten Nackensteaks mehr? Der Lokalteil der WAZ gibt für Bochum Entwarnung: `Schlachten ohne Einschränkungen`. Der Landwirtschaftsstaatssekretär in NRW, Heinrich Bottermann, rückt die Prioritäten zurecht: `Die Versorgung der Verbraucher mit Fleisch und Wurst ist sichergestellt.` Dann ist ja rechtzeitig zu Beginn der Grillsaison alles in Butter. Die armen Schweine werden vorläufig verschont. Sie fristen ihr Dasein auf den europäischen Autobahnen, bis sie an einer Endstation Mettsucht angelangt sind, deren Betreiber die Corona-Maßnahmen locker nimmt.  

Wie aberwitzig die Prioritäten gewichtet sind. Der Corona-Ausbruch in Gütersloh hat das Potenzial eines gewaltigen pandemischen Nachbebens. Bei einem Erdbeben sind die Nachbeben oft gefährlicher, als das Hauptbeben, da die Nachbeben bereits fragile, brüchige Strukturen erschüttern. Der Europaabgeordnete Peter Liese äußert sich entsetzt: `Das ist größer als Heinsberg`. Jedoch nur eine Randnotiz in der Zeitung. Die große Schlagzeile lautet: `Die Sorgen der Schweinemäster`.

Man müsste sämtliche Schlachtbetriebe präventiv schließen bis gewährleistet ist, das Hygieneregeln in den Unterbringungen und an den Betriebsstätten jederzeit eingehalten werden. So lange `Schlachten ohne Einschränkung` eine positive Schlagzeile wert ist wird das nicht geschehen. Während man Schulen und Kitas unbefristet schließen kann und SeniorInnen in sozialer Isolation mumifizieren dürfen - immerhin fallen sie wenn sie einsam aber coronafrei in ihren Zellen sterben ebenso aus den Corona-Statistiken des RKIs heraus wie in Transfergesellschaften verschobene Angestellte aus der Arbeitslosenstatistik - ist mit Landwirten und der großen Fleischeslust nicht zu spaßen. 

Will man den Folgen des Klimawandels wirkungsvoll begegnen, bedarf es nicht nur einer Energiewende, sondern einer Ernährungswende. Ein großer Teil unserer mit dem Klimawandel zusammenhängenden Umweltprobleme (Reduzierung der Artenvielfalt, Abholzung der Regenwälder, Wassermangel und -verschmutzung, Bienensterben, Methan) entstehen in Folge der Massentierhaltung. Jonathan Safran Foe hat in seinem Buch `Tiere essen`eindrucksvoll beschrieben, welche Mengen an Gülle und folglich Nitraten durch die Massentierhaltung in den Boden gelangen - man muß nicht Tierschützer sein, um nach der Lektüre des Buches seine Essgewohnheiten zu überdenken. Ein Green Deal, der effektiv ist, kann ohne eine Wende in der Lebensmittelproduktion nicht gelingen. Ein Thema das selbst von Fridays for Future stiefmütterlich behandelt wired.  

 

 

94. 19. Juni 2020

Am Eingang zu meiner Stammkneipe die Aufforderung: Mund-Nasen-Schutz tragen. Heißt nicht, dass ich damit Mund und Nase bedecken muss. Ich könnte den Schnutenpulli auch als Suspensorium benutzen. Tragen würde ich ihn damit auch.

Am Tresen betranken sich gestern Lokalregisseure mit Ingwerbier. `Ingwer muss dass ja trinken` lallte einer namens Ingwer Bergmann. 

Immerhin. In seiner Rede zur Finanzpolitik in der Coronakrise redet Olaf Scholz von einem `Neustart der Kultur` und von Unterstützung für Bars und Gastronomie. Ein später, für viele wahrscheinlich zu später Neustart. 

Es war zu erwarten - mit dem Verweis darauf, beim Konjunkturpaket gehe es vor allem um die kurzfristige Belebung der Wirtschaft werden die ehedem als Helden des Alltags beklatschten Beschäftigten in der Pflege und im Verkauf so gut wie nicht berücksichtigt. Aus dem Klatschen wird eine Klatsche. In der Logik des Konjunkturprogramms liegt es, eher diejenigen zu fördern, die sich ohnehin einiger Maßen durch die Krise wurschteln. Nur die werden bereit sein mehr Geld auszugeben als unbedingt erforderlich. 

Die Innenministerkonferenz der Länder gibt auf einer Pressekonferenz bekannt, dass die Länder 243 Kinder inklusive ihrer Eltern aus den griechischen  Flüchtlingslagern aufnehmen. Angenehm: die auf der PK anwesenden Innenminister loben sich nicht, sondern freuen sich.  

 

93. 18. Juni 2020

Ich schrecke aus einem Traum auf, in dem ich Hände schüttelte. Ein klarer Verstoß gegen die Hygieneregeln. 

Der Traum mag inspiriert gewesen sein von meinem gestrigen Blättern in den Palimpsesten des `Demokratischen Widerstands`. Mein Biersommelier bat mich um Sichtung und Bewertung, ob das denn nun ein Werk von links- oder rechtsaußen sei und da ich nichts Besseres zu tun hatte tat ich ihm den Gefallen. Mitherausgeber ist der Initiator des "Zentrums für Karriereverweigerung" und der Aktion "Nicht ohne uns", der - laut tagesschau.de vom 01.05.2020 (Silvia Stöber, `Jahrmarkt der kruden Ideen`) - Journalist und Dramaturg Anselm Lenz, der unter anderem am Schauspielhaus Hamburg gearbeitet und für die `Taz`geschrieben hat (anschließend wohl die Karriere verweigerte). Rechtsaußen lässt sich daher was die Gesinnung betrifft wohl ausschließen. Dachte ich. 

Durchweg fordern die Artikel eine sofortige Aufhebung der bestehenden Einschränkungen der Grundrechte - das zu tun kann Ergebnis einer Güterabwägung zwischen dem Recht auf leibliche Unversehrtheit und dem Recht auf persönliche Freiheit sein. Um eine derartige Abwägung jedoch geht es den Verfassern nicht. Wie andere politische Strömungen auch benutzt der `Demokratische Widerstand`Krisen dazu, Anhänger für radikale politische Systemwechsel zu akquirieren, den man sich schon vor der Krise wünschte - frei nach Winston Churchill: `Lasse nie eine gute Krise ungenutzt verstreichen`. Es geht nicht um Kritik am das Handeln der Regierung, sondern um deren Abschaffung. Dazu wird behauptet dass erstens der Krisenfall gar nicht besteht, zweitens dass er von interessierten Parteien (Regierung, Bill Gates) benutzt wird, um diktatorische Gewalt über die Bevölkerung auszuüben. Diese Prinzips findet Anwendung unabhängig von der politischen Couleur. Behauptungen ähnlichen Inhaltes kann man auch von Abgeordneten der AfD hören. Die Corona-Pandemie ist demzufolge eine Vogelscheuche, mit der man die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzen möchte, um sie der totalen Herrschaft einer sich auf den permanenten Ausnahmezustand berufenden Staatsmacht zu unterwerfen, die ihrerseits Steigbügelhalter für die internationalen Finanzmärkte, globalen Konzerne und die Bill-Gates-Stiftung ist. Folgerichtig fordert man die Leser dazu auf, Hände zu schüttern, sich zu umarmen, Abstandsregeln und Hygienemaßnahmen zu ignorieren. Dazu muss man das Virus selbst folgerichtig als Bestandteil einer durchtriebenen Machtergreifungsstrategie einer verlogenen Regierung sehen, deren einziges Ziel die Entrechtung des Volkes ist. Damit bedient sich der Kampf um die Wiedererlangung der Freiheitsrechte der selben Methoden, deren sich Bolsonaro, Trump und auch die AfD bedienen, die die Pandemie verharmlosen, um ihre eigene Agenda verfolgen zu können. Sieht man den `demokratischen Widerstand` als links, so handelt es sich bei dessen Weltbild um ein linksnationales. Sämtliche Beiträge sehen nicht über den Tellerrand Deutschlands hinaus, so als sei Sars- Cov2 ein rein deutsches Thema und als gebe es die Toten und Infizierten in Italien, Spanien, Indien, den USA und so weiter nicht  - andere Länder und deren Lage werden komplett ausgeblendet, wenn überhaupt etwas außerhalb der Grenzen Deutschlands existiert, so sind es amorphe, böse Mächte. Zudem unterstellt man der eigenen Regierung eine geradezu überragende, verschwörerische Intelligenz und das systematische Vorgehen eines Superalgorithmus in einem Quantencomputer - während man gleichzeitig zum Beispiel der Kanzlerin fehlende Intelligenz und Phrasendreschen attestiert. Die Beantwortung der Frage, welchen Nutzen denn zum Beispiel handelnde Figuren wie Angela Merkel von der Durchführung eines solchen Planes hätten bleiben die Verfasser der Beiträge schuldig.

Als Mitherausgeber wird der Philosoph und Soziologe Giorgio Agambens genannt, der behauptet, nie von der Zeitschrift ´Demokratischer Widerstand` gehört zu haben. Dass seine Überlegungen die Herausgeber inspiriert haben, ist indes plausibel. Seine auf die Regierung in Rom bezogene These `Weil sich in der sinnentlernten modernen Gesellschaft das menschliche Leben aufs Überleben reduziere, ziele alles Handeln darauf ab, die reine biologische Existenz zu retten. Getrieben von der panischen Angst, auch noch das letzte ihnen Verbliebene zu verlieren, das nackte Leben, flüchteten die epidemisch einsamen Bürger in die Armer des autoritären "monströsen Leviathan mit dem gezückten Schwert" und opferten ihm ihre Freiheit.` (Thomas Assheuser, `Menschenopfer für den Kapitalismus`, 21. April 2020). Von dieser These ist es ein kurzer Weg bis hin zu der Forderung, der Lebenslust der Lebensfrohen, die sich ohne florierende Wirtschaft nicht auszutoben vermag, seien die verbrauchten Körper der Alten zu opfern. Selbst wenn man dieser Auffassung ist - wie zum Beispiel Boris Palmer - müsste man zynischer Weise sagen, dass sich dann Kritik an der deutschen Regierung verbietet, denn: `Erschreckend war, wie schlecht der Staat seine Senioren schützen konnte. Die Todesraten in Alten- und Pflegeheimen war beschämend.` (Jörg Quoos, `Das Virus lebt`, WAZ von heute) Doch hier war nicht raffinierte Biopolitik am Werk, sondern es handelt sich schlicht und ergreifend um politisches Versagen.

Die heutige Regierungserklärung der Kanzlerin zur deutschen Ratspräsidentschaft im Europäischen Rat betont wenig überraschend die überragende Bedeutung einer starken europäischen Union im `postamerikanischen Zeitalter`. Ziele wie die Bekämpfung des Klimawandels, die Umsetzung des `Green Deal`, die Gestaltung einer neuen Arbeitswelt im digitalen Zeitalter und die strategische Positionierung gegenüber den USA, Russland und China löse nur ein starker Verbund. Sie sagt es nicht direkt - aber es geht darum, ob es die Vereinigten Staaten von Europa gehen wird. Was Frau Weidel von der AfD dazu meint ist klar: Germany first. Auch hier bleibt unausgesprochen, dass man in der AfD bestimmt gerne sehen würde, dass man sich wie das Exorzismus-Land Polen Donald Trump geneigt zuwendet.

Christian Lindner gibt der Merkel und Macron die Anregung mit auf den Weg, eine Europäische Gemeinschaft für Wasserstoff zu gründen. Diese Idee nicht gut zu heißen nur weil sie von Christian Lindner ist bringe ich nicht über mich.  

Interessanter als die Aussprache zur Regierungserklärung der Kanzlerin ist die Aussprache über den Antrag der FDP zur Aufhebung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Die Frage, die im Raum steht ist: wie lange dauert eigentlich noch die Stunde der Exekutive (immerhin dauert diese schon drei Monate). Diese Frage stellt sich nicht zu Unrecht, denn die Feststellung der epidemischen Lage gewährt der Regierung - insbesondere dem Gesundheitsminister -  Vollmachten, im Interesse der Schnelligkeit national zu handeln und Grundrechte einzuschränken. Zum Teil waren die Redebeiträge seitens der Regierungsparteien (inklusive Grüne) erschütternd. Erwin Rüddek von der CDU rechtfertigte beispielsweise die Ablehnung der Aufhebung mit dem hohen Zustimmungsgrad in der Bevölkerung. Seit wann rechtfertigen die Werte von Umfragen besondere Machtbefugnisse der Bundesregierung? 

Der Satz des Abends bei Markus Lanz stammt von jemandem, der gar nicht Gast in der Sendung ist: der Gastgeber zitiert Sebastian Pufpaff. Im Kapitalismus kann jeder reich werden. Aber nicht alle. Das zu Beginn. Was folgt ist Markus Lanz Versuch im Talk mit der Bundesjustizministerin Christine Lambrecht das Strafmaß für Kinderpornographie zur Todesstrafe hochzujazzen und sich von jeder Form von Populismus zu distanzieren. Dann darf der Prechtbursche Werbung für sein neues Buch treiben. Den Vorschlag des Abends unterbreitet Kabarettist Chin Meyer. Zwar seien Massenveranstaltungen derzeit nicht erlaubt und deswegen treten Künstler nicht vor Publikum auf. Aber offenbar sei es unmöglich sich im Flugzeug zu infizieren. Da könne man doch von der Lufthansa fordern dass auf jedem Flug Künstler ihr Liveprogramm vorstellen dürfen. Frau Lambrecht versprach, den Vorschlag ins Kabinett zu bringen.

Der ernste Hintergrund: wenn die existenziellen Sorgen zunehmen, die fortgesetzten unbefristeten Kontaktbeschränkungen eines langen sozialen Winters die Menschen zermürben werden die Menschen Unterhaltung, Kultur und ein gastronomisches Angebot benötigen, um die psychischen Belastungen der Dauerkrise zu kompensieren. Gehen Kulturlandschaft und Gastronomie vor die Hunde droht eine schwere sozialpsychologische Dürre. Was tun? Einfach die Künstler nicht unterstützen, denn Not macht ja erfinderisch. Aber auch kreativ?

Ich falle in Kreativschlaf. Bis Morgen. 

   

92. 17. Juni 2020

Das Leben hat keinen Sinn mehr - ich habe Markus Lanz verschlafen. Und das, obwohl der Fernseher lief, Kevin Kuhnert ein Lautsprecher ist und ich nicht betrunken war. 

"BGH verhandelt über Recht auf Vergessen" (WAZ Panorama von heute). Ich war bislang der Auffassung, dieses Recht sei unstrittig. Offenbar sieht Google das anders. 

Der FDP-Politiker Otto Fricke fordert bei Phoenix vor Ort Steuererleichterung für Unternehmen, während die Katastrophenbauchbinde am unteren Bildrand informiert: 34000 Neuinfektionen in Brasilien allein in den letzten 24 Stunden, Kriegerischer Konflikt zwischen China und Indien, Türkei beschießt PKK-Stellungen im Nordirak. Der Corona-body-count degradiert die Toten der Kriege, das Elend der Flüchtlinge, das Schicksal der Tagelöhner in Indien zu Notizen aus der Provinz. In Deutschland balgen sich Gartenzwerge um Inhalte von Konjunkturpaketen.  

Professor Ulrich Kelber, seines Zeichens Bundesdatenschutzbeauftragter, belehrt mich auf einer Pressekonferenz hinsichtlich des Diskriminierungspotenzials der Corona-Warn-App eines Besseren. Arbeitgeber oder Restaurantbesitzer, die den Nachweis über die Nutzung der App verlangen, verstoßen gegen bestehendes Recht. Meine Mutmaßungen über verdeckte strategische Erwägungen, die beim Verzicht auf die Verabschiedung eines Gesetzes zur Corona-Warn-App eine Rolle gespielt haben mögen gehören ins Reich haltloser Spekulation. 

Corona und Depressionen. Es kann kaum so viele Therapeuten geben wie es erforderlich wäre, um den psychischen Winter zu bekämpfen, in den die Krise viele stürzt und stürzen wird. Da keine Therapie imstande wäre handfeste ökonomische Ursachen von Depressionen zu beseitigen, wäre der Therapieerfolg in etlichen Fällen zudem äußerst fraglich. Selbst wenn die ökonomischen Voraussetzungen im Einzelfall intakt bleiben heißt das nicht, dass man in Folge von mit der radikalen Veränderung der Lebensumstände verbundenen Erschütterungen nicht zerbricht. Es sind Details, die sich zu einer niederdrückenden Atmosphäre aufschaukeln: im Cafe´ eine Frau die über eine Bildzeitung gebeugt unablässig hysterisch lacht. Eine Bäckereifachfrau, die auf den Nasen-Mundschutz flucht, den sie auch in der Hitzeperiode des Sommers 8 Stunden am Tag tragen soll. Die zu Alarmsignalen erstarrten Gesichter, ein Student, der Passanten um Geld bittet. Die Berichte über die Bemühungen von Unternehmen und Branchen, den Betrieb wieder aufzunehmen. All die verkrampften Versuche die Scherben der Vase mit der Gravur Normalität und der Verzierung menschliche Nähe wieder zu einer bruchlosen Gefäß zusammen zu fügen...dieses Gebilde Alltag, das aus Brüchen, Warnsignalen, neuen Unbequemlichkeiten, Bedrohungen, Vorsichtsmaßnahmen, Kontaktblockaden zu einem unschönen Unganzen zusammengesetzt wird wie ein Bild aus Puzzlestücken, die nicht ineinander passen, die Freizeitgestaltungen, die nicht mehr ohne Entblößung personenbezogener Daten erlaubt sind, der Mummenschanz der Masken, mit denen wir uns gegenseitig als potenziell verseucht markieren, dazu das beklemmende Gefühl, erst den Beginn einer persönlichen und allgemeinen Katastrophe zu erleben, die eingebettet ist in eine noch dramatischere globale Krise, die mit Dürre und Artensterben einhergeht - all das wird ohnehin schon vorhandene Ängste und psychische Probleme um viele Grade Hoffnungslosigkeit verstärken. Da helfen auch die Fußballbundesliga, bunte Warnapps und Beifall für mutige Testtouristen wenig.  

In den Debatten und Sendeformaten, die sich mit den Ausprägungen und Folgen der Coronakrise befassen, wird über psychologische Folgen und den Umgang mit ihnen bislang kaum geredet. Dabei ist es vor dem Hintergrund des als erforderlich angesehenen wirtschaftlichen Aufschwungs dringend notwendig, psychologische Faktoren zu berücksichtigen. Wenn Konsum belebt werden soll und unternehmerisches Handeln gefördert, führt wohl kaum ein Weg daran vorbei, dem Gefühl des Kontrollverlustes entgegen zu wirken, das mit der Einschränkung von Grundrechten und den Kontaktbeschränkungen einhergeht. Die Fixierung auf das Befolgen von Verhaltensregeln und die Organisation des wirtschaftlichen und sozialen Lebens rund um das Thema Eindämmung von Infektionen lähmt Initiativen - aus der Arbeitswissenschaft ist bekannt, dass Kontrollverlust und Störungen der Arbeit wesentliche Ursachen der Beeinträchtigung physischer und psychischer Gesundheit und somit auch der Qualität von Arbeit und Leben sind. Derzeit lebt und arbeitet die Gesellschaft unter den Bedingungen eines unbefristeten Störfalls und Kontrollverlustes. Es wäre viel gewonnen, würde man die bisherigen Maßnahmen dringend empfehlen, statt sie anzuordnen. Der Rückgewinn einer gewissen Kontrolle über das eigene Verhalten würde dem Empfinden von Hilflosigkeit und Passivität entgegenwirken - die Bedenken gegen derartige Lockerungen sind zwar nachvollziehbar, doch auch die Konsequenzen eines fortgesetzten Klimas der Paralyse und Hilflosigkeit sollten bedacht werden. Damit wäre indes das Thema psychologische Folgen lediglich angerissen. Dringend erforderlich wäre zunächst einmal, dieses Thema überhaupt verstärkt in das Zentrum des öffentlichen Interesses zu rücken. Im Umgang mit SeniorInnen konnte und kann bislang keine Rede davon sein. 

Die Bundestagsdebatte zum Gedenktag 17. Juni 1953: Eine Erinnerung daran, dass Demokratie nicht nur eine Errungenschaft ist, sondern immer bedroht ist. Angesichts der um sich greifenden Autokratien und der in Anbetracht der Corona-Krise zu erwartenden sozialen Konflikte ist die Würdigung dieses Gedenktags umso wichtiger. Die Abgeordneten der verschiedenen Parteien gedenken des Mutes der gegen den stalinistischen Totalitarismus aufbegehrenden Menschen. Mit Ausnahme der durch Pöbeleien auffallenden AfD-Fraktion, deren Verhalten noch mehr über die Partei verrät als die Reden ihrer Abgeordneten, die das Gedenken der Opfer des 17. Juni zur Diffamierung anderer Parteien missbrauchen.  

400 Corona-Infizierte in einem Schlachtbetrieb von Tönnies. Die eigentliche mit Trauermiene vorgetragene Hiobs-Botschaft verkündet der Phoenix-Moderator ausgangs der Meldung: 20 % weniger Fleischprodukte auf dem Markt. Da beißt man sich vor Schreck in den eigenen Schenkel. 

In einem Beitrag zum Thema "Homeoffice" erklärte ein männlicher Interviewpartner, welche Vorzüge für ihn das Arbeiten im Homeoffice hatte. `Ich hatte mehr Zeit für meinen Hund, mein Kind, und...ach ja, auch für meine Frau.` Ein Familienbild, bei dem man sich fragt ist es `nur` erzreaktionär oder noch schlimmer?    

Werbung vor dem heute-journal: erst ein Werbespot für das Schlafmittel Neurexan, für all diejenigen, denen die Lebensumstände in der Corona-Krise den Schlaf rauben (Achtung: Hamstern. Dank reduzierter Mehrwertsteuer lohnt es sich, einen Vorrat an Sedativa anzulegen, der für einen Big Sleep genügt). Wem damit nicht geholfen ist, er möge zur Lektüre des Schwarzbuches `Woher, wohin - aber mit Sinn` von Ignaz Walter greifen, dem der nächste Werbespot gewidmet ist. Ein tiefschwarzer, an die Bibel erinnernder Einband, dessen finsteres Design alleine genügt um einen in einen tiefen Schützengrabenschlaf zu fallen.  

Viele Termine - wenig zu kommentieren. Ein weiteres Konjunkturpaket, eine Pressekonferenz der Ministerpräsidentenkonferenz, die demonstrativ Eintracht und Einigkeit bei der länderübergreifenden Beibehaltung der Hygieneregelungen zeigt. Markus Söder fürchtet den Ballermann und wirft ihn mit Ischgl in einen Topf. Nicht nur ein Affront gegenüber Spanien, sondern sachlich falsch und ungerecht - denn der Ballermann war kein Hotspot und produzierte keine Superspreader - im Gegensatz zu den bajuwarischen Bierzeltfesten. Bis es einen Impfstoff gibt lebt man weiter unter dem Diktat von Abstandsregeln, OP-Masken und Kontaktbeschränkungen. Ein notgedrungenes, sozialpsychologisches Experiment, dessen Bedingungen die wirtschaftliche Entwicklung verschärfen wird. Egal, ob man dies für angemessen, geeignet und verhältnismäßig erachtet - das bleibt Realität. Kontrollverlust, Furcht und das Bedürfnis, sich permanent zu waschen bestimmen die Befindlichkeit. Was bleibt da zu schreiben? Außer zu dokumentieren: das geschieht mit einem. Dazu muss man nicht mehr jede Talkshow sehen. Ich geh dann mal ein Kontaktformular ausfüllen und ein Bier trinken. 

Es bleibt bei einem Bier. Am Tresen drängeln sich die Menschen und suchen den Kontakt als handele es sich um eine Redaktionssitzung des `Demokratischen Widerstands`. Die Plexiglastrennung zwischen mir und dem Personal hinterm Tresen schwankt, mit ihm die Spiegelungen und ich fühle mich hinreichend besoffen. Ich suche das Weite und finde meinen Fernseher.

Im Auslandsjournal ein Beitrag über die Situation von Schwulen, Lesben und Transgender People in Polen. Ein 15-jähriger Exorzist streckt den Demonstranten der LBTG-Bewegung ein Kruzifix entgegen. Ein Pärchen verkündet stolz vor der Kamera: Wir Polen werden niemals tolerant sein. Katholische Kirche, Politik und große Teile der Bevölkerung halten Homosexualität für Krankheit und Sünde. An den Universitäten stehen Exkommunikationswissenschaften auf dem Lehrplan (...noch nicht, kommt aber bestimmt nicht). Die EU als Werteunion? So hoffentlich nicht. 

Es mag ja etwas dran sein an Klagen über die zu einseitig maskenfreundliche Berichterstattung öffentlich-rechtlicher Medien, dennoch sind die Ausnahmen von dieser Regel so erheblich wie die Krankheitsausbrüche in Schlachtbetrieben. Der ZDFZoom Bericht über die WHO, Trump und China geht jedenfalls nicht unkritisch mit dem Krisenmanagement auch Deutschlands um. Dass die WHO - gleichwohl zu spät - bereits Ende Januar den epidemischen Notfall ausrief hinderte Deutschland nicht daran Rosenmontag zu feiern und Massenevents wie Bundesligaspiele zuzulassen. Erst das Aufrufen der Pandemie fungierte als Weckruf - da hatte Taiwan, das bereits vor offiziellen Verlautbarungen Chinas auf beunruhigende Nachrichten im Internet reagierte längst präventiv reagiert. In Deutschland und anderen Ländern Europas hat man die Gefahr unterschätzt und scheute aus ökonomischen Gründen vor Konsequenzen zurück. Wie viele Infektionen hätten vermieden werden können und wie viele Leben wären gerettet worden, hätte man rechtzeitig Maßnahmen zur Eindämmung getroffen? Nicht nur das - rechtzeitige Prävention hätte den lockdown gegebenenfalls überflüssig gemacht. Statt selbstkritisch auf die Qualität des eigenen Krisenmanagements zu blicken klopft man sich auf die Schulter. Nicht nur das: sich zu brüsten die Welt blicke neidisch auf Deutschland ist abgeschmackt. Die Unterschiede der von der Pandemie betroffenen Länder hinsichtlich der ökonomischen Ressourcen über die sie und vor allem die Bevölkerung verfügen sind ein zu beklagender Missstand. Sich über den Neid anderer positiv zu definieren ist die typische Arroganz des Reichen gegenüber den armen Schluckern, auf deren billiger Arbeitskraft der eigene Wohlstand unter anderem beruht. 

Ich lanz nicht lassen - und wegen Karoline Preisler lohnt es sich, der Sendung beizuwohnen. Karoline Preisler hat sich bei ihrem Mann in Ischgl mit Corona infiziert, ist schwerst an COVID-19 erkrankt, hatte das  Gefühl bei vollem Bewusstsein zu ertrinken, überstand die akute Phase der Krankheit und einen ersten Auftritt bei Markus Lanz - nun wird sie Opfer von Diskriminierungen und Anfeindungen aus dem Netz und in ihrer Heimatstadt. Sie wird denunziert als Seuchenvogel, Nachbarn bieten ihr an ihr beim Kofferpacken zu helfen damit sie möglichst rasch die Stadt verlässt. Es ist beklemmend wie sehr ihre Erfahrungen denen der Opfer von Rassismus ähneln. Der zweite Themenblock der Sendung - struktureller Rassismus - war wohl zunächst als getrennter Themenblock geplant, durch die Schilderungen Karoline Preislers erweisen sich die Themen als eng verwandt. Die Motive der Exklusion, der Anfeindung, der Denunziation gleichen sich, die Methoden der hate-mails und Drohungen auch. Beeindruckend wird Karoline Preislers Auftritt dadurch, dass sie sich nicht als Gegenpol zu Stammgast Hendrik Streeck positioniert wie es Markus Lanz aus dramaturgischen Gründen gehofft haben mag. Hendrik Streeck vertritt den Standpunkt Sars Cov-2 sei nicht der Killervirus als der er dargestellt wird und die Lockerungen von Maßnahmen der Eindämmung seien vertretbar. Karoline Preisler widerspricht dem nicht, sondern geht auf die Ursachen ein,  die das Klima der Anfeindungen begründen, welche ihr entgegengebracht werden. So wie im Rassismus oft ein unbedachter Sprachgebrauch den Keim für dessen Salonfähigkeit legt schaffe der Sprachgebrauch unter anderem von Leuten wie Markus Lanz die Voraussetzung dafür, dass Menschen wie Karoline Preisler nicht nur Opfer von COVID-19 werden, sondern dass andere Eltern ihren Kindern untersagen, mit den Kindern von Karoline Preisler zu spielen. Markus Lanz bezeichnet den `Barkeeper mit der Klingel` aus Ischgl als `Täter`. Damit fügt er dem Klima der Angst, dass durch den martialischen, an Kriegsmetaphorik angelehnten Sprachgebrauch im Zusammenhang mit der Pandemie geschürt wird, noch die Schuldzuweisung an Infizierte hinzu, obwohl diese unverschuldet da unwissentlich andere infiziert haben. Haben die Menschen Angst, suchen sie Schuldige, die ihnen durch einen entweder - wie bei Markus Lanz - unbedachten Sprachgebrauch geliefert werden, der Verursacher mit Verschulder gleichsetzt, oder sie werden von politisch entsprechend interessierten Parteien geliefert. Der thematische Bogen, den Frau Preisler mit präzisen Sätzen schlägt definiert Rassismus als eine Ausprägung des umfassenden Themenfeldes Diskriminierung, die durch das Schüren von Ängsten, die Präsentation von Sündenböcken und durch einen bewusst oder unbewusst  tendenziösen Sprachgebrauch im öffentlichen Raum an Breitenwirkung gewinnt. Diese Frau gehört in Ethikräte und ins Parlament. Und ich ins Bett.   

 

91. 16. Juni 2020

Die Regierung befindet sich in einem Dilemma: In wie weit ist sie bereit ihrer verfassungsmäßigen Pflicht nachzukommen, jederzeit die Verhältnismäßigkeit ihrer Maßnahmen zu prüfen, wenn eine Mehrheit der Bevölkerung die Beibehaltung dieser Maßnahmen befürwortet? Regierung und Staat sind nicht dasselbe. Im Gegensatz zum Staat werden - in demokratischen Staaten - Regierungen gewählt. Es ist verführerisch für Regierungen, eine Politik des Ausnahmezustandes mit hoher Exekutivgewalt möglichst lange fortzusetzen, wenn man dazu Rückhalt aus der Bevölkerung hat - unabhängig davon, ob der Ausnahmezustand noch besteht und ob von einer unmittelbar bevorstehenden Katastrophe noch die Rede sein kann.   

Die Achillesferse demokratischer verfasster Staaten ist oft deren Regierung. Krisensituationen sind besonders heikel. Die Bevölkerung versammelt sich hinter der Regierung, die gesellschaftliche Schockstarre und die akute Bedrohung erfordern rasches Handeln ohne langwierige parlamentarische Debatten, die Opposition hat wenig zu melden und der Übergang von einem Ausnahmezustand, der zur Abwehr akuter Gefahren Einschränkungen der Grundrechte erlaubt hin zu einem gewohnheitsmäßigen Ausnahmezustand, der zur Prävention möglicher Weise drohender Gefahren aufrecht erhalten wird ist fließend. Je länger Maßnahmen aufrecht erhalten werden, die mit Einschränkungen der Grundrechte verbunden sind, desto mehr transformieren diese  Maßnahmen sich zu sozialen Standards des Verhaltens, die auch dann beibehalten werden, wenn die Maßnahmen nicht mehr erforderlich sind. Der Druck, deren Erforderlichkeit, Angemessenheit und Eignung dann noch zu überprüfen lässt nach, zumal die Aufhebung der Einschränkungen zu Konflikten mit einer Bevölkerung führt, die mittlerweile mehrheitlich deren Beibehaltung fordert. Es erfordert dann politische Selbstlosigkeit der Regierenden, gleichwohl die individuellen Freiheitsrechte entsprechend dem Verfassungsauftrag der Regierung wieder herzustellen. Derzeit ist von diesem Mut nichts zu spüren, eher ist die Angst vor der zweiten Welle Grund für die Verstetigung von Verhaltensmustern und Maßnahmen, die nur für den Ausnahmezustand und nicht für die Vorbeugung gedacht sind. 

Gelegentlich werde ich gefragt, ob ich mich als Regierungskritiker verstehe. Mir geht es (an dieser Stelle) nicht um Kritik an den Institutionen. Mich interessiert, wie die regierenden Personen ihren Regierungsauftrag interpretieren, ausführen und mit welchen Instrumenten sie arbeiten. Dabei liegt mein besonderes Augenmerk auf dem `Mundwerk`. Das stärkste Instrument der Politik, um Menschen von der Notwendigkeit ihrer Maßnahmen zu überzeugen ist Sprache. Die Janusköpfigkeit von Sprache gründet sich nicht nur auf die Differenz von Signifikant und Signifikat, sondern auch auf ihr Potenzial je nach Intention des Sprechers widersprüchliche Aussagen zu formulieren. George Orwell prägte den Begriff `Doppeldenk`. Dabei werden `zwei widersprüchliche oder sich gegenseitig ausschließende Überzeugungen aufrechterhalten und beide akzeptiert. Dadurch wird das Denken der Parteimitglieder schwammig und in Zweideutigkeit gelten, wodurch schnelle Kurswechsel sofort akzeptiert werden können, auch wenn es sich dabei um das genaue Gegenteil der zuvor noch gültigen Wahrheit handelt`(Wikipedia) Für George Orwell war dieses Beckenbauer-Prinzip (`Was schert mich mein Geschwätz von gestern`) Kennzeichen eines totalitären Regimes - dabei ist die Anwendung dieses Prinzips unabhängig vom politischen System hilfreich bei Begründungen politischer Maßnahmen. Ein Beispiel: will die Regierung begründen, wieso es richtig ist auf die Freiwilligkeit zu setzen betont sie das hohe Maß an Eigenverantwortung der Bürger, setzt sie auf Zwang betont sie die Gefahr des verantwortungslosen Handelns der Bürger. Je nach Kontrollaufwand wird entweder das hohe Maß an Eigenverantwortung betont (wenn die Durchführung der Maßnahme nicht kontrolliert werden kann) oder die Notwendigkeit des Zwangs für alle `wegen einiger Unvernünftiger` betont (wenn die Durchführung kontrolliert werden kann). Demokratie ist keine Impfung  gegen die Wirkung des `Doppeldenk`-Prinzips. 

Eine andere Methode politischer Lenkung ist die rhetorische Überdeckung strategischer Vorzüge des Tuns oder Unterlassens. Bei der Einführung der Corona-App in Deutschland hebt die Regierung hervor, es bedürfe keiner gesetzlichen Regelung, die das Diskriminierungsverbot bei Nichtnutzung der App festschreibt. Das `regele das Leben`. Schließlich habe ein Restaurantbesitzer keinen Grund, jemanden abzuweisen, der diese App nicht nutzt weil diese zum Zeitpunkt des Restaurantbesuchs noch keine Aussage über den Infektionsstatus des Besuchers zuließe. Abgesehen davon, dass ich diese Begründung nicht ganz nachvollziehen kann bedeutet der Verzicht auf die gesetzliche Regelung faktisch das Gegenteil dessen, was die Begründung für diesen Verzicht behauptet. Der Verzicht bedeutet, das der Restaurantbesitzer von seinem Hausrecht Gebrauch machen darf. Im Sinne einer höheren Bereitschaft die Corona-Warn-App zu nutzen ist es durchaus wünschenswert, wenn die Diskriminierung von Nichtnutzern den Anpassungsdruck erhöht. Der Verzicht auf eine gesetzliche Regelung duldet die Diskriminierung derjenigen, die auf die Anwendung der App verzichten. Die werden sozusagen verapplet.

Man kann auch mal etwas aus Scham über den politischen Pragmatismus bestimmter Entscheidungen verschweigen. Dass man den Fluggesellschaften erlaubt, die Flieger sogar (wie bei Ryanair) ohne Maskenpflicht und ohne Abstandsregelung voll zu packen wundert bei näherem Hinsehen nicht. Im Gegensatz zum ÖPNV und zu Fernzügen lassen sich im Flugverkehr mittels der Passagierlisten Infektionsherde gut nachvollziehen. Hauptsache. 

Ein weiterer rhetorischer Kniff besteht darin, auf gestellte Fragen zwar zu antworten, jedoch ohne die gestellte Frage zu beantworten. Markus Söder wurde auf der heutigen Pressekonferenz der bayrischen Landesregierung gefragt, wann die bestehenden Verbote in Empfehlungen umgewandelt sinngemäß wie folgt: es gelte vorsichtig einen Schritt nach dem anderen zu gehen. Man müsse sehen, wie sich die Urlaubssituation entwickele und dann komme der Herbst mit der Grippewelle. Der Journalist hat nicht gefragt, wann die Maßnahmen aufgehoben werden, sondern ab wann man den Menschen - deren Disziplin wiederholt gelobt wird - zutraut, sie auch ohne Verbot umzusetzen. Markus Söder beantwortete diese Frage nicht, stattdessen deutet er an, dass weder eine Befristung der Maßnahmen, noch eine Befristung der Verbote in Aussicht stehe - trotz der Aufhebung des Katastrophenfalls.

Was die Freiwilligkeit der App betrifft wird die soziale Kontrolle dafür sorgen, dass sie flächendeckend zur Anwendung kommt. Auch darüber - `Hast Du schon die App geladen? Sonst kommst Du mir nicht ins Haus`- werden sich Menschen entzweien.  

Die epidemologische Notlage von nationaler Tragweite sieht die FDP als nicht mehr gegeben an. Das hat mal so richtig politisches Gewicht. 

Geradezu euphorisch und triumphierend wird der schwedische Weg in Grund und Boden verdammt. Die Todeszahlen in Schweden bieten Angriffsflächen. Bei Quarks und Co wird betont, dass die dramatischen Zahlen in Schweden zu aller letzt darauf zurück zu führen sind, dass Schweden auf Empfehlungen für die Bevölkerung statt auf Verbote setzt: "Die Schweden setzen verstärkt auf die Eigenverantwortlichkeit und das scheint zum Teil gut zu funktionieren. Zwar suggerieren Bilder, etwa aus Stockholm, deutlich mehr öffentliches Leben als etwa aktuell in deutschen Großstädten, dennoch zeigen die - freiwilligen - Maßnahmen in Schweden Wirkung." Die Probleme Schwedens bei der Pandemiebekämpfung liegen im Bereich der Pflegeeinrichtungen und darin zu wenig getestet zu haben. ("Wie sinnvoll ist der schwedische Sonderweg?", Quarks.de, 12. 06. 2020). Beharrlich wird das Scheitern Schwedens nicht mit ungeeigneten Maßnahmen, sondern mit fehlendem Zwang begründet.

Selbst Demonstrationen gegen die Maßnahmen der Regierungen zur Bekämpfung der Pandemie setzen den Zwang und die Maßnahmen gleich, wenn sie sich gegen die Maßnahmen richten. Damit wenden sie sich gegen möglicher Weise sinnvolle Maßnahmen, die erst durch den Zwang in Misskredit geraten. Die Gleichsetzung von Maßnahme und Verpflichtung durchzieht auch die Publikationen zum Thema Nasen-Mundschutz. Beispielhaft sei der Beitrag "Corona: wie sinnvoll ist die Maskenpflicht wirklich?" von Andreas Schmidt zitiert (Merkur.de, 12.06.20). "Hinsichtlich der Maskenpflicht gibt es eine klare Antwort. Sie wirkt offenbar." Er bezieht sich dabei auf eine Studie, die sich lediglich auf die Wirksamkeit der Masken bezieht, nicht etwa auf die Wirkung der Verpflichtung.   

Börse vor acht: Franzosen und Italiener haben während der Krise durchschnittlich zwei Kilo zugenommen. Für Deutschland wurde der Sars-BMI noch nicht erhoben. Ich fürchte, ich treibe den Fettkurs deutlich nach oben. 

 

90. 15. Juni 2020

Demütigung durch Hilfeleistung: ein schwarzer Black-live-matters-Aktivist trägt einen rechtsradikalen Weißen huckepack aus einer Gefahrenzone. Wunderbar.

Die Datenschutzexpertin der Linken, Anke Domscheidt-Berg, äußere sich gestern im Heute Journal zu der Frage, warum die Nutzung der Corona-App nicht verpflichtend ist. Im Kern antwortete sie, dass eine Verpflichtung nichts nütze wenn sie leicht zu unterlaufen sei. Soviel zum Vertrauen Bundestagsabgeordneter in das verantwortliche Handeln der Bürger: auf Verpflichtung wird nicht verzichtet, weil man von verantwortlichem Umgang mit Freiheit ausgeht, sondern weil man von zu vielen Pflichtverletzungen ausgeht, um sie wirkungsvoll sanktionieren zu können. Moderator Kleber hakt nach: es liege doch im Wesen der Rechtsstaatlichkeit Verhaltensweisen auch dann anzuordnen, wenn sich nicht alle Regelverstöße nachhalten lassen - zum Beispiel im Straßenverkehr. Frau Domscheidt-Berg hält dem entgegen, dass sie sich von einer Freiwilligkeit eine hinreichend hohe Akzeptanz verspricht, die bei Zwang nicht gewährleistet wäre. Die Frage, in welchen Bereichen der Rechtsstaat auf Verpflichtung setzt und in welchen Bereichen auf Freiwilligkeit hat offenbar weniger mit dem hohen Gut der Freiheit zu tun, als mit der Einschätzung der Faktoren Effektivität und Kontrolle. Ein Verstoß gegen die Maskenpflicht ist schlicht einfacher festzustellen.

An diesen Beispielen lässt sich gut erkennen, was der Begriff "Freiheitlich" in der Freiheitlich Demokratischen Grundordnung bedeutet. Der Einschränkung der Freiheit durch den Rechtsstaat verleiht die Relativierung `freiheitlich` Ausdruck.  Diese Einschränkungen können sinnvoll bis verhängnisvoll sein. Das Abstandsgebot ist sinnvoll. Das Besuchsverbot in Pflegeheimen ist eine verhängnisvolle Einschränkung. Als verhängnisvoll kann sich auch der Verzicht auf Einschränkungen erweisen - dass Fluggesellschaften gestattet wird, die Mittelreihen zu besetzen könnte sich als fatal erweisen. 

Die Rivalität der politischen Systeme dreht sich darum, wie man die Produktivkräfte in der Gesellschaft optimal ausschöpft. Der Vorzug der Demokratie mag dem Vorzug des Homeoffice entsprechen - die Gewährung von individuellen Freiheiten in einer Leistungsgesellschaft erhöht die Tendenz zur Selbstausbeutung.

Zu Philipp Amthor: ein Jungspund verzockt sich über alle Maaßen.

Dass der Macrognom den Franzosen auf den Wecker fällt liegt wohl auch an seinen martialisch-pathetischen Reden. Sie hinterlassen einen möchtegern-napoleonischen Eindruck, vor allem: er redet zu einem Abstraktum namens Nation und nicht zu den Menschen. Das wirkt abgehoben und fordernd, wie ein Offizier der Opfer von seinen Truppen fordert während er im Offizierscasino Champagner süffelt. Auch er ist voller Lobes für sich, wenn er davon spricht, dass wir - L `Etat c`est moi - 10000e von Leben gerettet haben. Wie viele Menschen hätten in den Alten- und Pflegeheimen, den Krankenhäusern nicht sterben müssen wäre das Gesundheitssystem nicht marode? Eigenlob stinkt nach Verwesung. 

Ah...endlich die Bundespressekonferenz. Eine Radtour bietet sich an. 

Ich beließ es bei einem Einkauf. So wird mir das Glück zuteil noch einen Satz von Christina Routsi, Sprecherin im Verteidigungsministerium für die Angelegenheit von Personal und Nachwuchsgewinnung, zur Bundeswehr mitzuerleben, den sie  wohl nicht so gemeint hat, wie sie es gesagt hat: `Wir sind der freiheitlich demokratischen Grundordnung verpflichtet. Wir sind dem Land verpflichtet. Das passt einfach nicht zusammen.` Zu ihrer Ehrenrettung sei hinzugefügt, dass sie damit den von einem Hauptmann der KSK in einem Brandbrief an Frau Kramp-Karrenbauer angeprangerten rechtsradikalen Corpsgeist in der KSK meinte.

Volle Absicht war die Äußerung von Michael Stübgen, seines Zeichens Innenminister von Brandenburg, zur Einstufung der AfD Brandenburg als Beobachtungsobjekt: `Der Flügel ist längst der ganze Vogel`. Prägnant zusammengefasst. 

Putzig heute Robert Habeck. Er kritisiert den Rettungsschirm der Bundesregierung für Studenten, weil nur diejenige profitieren, die nachweisen dass ihr Konto leer ist. Das benachteilige Studenten, die Geld für ihre zukünftige Ausbildung zurückgelegt haben anstatt ihr üppiges Vermögen einfach zu verprassen. Stattdessen schlägt er ein Corona-Not-BaFög vor, das sich an den durch Corona verursachten Einnahmeausfällen orientiert. Habeck blendet aus, dass die Studenten zur Stützung der Konjunktur gefälligst ihr Geld ausgeben sollen - dafür dürfen sie dann unter den Rettungsschirm schlüpfen. Studenten aller Bundesländer: Bucht rasch Flugreisen eurer Wahl, damit euer Kontostand null wird. Wenn ihr den Klimaanlagen bei Ryanair nicht traut - kauft euch einen Gebrauchtwagen.

Ich bin Fan von WISO: Deutsche, macht Urlaub in Deutschland. In der Lüneburger Heide, am Edersee, in Sachsen-Anhalt. Haltet Euch fern von den Stränden meines Sehnsuchtsortes. Ich finde Dich leichter zwischen den darbenden Strandverkäufern, die zu St(r)andbildern mumifizieren. 

Frank Plasberg stellt in `Hart aber Fair` mittels eingespielter Interviewäußerungen die ersten Fluggäste bloß, die es wagen grenzüberschreitend zu verreisen. Es ist leicht den ersten Urlaubern, die nach Mallorca fliegen auf Basis von Interviewpartnern, die `Hauptsache Malle` plärren, Dummheit und Rücksichtslosigkeit zu unterstellen. Dabei treffen sie lediglich auf Basis einer unklaren Datenlage eine Risikoabschätzung - ähnlich jemandem, der abwägen muss zwischen Flugangst und Strand, oder zwischen zwei Stunden zu Fuß zur Arbeit gehen oder mit dem ÖPNV zur Arbeit fahren. Machen wir uns nichts vor: Die Aufhebung der Reisewarnungen riskiert lediglich, dass die Infektion - so vorhanden - ans Mittelmeer exportiert wird.  Wenn man kritisiert, dann sollten nicht die tollkühnen Linienflugpioniere Adressat sein, sondern Fluggesellschaften, die keinen Anlass dafür sehen Mittelreihen frei zu halten. Würde die Bundesregierung ansatzweise auf Karl Lauterbach hören, müsste sie die Aufhebung der Reisewarnung verknüpfen mit einer dringenden Warnung vor Flugreisen, was ganz offensichtlich nicht zu konjunkturellen Erwägungen passt. 

Christina Berndt setzt die Richtigkeit von Maßnahmen (erneut) gleich mit der Notwendigkeit zu Zwang. Schon ersteres ist strittig. Wenn Verzicht zum Dogma wird, das zu befolgen ist um andere zu schützen dürfte man nicht geboren werden. Wenn man denn schon da ist sollte man niemandem `Guten Morgen´ wünschen, weil der Tonfall den Anderen in den Selbstmord treiben könnte. Wolfgang Kubicki bleibt es vorbehalten darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung für eine Flugreise nicht automatisch Ausdruck von Leichtfertigkeit ist, sondern auf Basis einer vertretbaren und verantwortbaren Abschätzung der Risiken für sich und andere erfolgt. Die Infektionsrate in Deutschland ist derart niedrig, dass ein Infektionsrisiko an Bord wohl nicht viel höher ist als das Risiko eines Flugzeugabsturzes. Zur Ausübung der individuellen Freiheitsrechte gehört das Handeln auf Basis der  Abschätzung der Risiken eigenen Handelns im Rahmen des Erlaubten. Die Ausübung von Freiheitsrechten als fahrlässig zu denunzieren ist verfehlt und gefährlich. Folgt man diesem Trend, dann ist im Rahmen des Gesundheitsschutzes die Ausübung von Freiheitsrechten an sich ein Risiko für die Gesundheit anderer. Der Schutz der Bürger durch den Staat bedeutet aber eben nicht ausschließlich den Schutz von Gesundheit, sondern mindesten gleichwertig den Schutz der individuellen Freiheit. Daher müssen nicht Aufhebungen von Einschränkungen, sondern die Einschränkungen immer wieder neu begründet werden. Für Kubicki ist es klar, dass die nach wie vor bestehenden Einschränkungen von Grundrechten in Anbetracht der Entwicklung des Infektionsgeschehens nicht mehr durch einen Katastrophenfall begründet sind. Die Frage ist: wodurch sind sie dann begründet? Kubicki deutet die Antwort an, wenn er anmerkt, dass die Einschränkung von Freiheitsrechten nicht mit der abstrakten Gefahr einer möglicher Weise drohenden Katastrophe begründet werden darf.

Karl Lauterbach gibt den üblichen Warner, aber man muss ihm lassen, dass er die Fluggäste nicht diskreditiert. Er stellt nur fest, dass er derzeit keine Flugreise in einer voll besetzten Linienmaschine antreten würde. Die Akzentverschiebung im Vergleich zu Frau Berndt ist deutlich. Frau Berndt sieht das Reisen mit dem Flugzeug als unverantwortliches Handeln an, das die Gesundheit Anderer riskiert. Aber in wie fern schränkt der Flugreisende das Recht anderer auf körperliche Unversehrtheit ein? Alle an Bord gehen schließlich bewusst das selbe Risiko ein. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit wird durch Flugreisende nicht beeinträchtigt, denn - wie Karl Lauterbachs Äußerung zeigt - man muss ja nicht fliegen. 

 

89. 14. Juni 2020

Die Corona-Krise vereinigt sich mit dem Serienuniversum. Die Netflix-Serie Curoon ist - der Titel lässt es erahnen - den Corona-Opfern gewidmet. Die Geschichte rund um den Glockenturm im Reschensee, der als einziges Gebäude einer untergegangenen Stadt noch über die Wasseroberfläche ragt kommt als etwas unausgewogener Cocktail aus Horrorstory, Familiensaga und Pubertätsdrama daher. Es geht unter anderem um böse Doppelgänger aus der Vergangenheit, die vom Grunde des Sees aufsteigen um die Originale zu ersetzen und deren Leben zu stehlen. Alles nach bekannten Strickmustern erzählt, die jedoch aufgrund der durch Corona veränderten Lebensumstände des Publikums Bezüge zur aktuellen Lebenswirklichkeit der Rezipienten knüpfen. Das Konstrukt einer düsteren Parallelwelt, in der Alter Egos hausen, die neidvoll auf ihre Zwillinge in der normalen Welt blicken - das sind wir in der Covid-19-Welt der sozialen Distanz, der Kontaktsperren, der Masken, des Gegenübers als Feind, der Berührung als Bedrohung. Unsere Beklemmende Normalität hat sich abgezweigt von unserem gewohnten Leben, das irgendwo weitergeht und in das wir zurück wollen. Das Schlussbild der Serie - eine Hommage an eine Szene aus dem Film `Das Omen`- zeigt aus der Vogelperspektive Gesichter, die unter dem Eis des zugefrorenen Sees treiben. Während ihnen die Luft zum Atmen fehlt starren sie in eine Welt, von der sie durch eine unüberwindliche Grenze getrennt sind. So blicken wir auf Monitore, auf denen Filme einer Vergangenheit zu sehen sind, die eben noch unser normales Leben war. Danach folgt die Widmung. 

Serien und Sirene. Eine buchstäbliche Veränderung der Reihenfolge der Elemente des Wortes `Serien` bringt ihre Wirkung hervor: der betörende Gesang unserer Alter Egos, die unser gewohntes Leben weiter führen, lockt uns in die Tiefe.

Um zu erkennen, dass dieser Blick auf das `Gewohnte Leben` sentimental, verklärt und reduziert auf die eigene Komfortzone ist, dazu genügt der Blick auf die mit Buntstiften gekritzelte Zeichnung eines siebenjährigen Jungen aus Syrien. Es zeigt tote Kinder mit abgerissenen Gliedern, deren Köpfe im Schoss ihrer trauernden Eltern ruhen. Die Gesichter der Kinder lächeln. Sie sind aus Sicht des Zeichners in einer besseren Welt als in derjenigen, in der die Eltern und der Zeichner leben müssen. Aus einer Dokumentation über "Das Haus Assad" auf dem ZDF-Info-Kanal.

Im Zusammenhang mit `Rassismus` von `Schwarzem Humor` zu sprechen ist per se heikel: aber über den "Racial Profiling"-Vorfall, von dem Burak Yilmaz am 12. Juni 2020 Burak Yilmaz berichtete, muss er beinahe selbst kichern. Burak Yilmaz ist Dozent an einer Polizeihochschule, was seine Kollegen nicht daran hinderte, ihn im Anschluss an einen Vortrag, den er zum Thema Rassismus hielt, ohne erkennbaren Grund festzuhalten und in die Mangel zu nehmen.   

Ich und meine Mainstream-Medien. Warum ich mich denn ausgerechnet mit deren Inhalten beschäftige?  Qualitätsjournalismus - wenn wir so was schon hören! Ich weiß gerne von wo der Wind weht. Entscheidend für die Effekte von Botschaften ist nicht ihr Wahrheitsgehalt, sondern ihre Breitenwirkung. Substanzielles zum Thema Medienkritik findet man bei www.uebermedien.de.   

Presseclub zum Thema Rassismus gegen Schwarze: die Frage Cui bono wird nicht gestellt. Dabei profitieren bei jeder Form von Rassismus bestimmte Bevölkerungsgruppen von der Abwertung anderer Bevölkerungsgruppen - von der Sklaverei als kostengünstige Methode der Ausbeutung der Arbeitskraft führt eine Linie zum überproportional hohen Anteil von people of colour im Niedriglohnsektor (und in den Gefängnissen, die als Arbeitslager funktionalisiert werden). Menschen als minderwertig abzuqualifizieren hält sie von Eigentum und materiellen Werten fern, zu deren Erwirtschaften sie durch niedere Tätigkeiten beitragen. Man werfe einen Blick auf die Liste der reichsten Menschen der Welt - nicht überraschend, dass es sich um zehn Weiße handelt. Offenbar ist die Frage nach dem Zweck von Rassismus selbst unter von Rassismus Betroffenen ein Tabu: Dabei ist evident, dass Rassismus ein Instrument der Verteidigung ökonomischer und politischer Macht ist.  Weißer Wohlstand, weißer Reichtum - das war die Idee der Apartheid in Südafrika.

Zum Abschluss der Sendung die umwerfende Bemerkung: `Rassismus gegen Schwarze ist keine blackbox`. 

Auf dem Weg zum Kiosk für Sargnägel: einige Wohnungslose sitzen auf der Treppe des `Europahauses`. Aus dem Ghettoblaster dröhnt eine Songzeile: `Wo ist das Glücksgefühl nach dem wir streben?` Das weiß ich wirklich nicht. 

Im Bericht aus Berlin wurde bezüglich des Nutzens der Mehrwertsteuer das Resümee gezogen: wer mehr ausgibt spahnt mehr. Abgesehen davon, dass man durch mehr Ausgeben nicht sparen kann erinnert das grade was die Situation weniger betuchte Konsumenten betrifft an einen zynischen Witz aus den 70er-Jahren: Ich kenne die Lösung des Welthungerproblems. Mehr spachteln. 

Dann ein Spot zum Thema Cybermobbing. `Cybermobbing ist unsichtbar. Genau hinschauen.` Wie das? 

Jens Spahn - gefragt wie er denn das Infektionsrisiko in Flugzeugen einschätze - `Man muss ja nicht verreisen`. Eben. Deswegen wurden die Reisewarnungen aufgehoben. Schöne Strände soll es in Absurdistan geben. Die ersten deutschen Touristen auf Mallorca bezeichnet man als `Testtouristen` oder `Probeurlauber`. Menschenversuche.

Berlin direkt: die Wissenschaft sollte dem Trend entgegen wirken, dass die Frage Lockerung oder nicht zu einer Glaubensfrage gerät. Die Wissenschaft aber gründe sich auf Zweifel. Das ist richtig, damit bleibt es jedoch dabei, dass die Frage Lockerung oder nicht eine Glaubensfrage bleibt. Das ist kein Indiz für fehlendes Vertrauen in die Wissenschaft, sondern logische Konsequenz aus der Erkenntnislage. 

 

88. 13. Juni 2020

Gelegentlich freut man sich über Wortmeldungen Anderer so enthusiastisch wie Zac Hobson aus dem Film `The Quiet Earth` wenn er feststellt, dass er nicht allein auf dem Planeten Erde ist. In einem Beitrag der WAZ von heute zum Thema `Was haben Sie aus der Krise gelernt?` kommen Leserinnen und Leser zu Wort. Die bringen Einiges besser auf den Punkt als dieser Blog, weshalb ich sie hier wiedergebe:

„Die nachhaltigste Wirkung für mich ist die Erfahrung, wie bedingungslos und unreflektiert der größte Teil der Bevölkerung den Lockdown hingenommen hat. Es verunsichert mich sehr, wie schnell sich eine Gesellschaft in Panik, Angst und Schrecken versetzen lässt und die Frage nach der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen nur von Wenigen gestellt wird (Verschwörungstheoretiker ausgenommen). Für mich (72) heißt das u.a. für die Zukunft, dass ich z.B. unter solchen Umständen niemals pflegebedürftig in einem Heim untergebracht und den sogenannten Schutzmaßnahmen für ältere Menschen hilflos ausgeliefert sein will. Mit diesen Menschen habe ich das allergrößte Mitleid.“ (Irene Arndt, Essen).

(…)

„Ich bin Unternehmer und von der Krise kaum betroffen. Ich sehe aber wie um mich herum alles aufgrund der Beschränkungen zerfällt. Diese Übergriffigkeit des Staates macht mich sprachlos und muss auf reine Empfehlungen beschränkt werden. Meine jahrzehntelange liberaldemokratische Haltung ist verändert, ich werde nun die Parteien wählen, die den Eingriff des Staates in meine Grundrechte zukünftig ausschließen wollen. Dazu die sehr einseitige Berichterstattung der Medien – ich kann es nicht mehr hören. Gesundheitsvorsorge ist meine Sache und nicht die des Staates.“ (Eberhard Mücke, Bochum)

(…)

„Mit dem Lappen vor Mund und Nase werde ich nicht geschützt. Andere gehen oft recht lässig mit der Maske um, die sitzen nicht selten unzureichend. Das bringt dann auch nichts, von der Hygiene der oft selbst genähten Lappen mal völlig abgesehen. Aus meiner Sicht ist die Verlängerung der Maskenpflicht unverhältnismäßig.“ (Bernd Loewe, Hattingen)

Frau Arndt äußert sich nicht überrascht über das konforme Verhalten der Bevölkerung, sondern bestürzt über das Ausmaß der Konformität. Ihre Furcht vor `Schutzmaßnahmen`, die darin bestehen von Freunden und Verwandten isoliert zu sein, dafür aber der Infektionsgefahr durch unzureichend geschütztes Pflegepersonal ausgesetzt zu sein ist wohlbegründet. Der Umgang mit den SeniorInnen ist symptomatisch und passt hervorragend zu Sinn und Zweck des Konjunkturpakets – für das Ziel Wachstum bedarf es keiner Rücksichtnahme auf die Bevölkerungsgruppen, die mangels eigener Mittel in Form von Arbeitskraft und Geld zu Konsum und Wachstum nichts beitragen, sondern Kostentreiber sind: die Kinder und die SeniorInnen. Ähnliches gilt - wie ein Leserbrief von Norbert Hermann in der WAZ von heute ausführt - für Menschen, die das Pech haben in Flüchtlingsheimen unter den Bedingungen von Massenunterbringung auf ihre Infektion zu warten:

`Anstatt dass die Politik vorbeugend aktiv wird und zum Schutz der öffentlichen und individuellen Gesundheit eine Unterbringung in kleineren Unterkünften veranlasst, wartet sie ab, bis es passiert ist und halten dafür Einrichtungen vor. So Geschädigte sollten - sofern sie überleben - mit anwaltlicher Hilfe Schadenersatz einklagen. Die Strafanzeige wegen vorsätzlicher Körperverletzung kommt dann von mir. Das sollten sich auch Geschädigte aus Pflegeheimen - Pflegende wie Gepflegte - überlegen.'

Wenn eine Mehrheit der Bevölkerung den lockdown nicht nur hinnimmt, sondern befürwortet ist dies allerdings nicht ausschließlich dem Umstand geschuldet, dass eine Massengesellschaft nicht wie ein Individuum denkt  oder wie eine Gemeinschaft auf der Kommunikation aller ihrer Mitglieder untereinander beruht. In der Masse spannen Menschen ein Feld auf, das in Schwingungen versetzt werden kann, die sich statistisch niederschlagen und in Wellendiagrammen abgebildet werden - zum Beispiel als Gaußsche Glocke. Die Befürwortung insbesondere der Hygienemaßnahmen ist jedoch auch Resultat einer wettbewerbsorientierten Gesellschaft, in der entgegen der heraufbeschworenen sozialen Eintracht der Andere ein Konkurrent, ergo eine Bedrohung darstellt. Es ist daher ein eher leichtes Unterfangen, Verhalten zu manifestieren, die dem Charakter des Anderen als Feind (als `Gefährder`) Rechnung tragen. Die Hölle - das sind die Anderen, die unvernünftig und fahrlässig sind. So wie jeder ein Terrorist sein könnte kann auch jeder ein kleiner Bioterrorist sein. Cordula Schardt aus Essen schreibt hierzu:

`Corona zerstört das Sozialleben der Menschen. Wir umarmen uns nicht mehr in der Familie. Ich fühle mich stigmatisiert wenn Menschen auf Distanz gehen und mich als Feind betrachten. Ein bis zwei Meter Distanz signalisiert Achtung, Feind.`

Vor dem Hintergrund  dieser Ausweitung der Kampfzone nimmt es nicht Wunder, wenn Einschränkungen der persönlichen Freiheit nicht nur befürwortet, sondern mehrheitlich sogar gefordert werden. Die hohe Zustimmung zur derzeitigen Politik hat jedoch noch einen zweiten Grund - es handelt sich um die übliche Abgrenzung des Mittelstandes von den Rändern. Geschützt werden sollen die diejenigen, die Arbeitskraft und Kaufkraft bereitstellen: sie stellen die Mehrheit dar, die den Regierungskurs befürwortet. Ob es derzeit wirklich noch zutrifft, dass die Gesellschaft in Angst und Panik versetzt ist und das nur Wenige die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen in Frage stellen, ist nicht sicher - es genügt ja nicht sich zu Wort zu melden, man muss auch gehört werden können. Der zweite Leserbrief wehrt sich nicht nur gegen die Übergriffigkeit des Staates, sondern auch gegen die `einseitige Berichterstattung der Medien`. Wenn überhaupt kritische Stimmen zu Wort kommen, so landen sie gerne in der Schublade `Verschwörungstheorie`, `gefährlich`, `fahrlässig`. Nicht jeder der entweder nicht gehört wird oder schweigt nimmt unreflektiert oder bedingungslos hin, sondern vermeidet eventuell Ausgrenzungen, shitstorms und Anfeindungen bis in den eigenen Freundeskreis hinein. Denn, wie ein anderer Leser schreibt:

`Es wird gehetzt, gerast und geschimpft.` 

Die Symptome einer gereizten, feindseligen Gesellschaft, die sich Geselligkeit versagt und entgegen dem Charakter des Menschen als soziales Wesen menschliche Nähe als bedrohlich stigmatisiert äußern sich als Aggression. Der Austausch über unterschiedliche Standpunkte verwandelt sich zu Scharmützeln, in denen feindliche Parteien sich aus den Schützengräben ihrer Meinungen gegenseitig beschießen. Wozu diese gereizte Stimmung schließlich auch führen kann deutet der Leserbrief von Eberhard Mücke an. Er wirft seine liberaldemokratische Haltung über Bord und will Parteien wählen, die den Eingriff in Grundrechte zukünftig ausschließen wollen - welche Parteien er damit wohl meint?

Ein Freund bemerkte süffisant: die deutsche Politik ist befallen vom chinesischen Virus. Vom `Durchregieren´ im unbefristeten Ausnahmezustand und stabilen Umfragewerten beflügelt berauscht sich die megalomane Regierung an der schieren Größe und Tragweite ihrer Eingriffe. Im Augenblick könnte man meinen, Demokratie sei zu einer Formalität geronnen die etwa den Stellenwert der Monarchie in Spanien hat. 

Ein Leserbrief endet mit den Worten: `Hinterher ist man immer sauer`. 

  

87. 12. Juni 2020

Wichtiger als das `Lebensrelevante` ist das `Systemrelevante`. Martina Gedeck straft ihre eigenen Worte Lügen wenn sie in einem Interview in der heutigen Ausgabe der WAZ moniert: `Es ist mir absolut unbegreiflich, wieso man nun in Flugzeugen oder Flix-Bussen eng gedrängt sitzen darf, aber ein solches Theater gemacht wird um Freiluftveranstaltungen im Sommer. Opern, Theater, Konzerthäuser und Theater stehen monatelang leer - das kann ich nicht nachvollziehen` Dann gibt sie sich selbst die Antwort: `Natürlich kann man auf Kultur verzichten. Aber sie gibt etwas Wesentliches: Trost, Hoffnung, Freude. Vielleicht nicht systemrelevant, aber lebensrelevant.` Damit hat sie die Prioritäten zutreffend benannt.

Weder geht es um Trost, noch Hoffnung, noch Freude sondern um Märkte und um deren Wirtschaftlichkeit. Das ist der Grund warum die Rede ist von Orten, in denen der Sicherheitsabstand von 1,50 nicht gewährleistet ist. Da der Schutz der Gesundheit durch Abstand Betreibern von Geschäften, Verkehrsunternehmen, Fluggesellschaften etc. zu aufwändig wäre sollen die Kunden ihre Gesundheit riskieren, damit es leichter fällt mit einem stimmungsverdunkelnden Placebo im Gesicht zu berappen und zu buchen - zum Nutzen der Wirtschaft, des Arbeitsmarktes und der Staatseinnahmen. Kultur lässt sich auch als Konserve käuflich erwerben und genießen. Von A nach B gelangt man nicht virtuell. 

Wie definiert man Systemrelevanz? Als systemrelevant gelten die Betriebe und Branche der sogenannten `kritischen Infrastruktur`. Das sind laut Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales Unternehmen aus Einrichtungen und Betrieben in zehn Sektoren: 1. Energie, 2. Wasser; Entsorgung, 3. Hygiene, Ernährung, 4. IT und Telekommunikation, 5. Gesundheit, 6. Finanz- und Wirtschaftswesen, 7. Transport und Verkehr, 8. Medien, 9. staatliche Verwaltung, 10. Schulen, Kinden- und Jugendhilfe, Behindertenhilfe. In diese Bereiche muss das Geld fließen - Ausgaben im Bereich Kultur und Gastronomie stören da eher. Dass es selbstverständlich riesige Grauzonen der Systemrelevanz gibt, zeigt der Bereich Fußballbundesliga. Dieser Sektor wird zwar nicht `systemrelevant` genannt, wird aber sehr wohl so behandelt. Möglichst viele Menschen bei (Kauf)laune zu halten dient der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - da gelten andere kulturelle Events als verzichtbar, die weniger Einschaltquoten und damit eine niedrige Erreichbarkeit für Produktinformationen versprechen. 

Zum wiederholten Male - diesmal bei Maybrit Illner - durfte Kanzleramtschef Braun hervorheben, die Welt sehe bewundernd auf Deutschland, was die Bewältigung der Coronakrise betrifft. Ob Neuseeland, Griechenland, Portugal, Südkorea und Taiwan bewundernd auf Deutschland blicken kann mit Flug und Recht bezweifelt werden. Die Betonung man bewundere Deutschland ist Marketing in eigener Sache, ein Buhlen um Anerkennung, anders lässt sich die Hervorhebung des Krisenmanagements auf ein Podest kaum erklären. Es mag sich auch um eine Vorabrechtfertigung kommender Maßnahmen handeln, das Einfordern von Vertrauen in die Notwendigkeit zukünftiger Zumutungen. Eine dieser Zumutungen benennt im Phönix-Tagesgespräch der Journalist Olaf Opitz, der darauf hinweist, dass von einer parlamentarischen Kontrolle der von Bundes- und Landesregierung beschlossenen Maßnahmen und Konjunkturpakete derzeit kaum die Rede sein kann und bei rückgängigen Infektionszahlen faktisch immer noch so regiert wird wie in einem akuten Katastrophenfall.

Selbst Olaf Scholz - so der Eindruck auf der heutigen Pressekonferenz des Bundesministeriums für Finanzen - scheinen leise Zweifel zu beschleichen, ob eine zeitlich befristete Senkung der Mehrwertsteuer und 300,00 e Familienprämie Menschen zum Geldausgeben motivieren. Daher mahnt er regelrecht an, die Bürger mögen jetzt konsumierten und es sei sozusagen nicht sozial, die weitere Entwicklung abzuwarten. Einmal gesetzt den Fall die Kauflaune werde durch die Senkung der Mehrwertsteuer geweckt - Steigerung der Kaufkraft bedeutet ja nicht Steigerung der Kaufbereitschaft - so ist fraglich, ob die Konsumenten ausgerechnet die Produkte kaufen wollen die im Angebot sind. Wollen die Menschen die Ladenhüter auf den Halden der Automobilindustrie erwerben? Produkte von gestern mag man für die Welt von morgen nicht unbedingt erwerben. Bei Markus Lanz weisen Jana Pareigis und Harald Welzer darauf hin, dass soziale, gesellschaftliche und kulturelle Umbrüche durch Generationenkonflikte forciert werden. Gegen Rassismus und den aktuellen Umgang mit dem Klimawandel gehen die jüngeren Menschen auf die Barrikaden: sie fordern nicht etwa die Rückkehr zu einem wachstumsorientierten Wirtschaften, sondern ein völlig anderes Wirtschaften, eine Abkehr von fossilen Brennstoffen und eine insgesamt auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Infrastruktur. Diese Generation wird den Umstand, dass sie die Schuldenlast aus den derzeitigen Maßnahmen zu schultern hat nicht damit belohnen, Produkte zu erwerben und einen Lebensstil zu pflegen, die genau zu der Klimakatastrophe führen, mit der sie sich herumschlagen muss. Das Konjunkturprogramm trägt hingegen die Handschrift einer Generation, die unter Neuer Normalität weitgehend versteht weiter so zu wirtschaften wie bisher unter veränderten Bedingungen. Lösungen von gestern für eine Welt von morgen werden sich viele verweigern. 

Folgendes statement eines Starbucks-Sprechers dokumentiert ein bemerkenswertes Verständnis vom Arbeitnehmer der Zukunft: "Wir respektieren alle Meinungen und Überzeugungen unserer Partner und ermutigen sie, ihr ganzes Selbst zur Arbeit zu bringen, während sie unseren Dresscode befolgen." Das ganze Selbst zur Arbeit zu bringen und austauschbarer Repräsentant des Unternehmens zu sein: das verbirgt sich hinter den Begriffen Engagement und Corporate Identity. Da hat man echt den Kaffee auf. 

Es ist diesmal nicht (nur) Tilo Jung, auf dessen Fragen Stefan Seiberts Antworten nicht eingehen. Die Frage von Peter Tiede wie viel an Lockdown-Maßnahmen sich hätten vermeiden lassen können hätte man die Bevölkerung entsprechend vorliegender Pandemiepläne ausreichend mit fmp2-Masken ausgestattet beantwortet Stefan Seibert so: `Wir können froh über die derzeit geringe Infektionsrate sein.` Wie viel ist 2 plus 2? Grün. 

Stellt sich die globale ökonomische Entwicklung als ein `L´ dar - und zwar als ein liegendes L in Form eines Bettes dessen Fußende nicht in Sicht ist - dann sind die akuten Probleme lediglich Vorboten, ein Rascheln im Laub. Sobald Arbeitslosigkeit und Konsumangst sich wechselseitig verstärken wird sich herausstellen, ob wir es nur mit einer vorübergehenden Krise zu tun haben. Die akute Angst vor Ansteckung und die Lähmung des öffentlichen Lebens mögen zurückgehen, die Scheu wird bleiben und der Blick öffnet sich für die Dimension der Wechselwirkungen ökonomischer und sozialer Folgen der shutdowns in der Weltwirtschaft. Wie beim Schach kann die Drohung mächtiger sein als die Ausführung: dem lockdown folgt die Furcht vor zweiten Wellen und weiterer Pandemien. Dass das Reiseland Deutschland Flugreisen trotz Aufhebung der Reisebeschränkungen meidet mag nur ein Detail sein, aber es verdeutlicht die Tiefe der Verunsicherung eben so, wie die faktische Beibehaltung des Ausnahmezustandes auch in Ländern mit geringfügigem Infektionsgeschehen. Trotz ihrer umstrittenen Auswirkungen wird die Maskenpflicht auch in den Bundesländern auf unbestimmte Zeit beibehalten, denen man ansonsten Laissez-faire vorwirft: der Anblick der Masken soll die Bevölkerung jeden Tag an die Gefahr erinnern, daran dass jeder gefährdet und zugleich möglicher Gefahrenherd ist. Welt in Angst - und Angst essen Kauflust auf.   

 

86. 11. Juni 2020

Die magische Stille der ersten Tage. Die Welt wie sie ist ohne uns. Zu Beginn trauten sich wenige raus. Ging man in die Wälder begegnete man selten Menschen, so als seien Menschen eine Gattung des Waldes, die sich rar macht wie Füchse und Rehe. Wir waren vom Unberührten berührt. Tangierte man Stadtränder bewegte sich niemand auf den Landstraßen oder vor den Türen, so als seien Häuser und parkende Autos Artefakte einer untergegangenen Zivilisation, Relikte eines Weltuntergangs. Die Stille ist längst vorbei. Die Straßen so verstopft wie eh und je. Schmerbäuchige Outdoortenthusiasten drängeln sich auf den Waldwegen. Mit zusammengebissenen Zähnen und aufeinander gepressten Lippen folgen sie im Stechschritt den Routenempfehlungen von Komoot. Nun hat man nicht mehr die Stille als üppige Kompensation für die willkommenen Kontaktbeschränkungen. Die Menschen sind wieder die Pest, die maskiert und grimmig Schlange steht vor Post. Walking Dead, die nicht wissen, dass sie tot sind. Aus den Douglas-Filialen weht Verwesungsgeruch. Alle Wiedergänger sind aus ihren Mehrraumgräbern wieder auferstanden, aber sie sind nicht mehr die selben. Hochgefahren aus den Eigentumsgruften bevölkern sie die Malls und Radwege wie Rückkehrer vom Friedhof der Kuscheltiere.

Gestern blätterte ich in einem Weltatlas von 1929. Damals, als Prinz Philipp 8 Jahre alt war, lebten auf der Erde 1,25 Milliarden Menschen - so viele wie jetzt allein in Indien. Derzeit sind es ca. 7,8 Milliarden. Der Prinz hat in seiner Lebensspanne erlebt, wie sich die Weltbevölkerung versechsfacht hat. Damals wurden in der Statistik `Viehbestand`erfasst: Rinder, Schweine, Ziegen, Esel, Pferde und - Bienenstöcke. Es leben noch Menschen, die sich an diese Zeit erinnern. Wenn mir schon diese Welt fremd wurde, wie grotesk und entstellt mag sie ihnen erscheinen. 

 

85. 10. Juni 2020

Die Maske fliegt von dannen. Das Gummiband findet nicht ausreichend Halt an meinen Segelohren. Tücken des neuen Alltags. Während ich mich bücke fällt mein Blick auf eine fluchende Mutter, die ihren Kinderwagen über ein Stück Kopfsteinpflaster schiebt. Die Vorderreifen blockieren, die Mutter schimpft: `Scheisscorona`. 

Im Supermarktcafe äußert sich am Nebentisch ein Mann wie folgt: `Von menschlichen Abgründen sehen wir nur die Spitze des Eisbergs.` Um eine aus den Fugen geratene Welt darzustellen ist Übertreibung zu dürftig. Man beschreibt sie durch die Formulierung von Unmöglichem, Widersinnigem, physikalisch Undenkbarem. 

Sebastian Fiedler, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, schilderte gestern bei Markus Lanz eine Episode aus seiner beruflichen Praxis. Bei der Geschichte von dem Paar, dass ein Kind zeugt, um es nach seiner Geburt zu missbrauchen bleibt einem die Spucke weg. Danach kam Sebastian Fiedler in der Sendung nicht mehr zu Wort. 

In der Phönix-Runde zum Thema Rassismus bringt die Soziologin Natasha A. Kelly auf den Punkt was struktureller Rassismus ist und warum es sich um eine Verharmlosung und Relativierung handelt wenn man bei Übergriffen mit rassistischem Motiv von Einzelvorfällen spricht: In der Afrikaforschung sind beinahe ausschließlich weiße ForscherInnen tätig, der Blickwinkel der Coloured People spielt in der Forschung über Coloured keine Rolle. "Ich möchte nicht als Forschungsobjekt für Studien von Weißen über Rassismus dienen." Rassismus auf Übergriffe zu reduzieren verniedlicht ihn zu reinem Randproblem - er besteht vor allem darin aufgrund seiner Hautfarbe übergangen zu werden, benachteiligt zu werden, kein Gehör zu finden in allen gesellschaftlichen Bereichen. Der Missstand ist ein kultureller Missstand. Wir leben in einer Monokultur, die Diversität vermeidet. Daran was in den Schulen gelehrt wird, was in Museen gezeigt wird hat sich trotz der zunehmend bunteren Gesellschaft nichts geändert. Die Vielfalt und ihre Ressourcen werden nicht genutzt, die Einfältigkeit erheblicher Teile der Gesellschaft nimmt zu.  

Horst Seehofer ändert auf der Pressekonferenz im Free Solo einen Buchstaben im Grundgesetz. `Niemand darf wegen seiner Abstimmung benachteiligt werden`. Politiker aller Parteien atmen auf. 

Julia Klöckner ist das Gesicht des pandemischen Optimismus. Die Art Optimismus, die sie verbreiten möchte stimmt mich pessimistisch. Ein fröhlicher Herdenoptimismus, der mich an die Stimmung erinnert, die Heinz Schenk beim Blauen Bock herauf beschwor. Weinfeste, Rote Bäckchen, Familie als höchstes Gut, Fleisch ist mein Gemüse. Wir machen alles so wie bisher nur mit Zettel ausfüllen, Mund-Nasen-Schutz und ohne Singen - bis uns in Ermangelung Sauerstoff erzeugender Meeresalgen die Luft ausgeht. 

Eine gewisse geistige Müdigkeit macht sich daran bemerkbar, dass mich selbst die Fragen von Tilo Jung bei der Bundespressekonferenz zu nerven beginnen. Was mich erfreut ist wie gut der Bildhintergrund zum Thema blauer Wasserstoff passt.   

Heiko Maas wurde von den israelischen Behörden beschieden er könne gerne das palästinensische Ramallah besuchen müsse danach aber zwei Wochen in Quarantäne. Diese Regelung gilt wohl nur für ihn, denn der Personenreiseverkehr zwischen Israel und den palästinensische Gebieten ist schon seit Wochen wieder möglich (laut Tagesschau.de von heute). Was macht man da? Man gibt der Erpressung nach und nennt das Kleinbeigeben `Änderung des Reiseplans`.

Hendrick Streeck ist wieder da - und wie. Seines Erachtens war das Verbot von Großveranstaltungen der Schlüssel zur Eindämmung der Pandemie. Jedenfalls sind danach, aber vor Inkrafttreten weiterer Maßnahmen die Infektionszahlen zurückgegangen. Weitere Maßnahmen hätte man vom konkreten Verlauf abhängig machen können, statt in den lockdown zu gehen.  Auch die Maskenpflicht sieht er kritisch: "Am Anfang der Pandemie wurde ja dezidiert gewarnt vor Masken. Die Gründe dafür gelten immer noch, auch wenn sie merkwürdiger Weise keine Rolle mehr zu spielen scheinen. Die Leute knüllen die Masken in die Hosentasche, fassen sie ständig an und schnallen sie sich zwei Wochen lang immer wieder vor den Mund, wahrscheinlich ungewaschen. Das ist ein wunderbarer Nährboden für Pilze und Bakterien."  (Merkur.de, 10.06.2020).  Auf der Bundespressekonferenz zu dieser Kritik befragt reagierte die Regierungssprecherin sauertöpfisch. Die Erfolge der Strategie sprächen für sich, auch wenn eine abschließende Bewertung der Einzelmaßnahmen noch nicht getroffen werden könne. Um es in den Worten eines Freundes zu sagen: es ist ungewiss ob die Interventionen auf die Situation "Infektionsgefahr" Ursache des Resultats "niedrige Infektionsrate" sind. Sich darauf zurück zu ziehen der Erfolg gäbe einem Recht  kann in Anbetracht der Möglichkeit weiterer Pandemien wohl kaum das richtige Rezept sein.

    

84. 09. Juni 2020

Corona weckt Totgeglaubte. Ich wusste nicht dass Rainer Langhans noch lebt, bis die WAZ ihn mit dem Ausspruch zitierte `Corona ist ein Segen.` Und im Himmel freut sich George Floyd über den Rückgang der Arbeitslosenzahlen in den USA.

Dass die Fleischindustrie nicht nur Tierwohl, sondern auch Menschenwohl gefährdet wird durch folgende Schlagzeile in der WAZ von heute bestätigt: "Abstandsstreit: Mann mit Filet verletzt." Demnächst ist der Erwerb von Steaks nur noch gegen Vorlage eines Waffenschweins erlaubt.

Und sei es nur um zu zeigen, dass es zur Kenntnis genommen wurde: "Jeder ist froh, mal wieder Freunde zu treffen, ins Cafe zu gehen oder ein Eis zu essen. Etliche planen einen Urlaub. Nur den Senioren bleibt alles verwehrt. Sie bleiben in Dauerquarantäne ohne Aussicht auf Lockerung. Sie haben keine Lobby und stehen am Ende der Öffnungskette. Das macht wütend." (Leserbrief von Ute Bauermann in der WAZ von heute). Umgekehrt mutet man Kindern und Eltern das aus pädagogischer Sicht sinnlose Experiment Schule für zwei Wochen zu um mal zu testen wie sich das Infektionsgeschehen so entwickelt. Isolationshaft am Lebensende, Versuchskaninchen am Lebensbeginn- da vergeht einem alles. Zur Erinnerung: mit dem Schutz der älteren Menschen wurden der Lockdown und die mit ihm verbundenen Einschränkungen von Grundrechten maßgeblich begründet. Die Einschränkung von Grundrechten hat verhältnismäßig und befristet zu sein. Angesichts der zunehmenden Öffnung des sozialen Lebens und zurückgehender Infektionszahlen ist es nicht hinnehmbar Senioren und Seniorinnen mit dem Argument des Schutzes ihres Lebens Lebensqualität und Lebensmut zu nehmen, den sie aus der Begegnung mit Angehörigen schöpfen. Von Verhältnismäßigkeit kann da keine Rede mehr sein. Auf der anderen Seite zwei Wochen vor Beginn der Sommerferien auf die Einhaltung der Schulpflicht zu bestehen wie in NRW und Eltern, Kinder und Lehrpersonal zur Inkaufnahme eines erhöhten Infektionsrisikos zu verdonnern ist zynisch. Das Thema Kindesmissbrauch empört zu Recht die Gesellschaft - umso schlimmer ist es, wenn die Schule als Labor für epidemiologische Folgeerscheinungen des Unterrichtsgeschehens in den Klassenräumen zweckentfremdet wird.

Zu Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen und Pflegepersonal um Besuche von Verwandten kommt es immer öfter. Ob dabei auch Filets zum Einsatz kommen ließ sich den Gazetten nicht entnehmen.

Ältere Menschen sind - 5 Euro ins Phrasenschwein - keine bessere Menschen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes berichtet von Fällen, in denen Pflegebedürftige sich weigern von Menschen gepflegt zu werden, die nicht ihre Hautfarbe haben. Denen sollte man durchaus mit einem Hüftsteak den Allerwertesten versohlen. Stattdessen wurde der Pflegerin gekündigt.

Wenn die erste Welle der Pandemie ein Tsunami ist, der die Welt überrollt - wie sieht eine zweite Welle aus? Man stelle sich ein stehendes Gewässer vor über dem ein Hagelschauer niedergeht. Jedes Hagelkorn repräsentiert einen Infektionsherd. Das zukünftige Infektionsgeschehen und seine Intensität hängen davon ab, welche Interferenzmuster auf der Wasseroberfläche entstehen. Um die Einschlagstellen breiten sich die Wellen radial aus - wie weit und mit welcher Stärke hängt von der Wucht des Einschlags ob. Inwieweit die Wellen der verschiedenen Einschläge sich überlagern und aufschaukeln hängt von der Zahl der Einschläge, der Wucht der Einschläge, sowie der zeitlichen und räumlichen Verteilung der Einschläge ab. Je geringer die Wucht der Einschläge (Infektionsherde) , desto begrenzter die Reichweite der Wellen, desto niedriger die Zahl der Einschläge, desto geringer der Grad der Synchronisation der Einschläge und desto breiter die zeitliche und räumliche Streuung desto beherrschbarer das Geschehen. 

"Die Kritik an den Zuständen muss aus der Mitte der Gesellschaft erfolgen. Sie darf nicht den Populisten überlassen werden." (Veronika Grimm, Rat der Wirtschaftsweisen). Ich gebe mir alle Mühe, auch wenn ich nicht die Mitte sein sollte. 

 

83. 8. Juni 2020

Anne Will Schlusswort: "Rechtzeitig hinschauen." Ist die Quintessenz der gestrigen Sendung, funktioniert aber auch als Appell der quotenbewußten Moderatorin an das Publikum die nächste Folge nicht zu verpassen wenn die Frage lautet: "So etwas wie Rassismus - kann man ein  Bisschen schwanger sein?" Der Schlusssatz ist so ambivalent, dass man ihn multispältig nennen kann. Es kommt darauf an was dem rechtzeitigen Hinschauen folgt: "Rechtzeitig hinschauen" um der Erste zu sein der postet? Rechtzeitig hinschauen um so schnell wie möglich abzuhauen? Rechtzeitig hinschauen bevor man das Beste verpasst?  

Der Zusammenhang zwischen der Pandemie und dem unterschiedlichen Grad der Gefährdung entlang sozialer Unterschiede beginnt den Fokus zu verlagern. Nicht mehr der anscheinend gleichmachende Aspekt der Pandemie (Es kann jeden treffen) steht im Vordergrund, sondern der ungeschminkt zu Tage tretende Aspekt der ungleichen (Über)Lebenschancen je nach Zugehörigkeit zu bestimmten ethnischen Gruppen und sozialen Schichten. Ungünstige Herkunft, `falsche` Hautfarbe und niedriger ökonomischer Status entsprechen - epidemiologisch betrachtet - schweren Vorerkrankungen. Wem schon vor der Pandemie im übertragenen Sinne die Luft zum Atmen fehlte trägt ein höheres Risiko zu ersticken. Neu ist das nicht: das erhöhte Risiko ernsthafter Erkrankungen und eine niedrige Lebenserwartung war auch vor COVID-19 schon systemisch begründet. Seuchenbekämpfung ohne soziale Umwälzungen bleibt eine Veranstaltung für Privilegierte. 

BPK: Stefan Seibert wird 60. Willkommen in der vulnerablen Gruppe. Zur Feier des Tages stellt Tilo Jung die Frage, wie die Regierung Bilder von Polizeigewalt bei den Demonstrationen in Hamburg bewertet. Schmallippige Reaktion. 

Wie sehr die Konzentration darunter leidet, wenn einem die Schule des Lebens mit annähernd 60 Jahren immer noch die selbe Lektion erteilt wie gestern (damit werden wir aufräumen) zeigt, dass mehrere Stunden Sendezeit mit Tagesschau bis Hart aber Fair zu einem Beatles-Song mit Sprung in der Platte gerinnen: We all live in a yellow Sub sub sub sub sub... (Text: Hubertus Heil).

Plasberg ist zu unterstellen, dass er weiß wen er aus welchen Gründen einlädt. Aber welcher raffinierte Saboteur und Tierfreund hat das Selbstzerstörungsprogramm Manten im Verband der Fleischwirtschaft installiert? Plasberg brauchte das Programm nur noch durch Einladung in seine Talkshow aktivieren, indem er den Chef des Verbandes der Fleischindustrie Hubertus Heil, Robert Habeck und sich selbst zum - Entschuldigung - Frass vorwarf. Der Mann erwies sich sowohl rhetorisch, als auch psychologisch mit der Situation komplett überfordert und Max Straubinger, ein CSU-Abgeordneter und Landwirt, hatte nicht annähernd das Kaliber um ihm wirkungsvoll zur Seite zu stehen. Frank Plasberg wusste um dieses Gefälle und der mitfühlende Wolfgang-Koruhn-Gedächtnisakt der Unterschreitung des Mindestabstands zu Manten um ihn zu trösten war die ultimative öffentlich-rechtliche Demütigung des Repräsentanten der Fleischindustrie. Ein Akt des Trostes, bevor das rhetorische Abschlachten weitergeht, Mitgefühl, das die erbarmungslose Fleischindustrie unseren Mitgeschöpfen versagt. Mit unabhängigem Journalismus hat die Inszenierung der durch Manten verkörperten Banalität des Blöden nichts zu tun, hier wird der Stellvertreter einer lebensverachtenden Industrie moralisch geschächtet - methodisch zweifelhaft, aber es trifft zumindest nicht die falsche Branche.  

 

82. 7. Juni 2020

Das wurde aber auch Zeit. Banksy äußert sich zum Thema Rassismus in den USA: "Zuerst dachte ich, ich sollte bei diesem Thema einfach den Mund halten und Schwarzen zuhören. Aber warum sollte ich das tun? Es ist nicht ihr Problem. Es ist meins. People of colour werden von diesem weißen System im Stich gelassen. Das ist ein weißes Problem. Und wenn die Weißen es nicht beheben, wird jemand nach oben kommen und die Tür eintreten müssen." Das Neue daran: der Schritt Banksys aus der Anonymität. Immerhin weiß man jetzt etwas über seine Hautfarbe. Beim nächsten Werk verrät er vielleicht etwas über seine Schuhgröße oder sein Lieblingseis. Am Ende lüftet sich der Schleier (ein posthumes Werk von Christo) und Banksy entpuppt sich als George Soros.

Heute so weit entfernt von der Welt, dass ich mir einen Bericht über Kamele am Polarkreis ansehe.

Es mag etwas ketzerisch sein dies anzunehmen - doch die Massendemonstrationen gegen Rassismus in Deutschland (in der doppelten Bedeutung von in Deutschland stattfindende Demonstrationen und gegen Rassismus in Deutschland gerichtete Demonstrationen) entbehren nicht eines gewissen Happening-Charakters. So richtig und wichtig das Anliegen ist, so zweifelhaft ist es, dass 15000 Menschen am Berliner Alexanderplatz, 25000 Menschen in München und 14000 Menschen in Hamburg protestiert hätten ohne den besonderen Kick von Massenveranstaltungen in Zeiten der Abstandsregeln, des Maulkorbs und der Versammlungsbeschränkungen. Weder finden Festivals statt, noch Fußballspiele mit Publikum im Stadion. Kein Public Viewing, keine Raves, keine durchtanzten Nächte in Discotheken und an den Küsten Mallorcas. Da kommen Massendemonstrationen für die politisch richtige Sache grade Recht, um den kollektiven Erlebnishunger zu stillen und sich am Gemeinschaftsgefühl zu berauschen. Politisches Engagement wird zum Ersatz für den monatelangen sozialen Entzug, Verstöße gegen die Hygieneregeln werden nur halbherzig geahndet nicht nur weil die schiere Masse an Menschen dies erschwert, sondern auch, weil ein Vorgehen gegen die Demonstration die Berechtigung der Proteste bestätigen würde. Hier schützt die Moralität des gemeinsamen Aufmarsches gegen die Ahndung von Verstößen die Demonstranten ebenso wie die Fußballprofis. Wie viele Weiße marschieren wohl mit einfach weil das Erlebnis in der Menge sich so gut anfühlt und die Love Parade nicht mehr stattfindet? Der Kreis zum Thema Pandemie schließt sich auf makabere Weise durch den zum Leitmotiv der Anti-Rassismus-Bewegung gewordenen Satz `I can´t breathe`, denn genau dieses Schicksal erlitten die an Covid-19 Verstorbenen, in den USA befinden sich unter ihnen überdurchschnittlich viele Afroamerikaner. 

Der Weltspiegel: ein Beitrag über Funkwellenreiter, die den neuen G5-Standard für Covid-19 verantwortlich machen. Ich tippe eher auf die G7 oder sogar die G20. Oder sogar auf die geheimnisumwitterte G-Zumteufel.

Stefan Simons sagt bei Anne Will meinen Lieblingssatz: Machen wir uns nichts vor. Die Situation der Afroamerikaner ist bestimmt durch Nutrition Deserts, Ghettos, in denen das Lebensmittelangebot eine auch nur annähernd gesunde Ernährung nicht ermöglicht. Kein Zugang zum Bildungssystem. Adipositas, Diabetes, Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems erhöhen das Risiko schwerer Erkrankungen (nicht nur Corona) ohne Zugang zum Gesundheitssystems. Bei sinkenden Kriminalitätsraten füllen die privat betriebenen Gefängnisse ihre Zellen mit Afroamerikanern auf, damit das Geschäft läuft. In den USA finden keine Demonstrationen gegen Rassismus statt, und auch nicht für gleiche Rechte. Es formiert sich ein Spartacusartiger Widerstand gegen erbärmliche Lebensbedingungen, über die man den Schleier einiger afroamerikanischer Erfolgsgeschichten ausbreitet. Mit friedlichen Demonstrationen wird es nicht getan sein in einem Umfeld, in dem friedliche Demonstranten mit Tränengas bekämpft werden, damit ein Bauunternehmer eine Bibel verkehrt herum in die Kamera halten kann.  

Samira El Quassil argumentiert eklektizistisch. Sie sammelt herausragende Lowlights unbeschwerten Rassismus (Polizisten im Deutschen Kukucks-Klan, Talkshows mit Roberto Blanco und Frauke Petry zum Thema: Wird man das N-Wort doch wohl noch sagen dürfen?) und sieht extreme Ausschläge aufgrund ihrer Prägnanz als Indiz für das Ausmaß des strukturellen Rassismus. Je höher die Spitze, desto breiter die Breite? Norbert Röttgen macht es genau umgekehrt: er sieht die Ausschläge als Ausnahme an, deren Prominenz den Blick auf den großen gesellschaftlichen Konsens der Ablehnung von Rassismus verstellt. Wenn die eine überspitzt und der Andere bagatellisiert kann die Mitte immer noch erschreckend weit rechts liegen. Die einzig substanzielle Aussage des Abends ist eine Frage von Alice Hasters, die nicht beantwortet wird: Wenn es in Deutschland so viel Einzelbeispiele für rassistische Übergriffe gibt, wie kommt man darauf, dass dies kein strukturelles Problem sei? 

Das Motiv für Rassismus hat sich nicht gewandelt: Privilegien und Profit. Menschen für minderwertig zu erachten und Mehrwert anzuhäufen ist dasselbe. Die Konsequenz die zu ziehen wäre aus dem Umstand, dass die Schnittmenge aus Opfern des Rassismus, Opfern der Armut und Opfern von COVID-19 gigantisch ist wäre das Eingeständnis, dass Kapitalismus und Diskriminierung zwei Seiten der selben Medaille sind - und dann? 

Eine neue Kategorie in der Kriminalstatistik des BKA: Deutschenfeindlichkeit. Man kann doch nicht einfach das Privileg rassistisch malträtiert zu werden den anderen überlassen. Auch die Deutschen wollen das Recht haben diskriminiert zu werden.

   

81. 6. Juni 2020

"Ich hätte den Anhang lieber löschen sollen als ihn zu öffnen. Stattdessen befinde ich mich in einem Paul Auster-Szenario. Das Video wurde in meiner ehemaligen Bochumer Wohnung aufgenommen. Ich habe sie vor knapp 3 Monaten aufgelöst. Das Mobiliar befindet sich jetzt hier. Der Fernseher. Der Schachtisch. Der Globus auf dem Buchregal, ein Imitat des Erdapfels von Martin Benhaim. Die Aufnahme kann unmöglich aktuell sein, es sei denn jemand der mich sehr gut kennt hat sich die Mühe gemacht dort einzuziehen und das Leben weiterzuführen, das ich hinter mir ließ. Aber wie hätte er die Topfpflanzen auf dem Fensterbrett imitieren können, inklusive der vertrockneten Blätter, die ich nicht abgeschnitten habe? Der Fernseher läuft. Eine Nachrichtensendung. Nächtliche Bilder von Wagenkolonnen in Camouflage, die Leichen abtransportieren. Prügeleien zwischen Familien, die um Atemgeräte für ihre Angehörigen kämpfen. Luftaufnahmen von frisch ausgehobenen Massengräbern in Lichtungen des Kahlschlags, den illegale Goldgräber im Regenwald hinterließen. Kommentatoren, die mit freundlicher Neutralität in der Stimme Opferzahlen aus aller Welt verlesen als handele es sich um Aktienkurse. Am oberen rechten Bildschirmrand das Datum. 31. Mai 2020. Ein Kameraschwenk. Auf den Spiegel mit dem markanten Sprung im Glas, der nicht mehr dort sein kann, weil er jetzt hier in meinem Schlafzimmer hängt. Ein alter Mann in meinem Bademantel. Eingefallene Wangen, bleierne Haut. Tränensäcke. Unrasiert. Übergewichtig. Eine gespiegelte, ausgestreckte Hand, ausgestreckt zur Abwehr eines Monsters. Ich...ich muss mich..."  

Ein schmaler, menschenverlassener Waldweg zu Beginn des Lockdowns. Es dauerte, bis wir realisierten, dass es sich bei dem himmlischen Rauschen nicht um Verkehrslärm einer Autobahn, sondern um das Brausen des Windes in den Wipfeln des Mischwaldes handelte. In weniger scheuer, als vornehmer Distanz kreuzen zwei Rehe den Weg. Der erschütternde Moment der Erkenntnis, dass dies die Welt ohne uns wäre, dann das sichere Gefühl dass unsere Zeit bald vorbei ist und es kein Entkommen gibt. 

Samstag Morgen. Pandemiefreie Zeit, die ich mir mit einem Beitrag über die George Soros-Verschwörung auf dem ZDF-Info-Kanal vertreibe. George Soros, der perfekte Gegner für Orbans antisemitische Kampagnen, Feindbild der Republikaner, der es wagt den US-Demokraten Geld zu spenden, angeblich - viel schlimmer! - die `Black Lives Matter`-Bewegung` unterstützt, die weiße Rasse auslöschen will, indem er die Welt mit Migranten überflutet. Die Idee der Personalisierung eines Feindbildes als Basis erfolgreicher politischer Kampagnen im Zeitalter von social media geht auf Arthur Finkelstein zurück, das Mastermind der Kampagnen strammer Rechter, denen die offene Gesellschaft, die Linken und die Demokratie ein Greuel sind. Ein Feindbild im Zeitalter elektronischer Massenmedien entfaltet die stärkste Wirkung, wenn es personalisiert wird - nicht die Taliban sind der Feind, sondern Osaman Bin Laden. Nicht Microsoft ist der Feind, sondern Bill Gates, nicht die Juden sind das Böse, Hinterhältige, sondern George Soros, nicht die Schwarzen sind das Übel, sondern Barack Obama. Hetzkampagnen im Zeitalter von social media funktionieren auf metonymischer Basis - pars pro toto. Damit entzieht man die Kampagne nebenbei der Kritik insgesamt rassistisch oder antisemitisch zu sein; schließlich richtet sie sich `nur` gegen eine Person. Die Propagandastrategien der Nazis waren zu erfolgreich, als dass sie nicht kopiert und optimiert worden wären - ironischer Weise von jemandem mit jüdischen Wurzeln (Finkelstein) um gegen jemanden mit jüdischen Wurzeln (George Soros) zu agitieren. Nutznießer ist Viktor Orban, der seine politische Karriere unter anderem der Förderung durch von George Soros unterstützte Einrichtungen verdankt. So dringend notwendig es ist, wirkungsvolle Maßnahmen gegen die Folgen des Klimawandels zu treffen - sie werden ohne eine Bekämpfung des politischen Klimawandels nicht erfolgreich sein. 

 

80. 5. Juni 2020

Wenn ein Politiker sagt: `Ich bin davon überzeugt` heißt das `mir fällt kein gutes Argument ein`. So heute Morgen SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil im Streitgespräch mit Christian Dürr von der FDP. Klingbeil ist normaler Weise nicht um gute Antworten verlegen, dem Zweifel daran, dass die Senkung der Mehrwertsteuer konsumanregend wirkt vermag er indes nur die `feste Überzeugung` entgegenzusetzen: `Doch!`. Man gewinnt den Eindruck Lars Klingbeil möchte Herrn Dürr am liebsten zustimmen, so dürr fällt seine Replik aus. 

Lars Feld, der Chef der Wirtschaftsweisen sieht die Senkung der Mehrwertsteuer so: "Die Leute halten sich ja mit dem Konsum zurück, weil sie eine Ansteckung mit dem Corona-Virus fürchten. Und dieses Problem wird nicht behoben - weder mit einer Mehrwertsteuersenkung, noch mit einem Kinderbonus." (Interview geführt von Jochen Gaugele, WAZ, 05. 06. 2020). Zur Furcht vor Ansteckung gesellt sich die Furcht vor Arbeitslosigkeit - diesem gewaltigen Rezessionspaket mit einer seichten Senkung der Mehrwertsteuer zu begegnen ist, als wolle man eine Feuersbrunst mit einer Gießkanne für Balkonpflanzen löschen. Zudem hat die "Mövenpicksteuer" gezeigt, dass Senkungen der Mehrwertsteuer von den Unternehmen als Subvention eingestrichen werden - allen Appellen und Selbstverpflichtungen der Unternehmen zum Trotz. Das eigene Hemd ist den Unternehmen näher, als die tote Hose des Kunden. Doch selbst wenn die Senkung an Kunden weiter gegeben wird: das wird den Konsum nur bei denjenigen anregen, die ohnehin begütert sind und sich den Kauf hochwertiger Produkte leisten können. Je höher der Preis, desto größer der Mitnahmeeffekt. Es profitieren nicht wie behauptet alle in der Gesellschaft (wer eine neue Hose nicht kauft, die 99 € kostet kauft sie auch nicht, wenn sie 97 € kostet), sondern diejenigen die besser gestellt sind, keine finanziellen Sorgen haben aber natürlich gerne beim Autokauf einen Tausi sparen. Die Senkung der Mehrwertsteuer ist eine Förderung der Besserverdienenden und der Automobilindustrie - sie macht (wie eine Abwrackprämie) Benziner billiger und fördert deren Absatz. Ein politischer Kartenspielertrick, ein Täuschungsmanöver, das suggeriert den Schwächeren zu helfen und nur den Stärkeren nützt.  

Die Bundespressekonferenz. Eine gute Gelegenheit Kaffee zu kochen und ein ausgedehntes, zweites Frühstück zuzubereiten. Aus den Ohrenwinkeln höre ich die Frage von Herrn Jung woher die Bundesregierung die Hoffnung nehme, dass Unternehmen die Senkung der Mehrwertsteuer an die Kunden weiterreichen. So sei die Senkung der Mehrwertsteuer für Tampons nicht an die Kundinnen weitergereicht worden - die Unternehmen haben ihre Kundinnen weiter bluten lassen, d.h. sie haben die Preise nicht gesenkt. Nun ja...ob eine Preissenkung in diesem Fall zu einer Erhöhung des Verbrauchs geführt hätte ist zweifelhaft und das wäre den Kundinnen auch nicht zu wünschen gewesen. 

Ebenso beklemmend wie die aktuellen Meldungen und Berichte sind ausbleibende Nachrichten. Über Moria wird derzeit nicht berichtet, so als sei über das Flüchtlingslager eine Informationssperre verhängt. Der aktuellste Bericht den ich im Netz finde wurde am 11. Mai 2020 veröffentlicht. Die Funkstille seitdem kann vieles bedeuten, jedoch wohl kaum etwas Gutes. Bestenfalls schaffen es Berichte über die Lage in Moria einfach nicht an die unruhige Oberfläche der Nachrichtenflut. Schlimmstenfalls werden der Öffentlichkeit Bilder von Not und Elend der Flüchtlinge entweder nicht zugemutet, oder man lässt sie gar nicht erst zustande kommen. Die Abschottung geschieht aus Fürsorge. Man stellt die Heimatlosen unter Quarantäne, damit sie in ihren Himmelbetten aus Müll nicht durch verseuchte Journalisten und Mitarbeitern von Hilfsorganisationen infiziert werden. Schutzhaft. 

Kastenhaltung für Schweine. Das EU-Modell für Flüchtlingslager?

Lebenslust in Rheinland-Pfalz: Bordelle und Blasorchester wieder erlaubt. 

Ich sehe soviel Realität, dass ich mich in Fernsehserien nicht mehr zurecht finde. Zuviel Wirklichkeit verleidet einem die Fiktion. Ich verlasse die Wohnung und stromere herum. Vor einem Cafe ein Notarztwagen, mit Defibrillatoren bewaffnete Sanitäter stürmen das Cafe mit der Wucht eines Sondereinsatzkommandos. Zu starker Espresso.  

Es ist Freitag Abend, der Sturm der Pressekonferenzen, Ausschüsse, Stellungnahmen, Interviews, Talkshows, Reportagen, Magazine versiegt. Wer bin ich und wozu?

 

79. 4. Juni 2020

`Die Mehrwertsteuer hatte niemand auf dem Zettel` gibt sich das MoMa überrascht. Doch! Seherin Anja Kohl, Moderatorin der `Böse vor acht`. Sie schlug bei Maischberger eine Senkung der Mehrwertsteuer vor. Der Sendeleitung war dies die Einblendung wert es handele sich bei der Sendung um eine Konserve von 21 Uhr, also aufgezeichnet bevor die Große Koalition vor die Presse trat. Eine Flut von Bettelbriefen mit der Bitte um Börsentipps wird die Quittung für prophetische Fähigkeiten oder exzellente Kontakte zu gut informierten Kreisen sein.  

Über Sandra Maischberger ergießt sich ein Shitstorm erboster Kommentare, da in ihrer Talk-Show zum Thema Rassismus ausschließlich Weiße debattierten. Wozu die Aufregung? Es war halt eine Expertenrunde.

Eine Manifestation von alltäglichem Rassismus besteht darin, über die Betroffenen zu reden ohne sie zu Wort kommen zu lassen. Das geht so weit, dass die nicht von Rassismus Betroffenen ganz selbstverständlich die Definitionshoheit darüber was als rassistisch gilt für sich beanspruchen. 

Nur weil eine Maßnahme überraschend kommt, entfaltet sie noch nicht die erhoffte Wirkung. Markus Söder ermuntert: man solle jetzt nicht nur Möbelhäuser besuchen um zu gucken, sondern auch um Möbel zu kaufen. Eine Senkung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte wird nichts daran ändern, dass die Menschen sich auf den Kauf des Notwendigen beschränken. Man wird Probe liegen in chicen Betten, und anschließend im Supermarkt eine Banane zusätzlich kaufen. 

Der BUND und der paritätische Verband kritisieren zu Recht das Konjunkturpaket. Da es einseitig auf die Stärkung der Konsumbereitschaft setzt fehlt die erforderliche ökologische Lenkungswirkung und werden die Ärmsten der Gesellschaft nicht berücksichtigt. Das Wort Pflege taucht auf den 15 Seiten des Programms nicht ein einziges Mal auf. Auch Platzpatronen machen Wumms.  

Allerdings (um nicht wieder zu sagen: Machen wir uns nichts vor): vor der Zukunft kommt die Gegenwart. Gemessen an den unterschiedlichen Positionen der Parteien, der Vielzahl der akut von der Pandemie und der Rezession betroffenen Bereiche ist das Konjunkturpaket als Soforthilfeprogramm geeigneter als zu befürchten war (Annalena Baerbock wird mich zitieren. Wetten?). Mäßig ist besser als schlimm und mangelhaft besser als ungenügend. Zudem werden Debatten im gesellschaftlichen und parlamentarischen Diskurs anhalten, weitere Anpassungen und Maßnahmenpakete sind zu erwarten, sobald der Bundestag und der Bundesrat sich mit den Konjunkturprogramm befassen. Ein durchwachsener Start also, aber wenigstens kein Fehlstart. Erkennt zähneknirschend selbst Greenpeace-Chef Martin Kaiser an.

Auch ich bin Lobbyist, wenn auch nur in eigener Sache. Man erkennt die Parteil-Ich-keit in dem, worüber ich kaum schreibe. Die Belastung der Alleinerziehenden, die prekäre Situation von Familien in beengtem Wohnraum und beengten ökonomischen Verhältnissen. Als alleinstehender Skeptiker des Familiarismus, mit deutlich mehr Vergangenheit als verbleibender Zeit, sehe ich in Kindern nicht meine Zukunft - meine Zukunft ist das Alter und der Tod. Statt Botschaften an ein anderes Ich in der alten Normalität zu verfassen möchte ich es besuchen solange ich noch verreisen kann. Ob ich willkommen bin?  

Bislang ist Dunkle Materie den Physikern ein Rätsel. Man weiß dass es sie gibt, weil man ihre gravitative Wirkung nachweisen kann, aber man weiß weder, woraus sie besteht, noch wie sie aussieht, noch welche Eigenschaften sie über ihre ihre gravitative Wirkung hinaus hat. Nun hat der Neurowissenschaftler Karl Friston festgestellt, dass Dunkle Materie eine immunisierende Wirkung hat, die niedrige SARS CoV-2 Infektionsraten in Deutschland erklärt: `Eine Erklärung die immer wahrscheinlicher wird, ist, dass Deutschland mehr immunologische Dunkle Materie besitzt` - so Karl Friston im Interview mit dem britischen Guardian (Laura Spinney, `Germany may have more immunological dark matter`, The Guardian, 31. May 2020). Die hohe Konzentration Dunkler Materie mag mit Deutschlands finsterer Vergangenheit zusammen hängen, ihre immunologische Wirkung könnte auf spezifischen hygieneförderlichen Eigenschaften der Dunklen Materie beruhen. Physiknobelpreisträger Frank Wilczek hat diese Eigenschaften vermutet. Wilczek zu Folge besteht Dunkle Materie aus WIMPs (Weak Interactive Massive Particles), die er  Axone taufte - nach einem in den USA weit verbreiteten Waschmittel. Indizien für die Wirkung Dunkler Materie in Deutschland existierten schon vor COVID-19: Roy Black wurde ein makelloser Weißer, der erste dunkelhäutige Schlagerstar in Deutschland heißt Roberto Blanco. Die Bundesrepublik - der Weiße Westen.   

Ein Beitrag auf Phoenix über Landwirtschaft und Dürre. Wissenschaftler wuseln geduckt wie Wildschweine auf Beeten herum und nehmen Bodenproben. Das ist mal echte Feldforschung. 

Die Phoenix-Runde gestern: ein furioser, zorniger Ron Williams liest den Republikanern, Donald Trump und der auf Mäßigung bedachten weißen Talkrunde die Leviten, ohne es auf der sprachlichen Ebene an Sachlichkeit fehlen zu lassen. Sehens- und hörenswert, auch was die peinlichen Bemühungen der Talkrunde betrifft, Ron Williams Honig ums Maul zu schmieren und gleichzeitig Friedfertigkeit von den Afroamerikanern einzufordern (unbedingt die Mediathek konsultieren). 

Was wenn man dem Begriff Lockdown seinen Schrecken nähme, indem man seine ökologisch positiven Aspekte hervorhebt? Wenn man auf eine Pandemie mit einem lockdown der Wirtschaft adäquat reagieren kann - wieso eigentlich nicht auf die Klimakrise? Statt den lockdown nur als notwendiges Übel anzusehen: wie wäre es damit ihn als strategisches Instrument gezielt zur Abwendung der Klimakatastrophe einzusetzen? Eine Woche globaler lockdown pro Jahr. Undenkbar, wie vieles andere was vor Corona als undenkbar galt. Ich trage das mal dem Feenministerium in Island vor. 

Der DAX langweilt sich. Die EZB erhöht das Volumen des Aufkaufs von Staatsanleihen um weitere 600 Milliarden Euro auf 1,35 Billionen Euro - und die Kurse bleiben stabil. Business as usual. Ganz anders in Italien - man wird dort zu Ehren der EZB-Chefin irgendeinen Flughafen in Lagardia umbenennen. 

Kommt nach der Maskenpflicht die Konsumpflicht? Jedenfalls spricht Comicsprachvirtouse `Batmaaan!´ Olaf Scholz (Bazooka, Wumms) im Heute-Journal eine dringende Kaufempfehlung aus. Was, wenn dieser dringenden Empfehlung die Fortsetzung der Konsumflaute folgt? Dann darf man den Supermarkt erst verlassen, wenn der Mindestkonsum von 30,00 € erreicht wird. Im Ernst: Die permanente Betonung von Superlativen (das größte Konjunkturprogramm der Geschichte und so weiter) ist impertinent. Dazu kommt, dass sich die Protagonisten der hemmungslosen Lösung der Schuldenbremse in einen Rekordrausch der Gönnerhaftigkeit hineinsteigern: Biedermeier in Supermancapes lassen aus schwindelerregenden Höhen Schuldscheine aus Füllhörnern, Bundesladen und Scha(tz)tullen herabregnen, deren Deckung nicht gewährleistet ist. Das soll Optimismus verbreiten, grenzt jedoch an Megalomanie. Die atemberaubenden numerischen Dimensionen der Summen, mit denen jongliert wird lassen Münder hinter Masken offen stehen. Die Stabhochspringer der Kreditaufnahme wollen bestaunt werden...oooh...aaah...bewundert, wie Artisten auf einem Jahrmarkt. Die schiere Größe der Zahlen betäubt Kritik. Die Billionen, die freigesetzt werden fungieren als gesellschaftliche Bestechung - wir schütten Euch zu mit Geld, also macht keinen Aufstand und kauft.

Lässt man sich von den Kabinettstückchen nicht den Kopf verdrehen kann man ihn angesichts der sozialen Unausgewogenheit des Konjunkturpaketes nur schütteln. Beispiel Familienpolitik: "300 Euro Kinder-Bonus verspricht die Bundesregierung Familien. Das ist ähnlich hilfreich wie ein Blumenstrauß zum Muttertag - die tatsächlichen Belastungen lindert er kaum." (Anne Seith. `Na vielen Dank!`, Spiegel Online 04.06.2020). Wie alle anderen Personengruppen, denen man für ihr besonderes Durchhaltevermögen und Engagement dankte, speist man auch die Familien mit einem Trostpflaster ab. Der Vergleich mit dem Blumenstrauß zum Muttertag passt umso besser, als die tatsächlichen Belastungen zumeist bei den Müttern liegen - sie werden jetzt mit einem Handgeld für den Verlust von Karrierechancen und den erzwungenen Rückfall in eine traditionelle Geschlechterrolle abgespeist. Woman is the Nigger of the world - es passt ins Chauvischema, dass es vor allem Frauen sind, denen besonderen Belastungen abverlangt wurden und auch weiter abverlangt werden, ohne dass Entlastungen oder gar eine dauerhafte finanzielle Besserstellung im Raum stehen. Sie sind prozentual überdurchschnittlich hoch in Pflegeberufen vertreten, wo sie sich neben den Strapazen der Tätigkeit hohen Gesundheitsrisiken aussetzen. Ihre `typisch weiblichen` Qualifikationen  (Empathie, Kümmerbereitschaft und Geduld), die sie im Beruf vertiefen, prädestiniert sie für die Rolle der fürsorglichen Mutter, Männer sind für so etwas zu ungeduldig und nicht zäh genug. Die stechen sich doch nur in den Zeigefinger, wenn sie Garn durchs Nadelöhr fädeln sollen und bluten die frisch gebügelte weiße Tischdecke voll. Außerdem ist Muttersein eine anspruchsvolle Tätigkeit, die viele Frauen nun dank Corona in ihrer ganzen Pracht und Herrlichkeit kennen lernen können wie Gloria von Turn und Taxis hervorhebt. Insgesamt wird bei den besonders Belasteten und den Armen in dieser Gesellschaft nicht geklotzt, sondern gekleckert wie Ulrich Schneider, der Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes enttäuscht feststellt: Milliarden für die Wirtschaft, kein Cent für HartzIV-Empfänger und Arbeitslose. Der Rand der Gesellschaft darf gerne den Shopping-Malls fernbleiben. Für ihn bleibt der Shutdown Normalzustand.         

Das Privileg der frühen Geburt besteht im Wiedererkennen von Mustern. Echsenmensch Peter Altmeier im Streitgespräch mit Annalena Baerbock bei Maybrit Illner - das erinnert an den legendären Schlagabtausch von Martin Bangemann und Jutta Ditfurth in einer Elefantenrunde vom 10.03.1985 (nur, dass Peter Altmeier sich die Bemerkung klemmt `Polemik macht hässlich`). Maybrit Illner findet für Kaufzurückhaltung den kauzigen Begriff Verhaltung. Das verleitet mich zu närrischen Verbalkapriolen wie `Kompromisstrauen´, `Massenbierhaltung` und ich trällere vor mich hin: I get locked down, but I get up again. 

Unhöflich und zum Fremdschämen. Markus Lanz ist so sensationsgeil und fasziniert von den Bildern des Aufruhrs in den USA - kommentiert und analysiert von Elmar Theveßen, dem Christian Drosten der deutschen USA-Berichterstattung - dass er seine Gäste nach der Begrüßung geschlagene 20 Minuten nicht zu Wort kommen lässt. Dennis Aogo beispielsweise muss 20 Minuten schweigend zuhören wie weiße Männer über Rassismus schwachsimpeln. Während Dennis Aogo verlegen und verärgert mit den Fingern spielt darf dann der Universalgehörte Karl Lauterbach - der Mann mit der Dauerkarte für beliebige Talkshows zu Themen von A wie Aalleder bis Z wie Zinnsoldaten -  seinen Ehrensenf zur amerikanischen Innenpolitik geben. 

Das qualvolle Sterben des George Floyd: das öffentlich-rechtliche Fernsehen schlachtet ein Snuffmovie als Quotenbringer aus. Abscheulich. 

Thema rassistische Übergriffe von deutschen Polizisten. Markus Lanz ist entsetzt ob der Schilderungen von Hadija Haruna-Oelker über Rassismus bei der Polizei und juristische Verschleppung von Prozessen gegen Polizeibeamte wegen Schikanierung und Gewalt gegen Bürger mit dunkler Hautfarbe. Ist ja nicht zu fassen gibt sich Markus Lanz perplex. Insbesondere der Fall Oury Jallohs, der in einer Gewahrsamszelle im Polizeirevier verbrannte gibt ihm zu knabbern - er hätte bislang für die deutsche Polizei seine Hand ins Feuer gelegt. Mit dieser Äußerung verbrennt er sich den Mund und die Finger, die er an die Lippen legt. 

Sündeschluss. Kebekus. Das habe ich leider verpasst.

 

78. 3. Juni 2020

Grandpa Simpson fights Trumpolin. Angesichts des Auftreten der Donaldisten und der gebotoxten Schwäche des demokratischen Kandidaten aus dem Sauerstoffzelt wünscht man sich fast: Putin for President. Putin genießt sicherlich das publizistische Vakuum betreffend Russland. Würde er grade sämtliche ehemalige Sowjetrepubliken einschließlich Berlin-Brandenburg annektieren würde es im Trumpgetöse nicht bemerkt werden. 

Das  Wetter passt zur Jahreszeit. In den Gazetten erste Anzeichen einer Nachrichtenflaute. Suzi Quatro wird 70, Alice Coopers Mumie gratuliert. Ein verirrter Buckelwal vor der Skyline von Montreal. Den Schuldenerlass für alle Kommunen fände die MoMa-Moderatorin unfair, weil damit Kommunen belohnt würden, die schlecht gewirtschaftet haben (als sollte das in dieser Ausnahmesituation eine Rolle spielen). Bei Siegerehrungen ist das Tragen von in den Regenbogenfarben lackierten Fingernägeln verboten. Wäre da nicht Trumps Wahlkampagne könnte man meinen die ganze Welt mache Sommerpause auf Campingplätzen und in Strandkörben.  

Proteste gegen Rassismus: wohin treibt Amerika? Fragt der Untertitel eines Beitrags im ZDF/ARD-Morgenmagazin. Also wirklich: wo kommen wir denn hin, wenn gegen Rassismus protestiert wird? 

Der Rassismus der Weißen: die Angst der Schuldigen vor der gerechten Strafe. 

Erst die neue Arbeitslosenzahlen, dann die Pressekonferenz von Heiko Maas zur Aufhebung der Reisewarnungen. Jetzt haben schließlich mehr Menschen Zeit zu verreisen. Der Deutsche Reiseverband hält sichere Urlaube in Europa für möglich, sagt aber weder für wie sicher und wie möglich, noch äußert er sich zur Sicherheit bei der An- und Abreise. Die Gesundheitssysteme in den Zielländern bezeichnet der Lobbyverband als vernünftig, was nicht gleichbedeutend mit effizient ist. Zudem basieren die launigen Beurteilungen des Branchenverbands wohl kaum auf den Resultaten von Gutachten unabhängiger Experten. Die Reisewarnungen sind noch nicht aufgehoben, da wird schon von interessierter Seite zur Reise ermuntert. Überlagerung von bedenklich und unbedenklich, von Existenzangst und Vorfreude auf Sonnenbrand.  

Die webcam, die den Strand meiner Sehnsucht zeigt: kaum sind die Reisewarnungen aufgehoben schwärmen Strandverkäufer und Liegestuhlverleiher aus. Ich zoome näher heran, beobachte einen Bladerunner, dessen Fußspuren im schwimmenden Estrich aus Wellen und Sand sanft gelöscht werden. Das könnte ich sein. Ich nehme einen screenshot auf, denke darüber nach an wen ich ihn versende. 

Unschärfe. Superposition. Wahrscheinlichkeit. Was an der Quantenphysik seltsam anmutet ist, dass der Mikrokosmos - das was uns im Innersten zusammen hält (und zusammenfällt) - organisiert ist gemäß Prinzipien, die im Umgang mit unserer sozialen, psychologischen, kognitiven, politischen, geologischen, meteorologischen Welt unser alltägliches Brot sind. Gemessen an Größenskalen sind Elementarteilchen zu weit von uns entfernt, um sie kognitiv zu erfassen. Definieren wir unseren St(r)andort als 0-Punkt auf der x-Achse der Größenskala, so ist entscheidend für das Ausmass an Distanz zur Mesosphäre - der Sphäre des für uns direkt sinnlich Erfahrbaren - der Abstand eines Wertes auf der Größenskala zum 0-Punkt. 10 hoch 10 ist so weit von uns entfernt wie 10 hoch -10. Verblüffend ist, wie sehr Vorgänge am unteren Ende dieser Skala Regeln folgen, denen wir Tag für Tag begegnen. Über den genauen Aufenthaltsort einen Elektrons können wir keine Aussage treffen, können aber mit Hilfe der Wellenfunktion Aussagen treffen über die Aufenthaltswahrscheinlichkeit eines Elektrons an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit. Sobald wir messen steht der Ort fest, bis dahin befindet sich das Elektron im Zustand der Überlagerung - es befindet sich an sämtlichen denkbaren Orten, jedoch mit unterschiedlicher Wahrscheinlichkeit. Wir Menschen haben im Normalfall unsere Gewissheiten, wiegen uns in der Sicherheit eines newtonschen Weltbildes, in dem alles seinen Platz und seine Ordnung hat. Dabei haben wir es jederzeit mit Unschärfe und der Überlagerung von Zuständen zu tun, mit jeder Entscheidung nehmen wir eine Messung vor, die bestimmt welche Entwicklung mit welchem Resultat sich tatsächlich ereignet. Dass wir unsere Welt trotzdem nicht als unscharfes Bild sich überlagernder Perspektiven wahrnehmen hängt damit zusammen, dass wir Prognosen treffen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zutreffen, die Resultate unserer Entscheidungen bestätigen im Alltag zumeist unsere Prognose. Das schafft Vertrauen und Selbstvertrauen, in der Politik, in der Ökonomie, in unseren Beziehungen. Katastrophenfälle wie die aktuelle Pandemie verändern radikal das Verhältnis zwischen Prognose und tatsächlicher Entwicklung. Die Einschätzung der Konsequenzen unserer Entscheidungen und des Handelns von Entscheidern wird erschwert, da die Prognosen über die Wahrscheinlichkeit des Eintreffens von Entwicklungen erschwert werden. Die Szenarien werden unschärfer, die Resultate ungewiss, das Bewusstsein kann den sich überlagernden Zukunftsszenarien keine Wahrscheinlichkeiten zuordnen, die Entscheidungen erleichtern. Entscheidungen die man trifft geraten zu Messvorgängen mit einem höheren Grad an Ungewissheit in Bezug auf das Messresultat. Das verunsichert, zumal auch Horrorszenarien sich überlagern. Wir erleben einen quantensoziologischen Zustand der Überlagerung, dem durch Entscheidungen, die getroffen werden mit ähnlichen Wahrscheinlichkeiten höchst konträre Resultate folgen können (bei Phoenix wird zum x-ten Mal ein Beitrag über den lockdown im Flugverkehr gesendet, so dass Zeit für überflüssige Gedankenspiele bleibt).   

Eine Bundespressekonferenz ohne Tilo Jung ist wie ein Leben ohne Mops.    

Schweden und der Rest der Welt...gemessen an den Infektionsraten und der Todesrate in Schweden muss man einräumen, dass die Gesamtstrategie zu scheitern droht. Es kristallisiert sich jedoch heraus, dass die Ursachen nicht im Verzicht auf Verordnungen liegen, denn: "Tatsache ist, dass die Empfehlungen der Gesundheitsbehörde für weite Teile der Bevölkerung den Stellenwert von Verordnungen haben.(...)Auch ohne Zwang halten sie Abstand, bleiben zu Hause." (Frederik Bombosch, `Schweden ist mit seiner Corona-Politik gescheitert`, Berliner Zeitung, 03.06.2020). Die Ursachen liegen in der Qualität der Verordnungen, in Fehleinschätzungen der Gesundheitsbehörde und folglich fragwürdigen Empfehlungen: `So hielt Epidemiologe Tegnell lange an der Fehleinschätzung fest, dass Corona-Infizierte, die keine Symptome zeigen, das Virus nicht verbreiten können. Diese Annahme lag unter anderem der Entscheidung zugrunde, nur in geringem Umfang zu testen.` Bombosch gelangt zu dem Schluss: `Für die nächste Krise möchte man den Schweden mehr Misstrauen wünschen.` Diese Kritik hat durchaus ihre Berechtigung - blindes Vertrauen in die Entscheidungen und Empfehlungen von Regierungen ist auch dann riskant, wenn diese auf Zwang verzichten und auf Freiwilligkeit setzen. 

Herr Jung ist doch da. Er war hinter einer Kamera versteckt. Hinter der kommt er hervor wie ein Jack-in-the-Box und fragt Stefan Seibert, warum er in seiner Litanei auf die lebhafte und starke Demokratie in den USA, in die man bei dem Umgang mit den Themen Rassismus und Proteste vertraue, auf die Bezeichnung Polizeigewalt verzichte. Diesmal wenigstens eine Antwort: er meide den Begriff durchaus nicht, es erübrige sich aber eine Verurteilung, wie man sie bei der Ausübung von Polizeigewalt in totalitären Staaten ausspreche, weil die Menschen in den USA wirksam ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen und ausüben können. Wachsweich und mindestens strittig, aber immerhin keine reine Floskel. Er bestreitet auch nicht, dass Rassismus auch in Deutschland ein Problem ist: Der weiße Elefant der im Raum steht, wird nicht benannt. Wie `elefantös` ist das Problem und was wird präventiv unternommen?  

...und es hat Wumms gemacht. Die Mehrwertsteuer wird gesenkt. So fantasievoll wie ein Geldgeschenk von Omi und Opi, die wir dank Corona nicht besuchen müssen. Jetzt gehe ich sofort im Überschwang der Hochgefühle Flugreisen buchen, Autos kaufen und gönne mir eine CO2neutrale Kreuzfahrt auf einem von freundlichen Seepferdchen gezogenen Traumschiff. Die Arbeitslosen machen Urlaub im Harz 4. Das Konjunkturprogramm ist ein dermaßener Böller, dass ich bei der Pressekonferenz der Bundesregierung bleibe und Maischberger Maischberger sein lasse. Ist eh ne Aufzeichnung. 

Ich habe Verständnis dafür, dass der regierende Greis in den USA sich auf Gesetze aus dem Pleistozän beruft. Auch ich bin ein Dementalist. Heute sprach ich eine mir sympathische Frau in einem Cafe´ an und fragte sie nach meiner Telefonnummer. 

Jan Fleischhauer führt Corona zurück auf die traditionelle chinesische Medizin. Schuld seien nicht hungrige Urenkel von Hop-Sing, sondern Homöopathie-Gläubige, die Schuppentierpulver in ihren Yogitee rühren. Glaub ich nicht, aber sein Zitat des französischen Außenministers gefällt mir. Gefragt ob Corona alles ändert antwortet er: Ja sicher, alles wird noch schlechter.

Lanz: USA, Afroamerikaner werden verhaftet, wenn sie keine Klingel an ihrem Fahrrad haben. Findet der lippenzupfende Moderator so interessant wie den Todeskampf einer Wespe in einem Bierglas. Beim Thema Masken erreicht der Mundsüchtige seinen üblichen Pegel an Lebhaftigkeit und Empörung. Es ist einzuräumen, dass nach derzeitigem Kenntnisstand das Tragen von Munaschus zur Eindämmung der Pandemie beiträgt - einer dringenden Empfehlung wäre ich gleichwohl deutlich bereitwilliger gefolgt als einer Verordnung.

Ich dämmere weg...es gibt ein Leben nach dem Tod...für die Anderen...

 

77. 2. Juni 2020

Es ist nie zu früh Fragen zu stellen, bei denen man nicht weiß ob man lachen oder weinen sol l. So im MoMa, gerichtet von der Moderatorin an eine Korrespondentin in Washington: "Hat die Polizei in den USA tatsächlich ein Rassismusproblem?" Aber nein. Die Polizei hat mit dem Rassismus überhaupt kein Problem. Das Problem haben die Afroamerikaner. 

Man kann sich nicht vorstellen, dass es angesichts von 40 Millionen Arbeitslosen über 100.000 Corona-Toten und Plänen, das Militär gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen zu einer Wiederwahl des Trumpels kommt, aber da ist der Wunsch Vater der Vorstellung. Schon bei seiner Wahl wurde die Fähigkeit seines Wahlkampfteams unterschätzt die eigene Anhängerschaft zu mobilisieren. 

Unterschätzt habe ich die Schnelligkeit, mit der sich die Polarisierung der Gesellschaft wieder umkehrt. Volle Cafes, Hotels und Strände. Bilder von Ausflugsbooten, die so überfüllt sind wie Flüchtlingsschiffe. Der Feiertag als Kippschalter, das Wetter öffnet weit die Schleusen. Spannungsgefälle, Menschenstromstärke und -dichte, Widerstand ist zwecklos. Jüngste Vergangenheit rückt in prähistorische Fernen. Wieler, Drosten, Streeck, Namen geraten im Eiltempo in Vergessenheit, die Amnesie des meteorologischen Sommerbeginns verbannt die vulnerablen Gruppen unwiderruflich ins Abseits. Nichts ist so alt wie die Opfer von gestern. Der Geist Christos hüllt das Virus ein. Vorübergehend.  

Von den Wogen der Freizügigkeit geschüttelt ist er doch nicht untergegangen: die gesundheitspolitische Debattenfregatte (die `Lauterbach`) entkorkt  ein volkshygienisches Thema, das sich für Restriktionen anbietet: "Es wäre jetzt die Gelegenheit Prostitution zu verbieten." Vielleicht lässt sich ja wenigstens in der Sexarbeit ein Cockdown durchsetzen.   

Crisis? What Crisis? Die nächste Phase der Pandemie besteht in der Leugnung ihrer Dauer und Gefährlichkeit. Die Abnahme an Aufmerksamkeit und öffentlichem Interesse wird verwechselt mit der Abnahme der Bedrohung. Abstumpfung wird interpretiert als Abschwächung, Desinteresse gleichgesetzt mit Schutz, die Gewöhnung an die Bedrohungsszenarien verwechselt mit Immunität. Sars-CoV-2 verliert an medialer Strahlkraft, verblasst zu einem reinen Spielverderber, von dem man sich abwendet. Das Wesentliche wird in den Hintergrund gedrängt, endlich beherrscht das Nebensächliche wieder die Schlagzeilen: "Calle von Bismarck betrunken am Steuer - Seine Frau flippt aus" (Bild von heute). Das Sommerloch wird vorgezogen, bedient die Sehnsucht nach Ereignislosigkeit. Man steht gerne im Stau, oder vor dem Eiswagen in der kilometerlangen Schlange. Schön dass alles noch normaler als normal ist. Hinter Sabberlätzchen fletschen Servicekräfte ihre Zähne, die nicht mehr so blank sind wie zu Beginn der Pandemie, und zischeln: Brexit....

Der Hype um Elektromobilität ist in deren derzeitiger Form angesichts der desaströsen Auswirkungen des Lithiumabbaus (für die Herstellung einer einzige Autobatterie werden 3000 L Wasser vergeudet) schon für sich genommen fragwürdig. Jetzt noch Kaufprämien zu beschließen für den Erwerb von Benzinern und Dieselfahrzeugen ist respektlos gegenüber dem Souverän. Steuergelder aufzuwenden, um den Absatz rückständiger und umweltschädlicher Produkte der Automobilindustrie zu fördern ist gleichbedeutend mit der staatlichen Subventionierung einer Industrie, die an nicht zukunftsfähigen und ökologisch schädlichen Produkten verdienen will. Bei allen Vorzügen der repräsentativen Demokratie: Carola Rackete, Kapitänin und Klimaschutzaktivistin, bedauert zu Recht, dass in der derzeitigen Situation die Chancen zum Umsteuern in Richtung einer klimafreundlichen Politik so gut stünden wie niemals zuvor, leider aber die Bürger derzeit ohne Einflusses auf die politisch Handelnden seien. Stattdessen bestimmt die intensive Lobbyarbeit sogenannter Schlüsselindustrien wo der Hase lang läuft. Die größte Gruppe, die derzeit keine Lobby bei den Regierungen hat sind die Wähler. Ob die allerdings mit dem Begriff Postwachstumsökonomie etwas anfangen können? Gemeint ist damit eine Ökonomie, deren Ziel die Erfüllung grundlegender Bedürfnissen aller Bürger ist (Zugang zu Bildung, Arbeitsplatzsicherheit, optimale Gesundheitsvorsorge), nicht Wachstum und materieller Wohlstand als Selbstzweck. Dies allen Bürgern zu gewährleisten sollte Aufgabe des Staates sein. Gedankenverloren schlendere ich den Gehweg entlang, ein kleines Kind an der Hand seiner Mutter kommt mir entgegen, schwenkt triumphierend einen Spielzeuglaster und ruft triumphierend: "Bagger!"

Beides zugleich. Die Totalen täuschen. Volle Strände, volle Parks, volle Fußgängerzonen. Aus der Vogelperspektive, aus der Distanz. Traut man sich in das Gedränge erkennt man, dass die Nähe zu anderen, die Kontakte von Ellenbogen, die Mischung von Mundgerüchen und leichten Luftzügen kontrovers aneinander vorbei schrammender Passanten durch das Bestreben entsteht, anderen auszuweichen. Menschen in sozialer Superposition: um Freiheit und Isolation bemüht, um Nähe und Distanz, um Begegnung und Kontaktvermeidung. Ich fand die Quantenmechanik immer lebensnah. 

Lanz ohne Virologen, Epidemiologen und Ethikrat. Jetzt ist Corona Geschichte. 

In der Sendung geht es um Hongkong, Verzeihung, die USA. Dagegen verblasst sogar der Grenzkonflikt zwischen Thüringen und Bayern.

  

76. 1. Juni 2020

Europa auf Distanz: Alle Menschen werden prüder.

Werbeplakate gerieren sich als Moralapostel, hämmern uns Verfassung und Grundwerte ein. Der Slogan einer Katjes Werbung "Jedes Leben ist wichtig - aufeinander acht geben." Über diesem erhobenen Zeigefinger das Porträt einer Seniorin. Mahnende Worte von einem Konfektkonzern, verbunden mit der Unterstellung, das Zielpublikum tendiere zu Verantwortungslosigkeit, rüpelhaftem Benehmen und Altersrassismus. Das überlebensgroße Bild - Format als Sinnbild - erzeugt Unlust beim Betrachter, aktiviert kindliche, märchenhafte Wiederstände. Meide die alte Hexe im Wald. Was als Appell für Rücksichtnahme daherkommt ist das Gegenteil. Meide alte Menschen, die verderben Dir nur die Laune. Da bekommt man gleich Lust auf Lakritzkatzen. 

Wie entfesselt wogt Wanderlust in Fronten von exakt 10 Personen durch die beschädigten Wälder. Erst verhalten sich die Menschen so, als entstehe erst mit dem Stichtag des Kontaktverbotes die Gefahr, jetzt verhalten sie sich so, als wäre alles ungefährlich, was wieder erlaubt ist exakt ab dem Moment an dem die Erlaubnis in Kraft tritt. Corona mag sich zwar nicht an Landesgrenzen halten, aber bestimmt an die Verfügungen der Regierung. 

Während sich in Europa laut- und reibungslos der Staat die Rolle eines strengen und fürsorglichen Väterchens schlüpft, dessen wahlberechtigten Kinderlein mehrheitlich eher die Gewährung von Freiheiten als deren Entzug begründet sehen wollen traut sich der erste Regierungschef in Lateinamerika, Corona gezielt als Biowaffe einzusetzen. Wie Human Rights Watch berichtet pfercht Nayib Bukele, Präsident von El Salvador, Mitglieder rivalisierender Banden in Gefängniszellen zusammen und lässt sie sich gegenseitig anstecken. Mal sehen was Trump so alles einfällt um das linksradikale Gesindel in den USA zu bekämpfen. 

Holger Dambeck zieht auf Spiegel-Online "Eine Zwischenbilanz in Zahlen". "Wie gut kommt Schweden auf seinem Sonderweg durch die Krise?" Auf den ersten Blick ist das Resultat niederschmetternd. Die vergleichsweise hohe Todesrate ist eben nicht alleine auf das verstärkte Ausbruchsgeschehen in Alten- und Pflegeheimen zurückzuführen. Dies allein würde die Höhe der Todesrate nicht erklären, da die Problemlage in anderen europäischen Ländern sich nicht in einem Maße von der Situation in Schweden unterscheidet, das als Ursache für das Ausmaß des Unterschiedes in der Todesrate hinreicht. Muss man deshalb reumütig Abschied nehmen vom "Sehnsuchtsort, in dem noch Vernunft herrscht?" Vorschnell sollte man sich diese Frage nicht beantworten. Der "lockere Umgang Schwedens mit dem Coronavirus", wie Dambeck es nennt, scheint angesichts der Todesraten verhängnisvolle Auswirkungen zu haben - es gilt jedoch zwei Ebenen der Krisenstrategie zu differenzieren. Zunächst werden kritische Handlungsfelder definiert, auf denen zu agieren ist um die Infektion einzudämmen. Je nach Einschätzung der Gefahrenlage werden Handlungsempfehlungen formuliert und Maßnahmen beschlossen. Ein wesentlicher Bereich, in dem Handlungsbedarf besteht ist der Bereich des individuellen und sozialen Verhaltens, das erforderlich ist. Die zweite Ebene der Krisenstrategie hat die Frage zu beantworten, auf welchem Wege erforderliche Anpassungen im individuellen und sozialen Verhalten erreicht werden - Schweden setzt hier nicht auf Zwang und Grundrechtseinschränkungen, sondern auf Empfehlungen und Freiwilligkeit. In der öffentlichen Diskussion wird die Gefährlichkeit des schwedischen Wegs (und der Erfolg des eigenen Wegs) gern einseitig damit begründet man lasse den Bürgern zu viel Freiheiten. Dies verkennt, dass die Menschen in Schweden sich den empfohlenen Beschränkungen in ihrem individuellen und sozialem Verhalten freiwillig unterwarfen, ohne dass es dazu gesetzlicher Verordnungen bedurft hätte. Diese hätten das in Schweden traditionell ausgeprägte Vertrauensverhältnis der Bevölkerung zu ihrer Regierung stark belastet - auch Dambeck unterstreicht, dass das individuelle und soziale Verhalten der Deutschen und der Schweden in der Corona-Krise kaum unterscheidet. Die wesentlichen Unterschiede bestehen in den Einschätzungen von Gefahrenlagen in den Handlungsfeldern: Schweden beispielsweise hält Schulen und Kitas offen. Und: es spricht bestimmte Handlungsempfehlungen nicht aus. Öffentliche Zusammenkünfte von weniger als 50 Personen bleiben nicht nur erlaubt, es wird auch nicht empfohlen, sie zu vermeiden. Es steht also zu vermuten, dass nicht etwa der Verzicht auf Zwang und Eingriffe in die Grundrechte Ursache für Probleme beim schwedischen Krisenmanagement ist, sondern im Verzicht auf Eingriffe im ökonomischen Leben und im Bildungswesen und im Verzicht auf weiter gehende Handlungsempfehlungen für das öffentliche Leben. Ich bleibe dabei - die gelebte Vertrauenskultur zwischen Regierung und Bevölkerung eignet sich nicht als epidemiologischer Sündenbock.   

Der Anblick leerer Straßen zu Beginn des lockdowns war ungewohnt. Der Anblick der Autokolonnen auf Nebenstraßen die zu Nahausflugszielen führen ist bizarr. Als Fußgänger, der die Straße überqueren möchte kommt man sich vor, als sehe man an einem unbeschränkten Bahnübergang einem unendlichen Güterzug zu, der die Welt zerteilt wie eine unüberwindbare Mauer. In den Lücken zwischen den Stoß- und Heckstangen blitzen Alienschädel von Radfahrern auf, die auf der gegenüberliegenden Seite mit den Pedalen scharren. Auf die Ampeln ist Verlass. Wenn die Kolonne zum Stehen kommt fädelt man sich zwischen den Karosserien hindurch, denkt dabei an Videospiele aus den 80ern. An Texte von J.G. Ballard.  An Hilberts Hotel, in dem durch die Verschiebung der Gäste von Nebenzimmer zu Nebenzimmer für den neuen Gast nichts gewonnen wäre, da auch die Verschiebung unendlich lange dauern würde. Blechlawinen kommen auf Parkplätzen am Seeufer zum Erliegen. Man kann sich nicht an einen vergleichbaren Ansturm erinnern, das hat etwas von einem Dammbruch, einem Lavastrom. Viel beunruhigender als Radfahrer, die einem wie Dartpfeile um die Ohren fliegen. Den Gaststätten am See werden die Formulare ausgehen. Die Intensivstationen schlummern im Koma geringer Auslastung. Nicht einmal eine Anzeige blinzelt. Verstreut über sichere Häfen der Welt tauschen Mitglieder der Mont Pelerin Society online Aktien und Strategien aus. Spannende Zeiten. Sinkende Kurse, steigende Staatsverschuldung. Regierungen als Scheinriesen. Investoren spitzen ihre Ohren. Mütter mit Fahrrädern und Kinder stürmen schwer atmend Omnibusse, weil es ein paar hundert Meter leicht bergauf geht.

Die Postcorona-Ära ist eingeläutet, während die Epidemie noch am Anfang steht. 

      

 

75. 31. Mai 2020

"Des Öfteren leiste ich mir den Luxus der Agoraphobie im Garten Eden. Ich verlasse das Haus nicht obwohl draußen das Meer lockt, die Felsen, das Blattgold der Sonne auf sich kräuselnden Wellen. Es ist aber auch heiß und zu viele Menschen sind unterwegs, deren speckschwartenglänzende Haut ein ranziges Aroma verbreitet. Die Mittagszeit vertreibe ich mir, in meinem auf 20 Grad heruntergekühlten Schlafzimmer auf dem Bett liegend, mit der Lektüre von Artikeln und dem Anschauen von Dokumentarfilmen. Quantenbiologie und Geruchssinn. Die Nase kann hören. Das Quantenrotkehlchen orientiert sich mit Hilfe von Quantenverschränkung am Erdmagnetfeld. John Stewart Bell verdankt die Anerkennung für seine Bellsche Ungleichung den Hippies und Esoterikern, die in der Quantenphysik die Bestätigung ihres Weltbildes sahen. Freiklettern und Feynmann-Diagramme. Cargo Cult und die Verwechslung von Öffentlichkeitsarbeit und Realität. Ich lese auch die e-mails meines virtuellen Stalkers, die unverändert aus der stakkatohaften Aneinanderreihung von Satzfetzen bestehen, so als stehe er unter enormem Zeitdruck. So schreibt jemand, der untergetaucht ist und jeden Moment die Entdeckung fürchtet. ´Umpolung des sozialen Feldes. Divergenz statt Konvergenz. Seuche als Tsunami. Rücklauf der Welle zerschreddert Ökonomie und Gesellschaft. Die eigentliche Katastrophe steht noch bevor. Sozioökonomischer Fallout. Psychischer Betazerfall. Krieg in den Städten.` Er hat eine Bilddatei angehängt. Seit einer halben Stunde hocke ich reglos auf meinem Bett und überlege, ob ich sie öffnen soll. Keine Lust mir einen Virus einzufangen, andererseits die Neugier...der ewige Zwiespalt...ach, scheiß dra  

Alle Systeme runtergefahren, bis auf den Computer. Als ich einschlief war es draußen noch nicht dunkel. Mir fielen die Lider zu während der Start der SpaceX-Rakete reibungslos verläuft. Reibungsloses Erwachen 12 Stunden später, bis zur Schwerelosigkeit erleichtert. Fernseher bleibt ausgeschaltet. Keine Corona-Berichterstattung. Kein Besuch, den ich erwarte, kein Anlass, den Mund aufzumachen außer um einen Schluck Kaffee zu nehmen. Umfragewerte fallen von einem ab wie Babyspinnen die man mit der Hand abstreicht: 10% der Befragten zu den Folgen der ökonomischen Krise geben an, ihre finanzielle Lage habe sich verbessert. Morgenlatte und steigenden Aktien. Ich genieße heute meinen sozialen lockdown. Keine Gespräche, nicht mal eine Zeitung muss man kaufen, die Masken bleiben zu Hause. Isoliert wie in einer Raumkapsel, tiefenentspannt, losgelöst von der Schwerkraft sozialer Beziehungen kann man Texte verfassen, die vielleicht nie jemand liest, der von dieser Welt ist. 

Also hänge ich ein Bild an und drücke auf Senden. Tschüss.

 

74. 30. Mai 2020

Morgens in der Neuen Normalität: Trump droht Plünderern mit Erschießungen. Twitter weist darauf hin Trumps Tweet sei gewaltverherrlichend. Bislang also keine besonderen Vorkommnisse. Mathieu von Rohr verfasst bei Spiegel Online die tägliche Kolumne `Die Lage am Morgen`. Heute titelt er: "Amerika 2020: Eine Stadt brennt, ein Präsident irrlichtert." Ist es Irrsinn? Ja, aber es ist auch Wahlkampf. Seinen Fans gefällt die Haltung `Erst schießen, dann fragen.` Der Irrsinn ist nicht Trump, sondern dass er gewählt wurde.

Mathieu von Rohr zeichnet heute in seinem Lagebericht folgendes Bild: "Ein Land mit Unruhen, mit über 100.000 Corona-Toten, mit einem Präsidenten, der immer autoritärere Töne anschlägt und seit einigen Wochen zunehmend daran zweifeln lässt, ob er eigentlich ein Wahlresultat anerkennen würde, das für ihn eine Abwahl bedeuten würde." So überraschend ist das nicht. Im Dokumentarfilm "Get me Roger Stone" stellt der ehemalige Spin Doctor der Wahlkampagne von Donald Trump klar, Ziel der Präsidentschaft Donald Trumps soll es sein den Staat und seine Institutionen zu zerstören. Könnte mehrheitsfähig sein.

Überhaupt verharmlost jeder Artikel, der Trump, Bolsonaro oder Johnson als irre bezeichnet. So wie das Dritte Reich nicht nur aus Hitler und die Sowjetunion nicht nur aus Stalin bestand lässt sich das politische Desaster in den USA und anderen Ländern nicht auf den Wahnsinn einer Person reduzieren. Diese Herrschaften sind Gallionsfiguren reaktionärer Gruppen und Kapitalinteressen, die mit Hilfe demokratischer Verfahren Regierungsgewalt erlangten. Die Gefährdung von Demokratie und Rechtsstaat besteht in der Mehrheitsfähigkeit ihrer Gegner.  

Entscheidend für die Wiederwahl (von der angedrohten Wahlanfechtung muss er ja womöglich gar keinen Gebrauch machen) ist nicht die Anzahl von Corona-Toten, sondern deren Zusammensetzung. Es sterben überwiegend Schwarze: Wen juckt das? Kein Grund nicht das Spielcasino wieder zu öffnen und schleunigst die Wirtschaft wieder hochzufahren: It´s the economy, Stupid! Die Situation der Schwarzen Bevölkerung, deren Gesundheitsversorgung aufgrund ihres im Durchschnitt niedrigeren Einkommens schon miserabel ist, wird sich dadurch noch verschlimmern, denn: "Social Distancing ist für viele Schwarze ein Luxus, den sie sich nicht leisten können. Afroamerikaner arbeiten überdurchschnittlich häufig in jenen Berufen, ohne die das Land in dieser Krise gar nicht funktionieren würde: Sie füllen Regale in Supermärkten, tragen Pakete aus, fahren Lieferwagen, Busse und U-Bahnen. Es sind Jobs, die sich nicht ins Homeoffice auslagern lassen - und die sich vermehrt dem Virus aussetzen." (Alan Cassidy, `Tödliche Ungleichheit`, SPON 10. April 2020). Mit anderen Worten: sie sind wie Sklaven leicht zu ersetzen. Es gibt ja genug davon. Auch dieser Zynismus muss einer Wiederwahl nicht im Wege stehen, sondern könnte ihr, so steht zu befürchten, sogar förderlich sein. 

Keine Peking-Ente: die USA beenden die Beziehung zur WHO, weil sie ihr zu schlitzäugig ist. 

Was soll man auch halten von einem Land, in dem sich Sonnenöl mit Bacon-Aroma verkauft?

 

73. 29. Mai 2020

In Minneapolis ereignen sich wütende Proteste wegen der Ermordung George Floyds. Die Wut wird noch dadurch geschürt, dass keiner der beteiligten Polizisten bislang verhaftet wurde. Die Proteste werden begleitet von Brandstiftungen und Plünderungen. Damit auch das deutsche Publikum die Dramatik der Ereignisse erfasst zeigt der Bericht im MoMa eine in Mitleidenschaft gezogene ALDI-Filiale. Rassismus und Polizeigewalt sind ja schon schlimm. Aber das! Erschütternd.   

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert einheitliche Corona-Mindestregeln. Unterschiedliche Regeln erwecken den Eindruck, die Pandemie sei vorbei. Die Logik dieser Folgerung entzieht sich mir. Wieso der unterschiedliche Umgang mit unterschiedlichen Infektionsgeschehen den Eindruck von Entspannung erzeugen soll und umgekehrt ein bundesweit einheitliches Vorgehen trotz unterschiedlicher Infektionsgeschehen den Eindruck von Ernsthaftigkeit erzeugt erschließt sich einem nicht. 

 

72. 28. Mai 2020

Ganz gegen die Gewohnheit beginnt der Tag mit einer positiven Überraschung. Entgegen den Erwartungen hat die Spendenbereitschaft in Deutschland während der Corona-Krise nicht nachgelassen, sondern zugenommen. Der Konsumrausch endete mit kaltem Entzug, die Menschen kommen zur Besinnung. Es herrscht eine anhaltende, familiäre Stimmung, Weihnachten in Zeitlupe, gestreckt bis in die erste Hitzeperiode hinein. Dies drückt sich aus in Mildtätigkeit und steigenden Selbstmordraten, insbesondere bei älteren Menschen, ganz so wie um Heiligabend.    

Jetzt schon ein Kandidat für das Wort des Jahres 2020: Brennglas. Gemeint im Sinne eines lupenreinen, scharfen Blickes auf Sachlagen, aber eben auch assoziiert mit Feuer, Hitze, Erderwärmung. `Bannbruch`ist zwar putzig, hat aber nur Außenseiterchancen.

Lauscht man den Chorälen der Abgeordneten, die einen mit Ausbruch...verzeihung...Aufbruchstimmung anstecken sollen, gewinnt man den Eindruck nachholender Eilfertigkeit. Man erinnert sich an den Vater, der mit Nierenkoliken im Krankenhaus lag und unter Schmerzen schwor, dass er sein Leben und all die Gewohnheiten ändern würde, die andere belasten und ihn krank gemacht haben. Kaum wieder schmerzfrei, munter, bärbeißig und misanthropisch marodierte er so weiter wie zuvor.

Who rules WHO? Die Rede einer Abgeordneten zu einem Antrag zur globalen Gesundheitsfinanzierung beginnt mit den Worten: wir investieren mehr Geld in den Tod als in das Leben. Klar - für einen Exportweltmeister ist der Krieg ein lukratives Geschäft, während Gesundheit kostet. 

Auf Ihr Wohl - die größte Kneipe Deutschlands ist die `Zettelwirtschaft`. Auch der Besuch einer gastronomischen Stätte, an der die Einhaltung von Abstandsregeln und Kontaktsperren gewährleistet ist verpflichtet den Gast zur Abgabe personenbezogener Daten auf Papier, der Wirt hat für die Bereitstellung und die Verwaltung der Formulare zu sorgen. Dass dies nicht eben stimmungsaufhellend und umsatzförderlich wirkt illustriert der Artikel `Die Zettelwirtschaft´ von Thomas Mader in der WAZ. Mit der Notwendigkeit, Infektionsquellen und -ketten nachzuvollziehen wird dieses ebenso umständliche, wie antiquierte Verfahren gerechtfertigt. Wie sehr beim Schutz der Bevölkerung mit zweierlei Maß gemessen wird zeigt, dass im ÖPNV überhaupt nicht die Rede davon sein kann, dass die Einhaltung von Abstandsregelungen gewährleistet sein muss, die Menge der Fahrgäste pro Gefährt limitiert wird und die Daten der Fahrgäste erfasst werden. Das Missverhältnis ist eklatant - das Freizeitverhalten und die Freizeitangebote finden unter dem Zeichen verstärkter Kontrolle statt, im öffentlichen Personennahverkehr, auf dessen Nutzung viele Menschen angewiesen sind, verzichtet man auf derlei Kontrollmaßnahmen. Die Vermutung liegt nahe, dass hier der Aufwand gescheut wird, weil die Menschen den ÖPNV ohnehin benutzen müssen. Es ist grotesk, einerseits Schutzmaßnahmen im öffentlichen Raum zu verlangen, in dem die Menschen selbst für den nötigen Abstand sorgen können, während im ÖPNV von den Menschen nicht nur verlangt wird, sich Infektionsgefahren auszusetzen, sondern Infektionsketten obendrein nicht nachvollziehbar sind. 

In der Allgemeinen Relativitätstheorie bestimmt der Krümmungstensor die Krümmung der Raumzeit. Weltlinien, die in der Raumzeit propagieren, folgen Geodäten, den kürzesten Verbindungskurven zweier Punkte in einem gekrümmten Kontinuum. Im sozialen Raum ist seine Biographie die Weltlinie des Individuum. Sie entfernt sich von den Weltlinien andere Individuen, nährt sich ihnen an und kreuzt sie an Punkten der Begegnung. Kontaktsperren und Abstandsregelungen, wie sie derzeit gelten verändern radikal den Krümmungstensor des sozialen Raums und damit den Verlauf der biographischen Weltlinien. Der soziale Raum ist nicht mehr positiv gekrümmt wie eine Kugel, sondern negativ gekrümmt wie ein Sattel. In einem derartigen hyperbolischen Raum divergieren unsere Weltlinien, statt zu konvergieren wie die Längengrade auf einem Globus. Geodäten - nennen wir sie für den sozialen Raum Biodäten -  in einem hyperbolischen Raum entfernen sich voneinander, im Gegensatz zu den Biodäten auf einer Kugel, die sich annähern und begegnen. Derzeit entsteht eine hyperbolische Gesellschaft, in der die Lebensläufe der Menschen sich nicht nur geometrisch voneinander entfernen, sondern auch psychologisch. Man kann deutlich die Kraft der Verwerfungen spüren, die aus unterschiedlichen Deutungen der Krisenszenarien seitens der von der Krise unterschiedlich Betroffenen resultiert: was der eine für den richtigen Umgang mit der Bedrohung hält, wird vom anderen als unverantwortlich verworfen. Verwerfungen in der Tektonik von Beziehungen führen zu Brüchen und Rissen, die umso ausgeprägter sind, desto enger und tiefer die Beziehung ist. Je größer die Nähe, desto verheerender die Scherkräfte. Sie drücken sich nicht mehr in Streitigkeiten aus, denn für deren Austragung bedarf es der Zuwendung - sie drückt sich aus als Funkstille, zwischen Sendern und Empfängern, deren Distanz die Reichweite von Signale überschreitet. Man ist sich nicht böse, sondern fremd.

Im Bundestag geht es ans Eingemachte - den EU-Wiederaufbaufond. Interessanter als die Debatte ist die Begrifflichkeit. Was wurde zerstört und was wird wieder aufgebaut? Zerstört wurde das Vertrauen in Europa, wieder aufgebaut werden soll das Vertrauen in die Tragfähigkeit eines Fundamentes, das Robert Schuman, seinerzeit französischer Außenminister, 1950 mit seiner Erklärung gelegt hat. Sie war die Basis für die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, aus der die Europäische Union hervorging. Der Leitsatz dieser Erklärung lautet: "Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe dieser Bedrohung entsprechen." Die Leistung Robert Schumans bestand darin, direkt nach dem zweiten Weltkrieg, in einem zerstörten Europa, die ehemaligen Erzfeinde Deutschland und Frankreich zu Partnern zu machen. Dabei ließ er sich von der Erkenntnis leiten: "Die Vereinigung der europäischen Nation erfordert, dass der Jahrhunderte alte Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschland ausgelöscht wird."  Nie wieder Krieg in Europa - das war das Ziel das Robert Schuman leitete. Die Initiative von Emanuel Macron und Angela Merkel hat grade noch rechtzeitig eine Brücke über die Gräben gebaut, die zwischen den europäischen Zentralmächten wieder aufzubrechen drohten - mit der gemeinsamen Idee des Wiederaufbaufonds haben sie nicht nur das Vertrauen in Europa wieder hergestellt, sondern weisen den Weg zu einem Vereinigten Europa mit staatlichen Befugnissen. Die Bundeskanzlerin musste dazu über den Anti-Eurobond-Schatten springen, der sie zunächst mit den "Geizigen Vier" verband. Angela Merkel folgt dabei der Verpflichtung aus ihrem Amtseid, Schaden vom Deutschen Volk abzuwenden. Angesichts der globalen Machtkonstellation kann sie dieser Verpflichtung nur dann nachkommen, wenn aus der Währungsunion Europa ein politisches Machtgebilde mit staatlichen Befugnissen wird: die Vereinigten Staaten von Europa. Der EU-Recovery-Fond ist ein großer Schritt in diese Richtung (ich muss gestehen, dass ich die Initiative zunächst nur als ein taktisches Manöver ohne Aussicht auf Umsetzung einschätzte). Die Verfassungsgegner von der AfD instrumentalisieren die Verfassung, um diesen erforderlichen Schritt zu verhindern. Der gerechte Lohn wäre das Unterschreiten der 5%-Schwelle bei der nächsten Bundestagswahl. 

Ein nächster Schritt in Richtung einer politischen Union wäre die Einrichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft. Hoppla. Wird ja grade debattiert.

Eine Abstimmung zum neuen Adoptionsrecht kündigt der Kommentator mit dem Versprecher an: Es folgt eine Abstammung. Damit verwechselt er die Reihenfolge der Ereignisse.

Während ein AfD-Abgeordneter geifert lese ich eine Kolumne von Samira El Quassil zum Tod von George Floyd, den ein weißer Polizist vor laufender Handykamera ermordete - man sollte nicht davor zurückscheuen es so zu nennen. Die Umstände sind hinlänglich bekannt und in jeder Hinsicht abscheulich, bis hin zu der Aussage eines Kollegen des Polizisten vor der Kamera, der schildert, George Floyd habe sich während der Festnahme gewehrt und plötzlich ein medizinisches Problem gehabt. Tief in den Abgrund blicken lässt der Hinweis darauf, dass "Joggen für Afroamerikaner ein gefährlicher Sport ist." Zynisch gesagt: das passt ins Bild eines in die Zeit der Sklaverei zurückreichenden Rassismus. Das schlimmste Verbrechen des Sklaven ist Freiheit. Versucht er wegzulaufen gehört er erschossen. So sind heute noch für manche innere Kapuzenträger und weiße Ordnungshüter Afroamerikaner Freiwild. 

Maybrit Illner und Katja Kipping sind sich einig. Verbot muss sein, Bodo Ramelow liegt falsch. Professor Dr. Jonas Schmidt-Chanasit ist Virologe und hält das Vorgehen von Bodo Ramelow für richtig. Mal sehen aus welcher Ecke die Morddrohungen für ihn eintrudeln. Aus meiner Ecke sicher nicht.

Dass Christiane Woopen ausgerechnet die Regeln im Straßenverkehr als Argument für die Fortdauer der Grundrechtseinschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Krise anführt ist schlicht grotesk: die Regeln im Straßenverkehr sind nicht Bestandteil irgendeiner Grundrechtseinschränkung. Im Gegenteil wird schon die Einführung einer Geschwindigkeitsbegrenzung, die nachweislich Leben retten würde, als unzumutbare Einschränkung der Persönlichkeitsrechte angesehen. Wenn wiederum Ferdinand von Schierach zugleich darauf hinweist, dass Grundgesetz definiere nicht den Schutz des Lebens, sondern die Würde des Menschen als höchstes Gut und Bodo Ramelow dafür kritisiert, auf ein niedriges Infektionsgeschehen mit lokal begrenzten Maßnahmen zu reagieren und die Würde des Menschen durch Rückgabe von Freiheitsrechten wieder herzustellen ist das bizarr. ´Wir wählen die Sicherheit, nicht die Freiheit`sagt er kurz bevor ich einschlafe - umso weniger Anlass besteht, Freiheitsrechte einzuschränken, weil die freie, nicht reglementierte Wahl des Menschen ohnehin auf die Sicherheit fiele. 

   

71. 27. Mai 2020

Endlich einer der mein morgendliches, verkatertes Lebensgefühl teilt: "Wir alle schweben auf einer kleinen Kugel durchs riesige Weltall, und man kann sich durchaus fragen: wozu stehe ich eigentlich morgens auf?" (Felix Ekart, "Erlebnisse sind nicht alles", WAZ Reise, 27.05.2020) Ich denke, also bin ich - wozu? Und wer? Oder wie Max Goldt es ausdrückt: "Jeden Morgen, wenn ich meinen Kleiderschrank öffne frage ich mich wer ich bin." Glaubt man Felix Ekart, so gelangen die Menschen bei nahendem Sommerurlaub zu folgender Antwort: "Was könnte da das ganze Schuften und generell unser seltsames Tun besser legitimieren als eine Fernreise?" Ich bin ein Urlauber - und der Sinn des Lebens besteht darin "sich auf Reisen einzulassen, die objektiv gar nicht besonders angenehm sind, mit drückend heißem Klima, schlechtem Essen und ungemütlichem Hotel." Der Grund dieser masochistischen Belohnung für einen sinnlosen Alltag ist Forschergeist - man möchte am eigenen Leib erfahren wie sich der Klimawandel in den gemäßigten Breiten demnächst anfühlt. Im Grunde ein Bildungsurlaub zur Vorbereitung auf Schlimmeres: der Ryan-Air-Kunde als Preper. Die Börse sieht den Bildungsurlauber und Preper im Aufwind - die TUI-Aktie hob heute ab, während die Flieger nach am Boden liegen, ein Steilflug im 50%-Winkel.    

Solange noch nicht geklärt ist, wie die Fluggesellschaften und Flughafenbetreiber den Pauschaltouristen suggerieren wollen, dass es in Flughäfen und Flugzeugen sicher ist (ob der Ansatz sich durchsetzt, die Luft per Hochleistungsfilter vertikal auszutauschen während die Virenlast sich radial verbreitet ist noch offen) muss man sich die morgendliche Frage nach der eigenen Identität anders beantworten, allerdings kann man das unter Rückgriff auf Urlaubserfahrungen: Ich meckere, also bin ich ein Wutbürger - und verfasse einen Leserbrief.

Wie beantwortet eigentlich ein Krisenmanager die Luxusfrage nach dem Wer und dem Warum? Ganz einfach: Mit der rhetorischen Gegenfrage `Wer, wenn nicht ich!` 

Bundeskanzleramt und Staatskanzlei einigen sich auf folgende Aussage: Bürger sollen weiter möglichst viele Kontakte vermeiden. Ja...gleichzeitig sollen sie durch Kaufanreize motiviert wieder zur Belebung von Gastronomie, Shopping-Malls und Touristik beitragen. Wie die Rote Ampel in Bezug auf soziale Kontakte zur Grünen Ampel in Bezug auf den Flugverkehr, zur Gastronomie und vielen anderen Bereichen des Geschäftslebens passt mag sich mir nicht erhellen. Widersprüchliche Aussagen als Neue Normalität. Double-Bind-Situationen als neue gesellschaftliche Realität. Auch das lediglich `neu` in der Deutlichkeit der Ausprägung. Somit ist das, was als verhängnisvoller Paradigmenwechsel bezeichnet wird, nämlich der Schwenk von der staatlichen verordneten Maßnahme hin zu Eigenverantwortung und Selbstschutz, schon längst Wirklichkeit. Die staatliche Aufgabe des Schutzes der Bürger vor Gefahren für Leib und Leben ist schon längst auf diese übertragen worden - wir stehen ständig vor schwierigen Entscheidungen zwischen Selbstschutz und Beteiligung am sozialen Leben, die erheblich dadurch erschwert werden, dass in unverzichtbaren Einrichtungen wie Supermärkten und öffentlichen Verkehrsmitteln die Voraussetzungen eines wirksamen Eigenschutzes nicht gegeben sind. Mit anderen Worten: wir sind aufgefordert, uns in Gefahr zu begeben, weil die Umorganisation von Infrastrukturen, die notwendig wäre um Abstandsregeln auch in Geschäften und in öffentlichen Verkehrsmitteln einhalten zu können zu aufwändig und kostspielig ist.

Wie ergeht es erst Pflegebedürftigen, die diese Entscheidungen aufgrund ihres physischen Zustandes gar nicht treffen können? Sie sitzen in der Falle. Nicht auszudenken in welche psychologische Situation die Menschen dauerhaft versetzt werden, um deren Schutz es ursprünglich gehen sollte.

Zu einer neuen vulnerablen Gruppe mausern sich Virologen und Epidemiologen. Vergleiche von Christian Drosten mit Josef Mengele, Morddrohungen, Schlagzeilen in der BILD, die Drosten zum Abschuss durch aufgeputschte Helikopter-Eltern freigeben. Die Wissenschaftler tauchen ab, teils beiseite gedrängt durch lockerungswütige Politiker, teils wohl aus Selbstschutz. Bedauerlicher Weise leben wir nicht nur in Zeiten beschränkter Freiheit, sondern auch der Freiheit der Beschränkten. Diese Unvernünftigen hat Markus Söder nicht im Visier, zumindest solange sie sich an die Corona-Maßnahmen halten. Meine Skepsis gegenüber Verboten und ihrer Wirksamkeit ist ausgeprägt, beinahe noch schlimmer finde ich zum Teil, was erlaubt ist. 

Ungeheuerliches geschieht bei der Bundespressekonferenz (Grünes Konjunktur- und Investitionsprogramm). Tilo Jung fragt - und Anton Hofreiter/Katrin Göring-Eckardt antworten. Sie distanzieren sich auf Nachfragen eindeutig von der in vieler Hinsicht fossilen Automobilstrategie ihres Parteikollegen Winfried Kretschmann. 

Anscheinend möchte die indische Regierung die Pandemie zur Beschleunigung eines sozialverträglichen Frühablebens nutzen. Anders lässt sich schwer erklären, wieso sie trotz der Warnung der WHO vor dem Einsatz des Malaria-Mittels Hydroxychloroquin genau auf dieses Mittel setzt. Wie die ZEIT ausführt ergab eine Studie der Harvard Medical School in Boston, dass die Einnahme von Chloroquin keinen nachweisbaren therapeutischen Effekt hat, erhebliche schwere Nebenwirkungen hervorruft und die Sterblichkeit erhöht. Dass grade die Länder, die auf eine rasche Öffnung der Wirtschaft pochen und deren Regierungen mit Genugtuung zusehen, wie die nutzlosen, lästigen Armen und Schwachen ins vertrocknete Gras beißen den Einsatz von Chloroquin empfehlen spricht für eine nicht nur auf Indien begrenzte Attraktivität dieser Strategie. Für Indien ist das ein gutes Geschäft: `70% der weltweiten Hydroxychloroquin-Bestände werden in Indien produziert." (`Indien setzt umstrittenes Malaria-Medikament gegen Corona ein`, ZEIT-Online, 27. Mai 2020). Ein zynisches Kalkül: je rascher Infizierte sterben, desto eher sind sie nicht mehr ansteckend. Das war der Grund für die lokale Eingrenzung von Ebola-Epidemien. Die Kranken starben, bevor sie andere anstecken konnten. Bei COVID-19 muss man da ein Bisschen nachhelfen. 

Moria ist die Hölle. Was ist dann erst Kutupalong in Bangladesch? Dort leben 800000 Flüchtlinge unter vergleichbaren Bedingungen wie in Moria auf einem ehemaligen Elefantenfeld. Drastisch gesagt ist auch dieses Lager `nur` Symptom: weltweit leben - wie heute der deutsche Entwicklungshilfeminister Müller während der Fragestunde im Deutschen Bundestag ausführte - 4 Milliarden Menschen in Armut, etwa die Hälfte der Weltbevölkerung. Unser Wohlstand hier hängt mit der Armut dort zusammen. Allein 500 Milliarden € an Zuschüssen und 250 Milliarden Kredite will die EU-Kommission im Rahmen des EU-Wirtschaftsprogrammes `Next Generation EU` - während Entwicklungshilfeminister Müller in Deutschland um 3 Milliarden € für seinen Etat bettelt - in die Unterstützung der am stärksten von der Corona-Krise betroffenen europäischen Länder pumpen (Typisch unfreiwilliger vdL-Humor: das sind Investitionen, deren Früchte die nächsten Generationen ernten - hauptsächlich Schulden. Diese schönfärberische, salbungsvolle Verdrehung der Tatsachen treibt unter anderem die 30-jährige französische EU-Parlamentarerin Manon Aubry von der Konföderation der Vereinten Europäischen auf die Palme: "Sie hinterlassen uns Schulden und Umweltbelastungen und gleichzeitig verweigern sie sich einer Besteuerung von Gewinnen der Internetunternehmen und der Supermarktketten, die von der Krise profitieren." Eine Philippika voller Wahrheit). Die gewaltigen Summen, die in Europa für die Bewältigung der Corona-Krise mobilisiert werden müssen diesen vier Milliarden Hungerleidern so vorkommen, als wedele man vor ihren Augen mit Geldscheinen herum, die man genüsslich an einer brennenden Zigarre entflammt. Immerhin wird sich die Anzahl der Armen und Hungernden durch die Pandemie reduzieren - da Unzählige diese Pandemie nicht überleben werden. 

BPK: Vorstellung der polizeilichen Statistik zu politisch, religiös und politisch motivierten Straftaten. Präsentiert wird die Statistik der Straftaten, die zu Anzeigen geführt haben. Dass diese Zahlen wenig aussagen über die Brisanz des politischen Klimas - insbesondere was rassistische und rechtsradikale Tendenzen betrifft - zeigt die Diskrepanz zwischen den Ergebnissen einer vom Bundesinnenministerium durchgeführten Befragung hinsichtlich direkter Erfahrungen von Bürgern mit rassistischen Übergriffen (etwa 236000 Vorfälle in 2019) zur Zahl der zur Anzeige gelangten Delikte (etwas über tausend). Daraus ergibt sich eine Dunkelziffer, die mindestens so alarmierend ist, wie die Dunkelziffer der Infizierten in der Pandemie. Hier wären die Entwicklungen von R-Raten und K-Raten (letztere bei COVID-19 ein Wert, der die Infektiösität von "Spreadern" beziffert, die Entsprechung wäre eine Ziffer für die Stärke  des Einflusses von persönlichen und automatisierten Influenzern auf Dritte) in den letzten Jahren zu betrachten, um einen Eindruck von Ausmaß und Dringlichkeit des Problems zu gewinnen.  

Das wär ja mal ein Ding: Twitter und Donald Trump löschen sich gegenseitig aus. Die Traumehe des weltgrößten truenews-Verkünders in Form von tweets und dem von ihm am meisten profitierenden Online-Dienstes Twitter steht vor dem Aus. Ein Soap-Opera-Zoff wie bei den Kardashians. Es ist auch empörend: Twitter wagt es, Trumps Versuch, seine Abwahl schon prophylaktisch für unmöglich zu erklären, indem er Briefwahlen vorweg für manipuliert erklärt, als fake-news zu kennzeichnen. Nun will Trump den Twitter-Dienst verbieten. Wie erfreulich, dass der president evil keinen anderen Kummer hat.

Ein Beitrag auf 3sat über Effekte und Konsequenzen des Klimawandels. Brennende Moore, die Methan freisetzen. Waldbrände, die aufgrund extremer Dürre kaum noch zu löschen sind, eine CO2-Kamera dokumentiert bildhaft den Ausstoß des wie das Corona-Virus unsichtbaren und dadurch für viele (Lukaschenko: Sehen Sie hier Viren?) nicht vorhandenen Treibhausgases eines Flugzeugs. Ich bin beeindruckt und sollte mit dem Zug zum Ort meiner Sehnsucht reisen. 30 Stunden ununterbrochen mit Nasen-Mund-Schutz. Mach ich nicht. Mal sehen wie lange es mit einem Heißluftballon dauert. 

Homosexuelle Männer, die Blut spenden wollen müssen versichern, dass sie in 12 Monaten zuvor keinen sexuellen Kontakt zu Männern hatten. Szenen eines Morgens mit Hörnchen am Bet - Sie: "Du warst aber nicht so enthusiastisch." - Er: "Naja, ich möchte Blut spenden und dazu darf ich zwölf Monate keinen Sex mit einem Mann haben." - Sie: rafft die Röcke und schlägt die Tür zu.

Bei Lanz und Maischberger: Überraschend großer Zuspruch für Bodo Ramelow, vor allem von Stern-Journalist Hans-Ulrich Jörges, der den Nasen-Mund-Schutz angenehm verächtlich den `Lappen` nennt. Er sieht angesichts des aktuellen Infektionsgeschehens die Einschränkung der Grundrechte als nicht mehr verhältnismäßig an. Aktuelle Bilder von distanzlosen Menschenmassen am Strand belegen für ihn, dass dauerhafte Eingriffe in individuelles Verhalten das Gegenteil ihrer beabsichtigten Wirkung erzeugen. Nicht nur die Verhältnismäßigkeit von Zwang steht in Frage, sondern auch dessen Eignung.  

(...)

"Am Strand steigen Drachen - das jährliche Drachenfestival. Mich beunruhigt der fliegende Haifisch mit Mundschutz. Über dem diesigen Horizont schwebt ein Ballon, der für ein Desinfektionsmittel wirbt. Plastikschwänze flattern geräuschvoll im Wind...die Unruhe der Planen von Lazarettzelten auf zugigen Schlachtfeldern."

 

 

70. 26. Mai 2020

Ich erwache hungrig aus einem Traum von Leberwurstbäumen, die sich in einer Träne spiegeln. Von der Miniportion kann man nicht satt werden.  

Die Kassiererinnen und Kassierer an der Supermarktkasse müssen keine Masken mehr tragen. Das freut mich für sie und für mich - ein Lichtblick, auf den meine Psyche überreagiert wie das Immunsystem auf COVID-19. Im Überschwang der Gefühle kaufe ich aus Versehen Kondome mit Geschmack statt Kaugummis.

Ich fühle mich ertappt als ich auf einen Artikel von Hengameh Yaghoobifarah in der taz vom 14.04.2020 stoße: "Fade wie Furzen - zu viele Corona-Tagebücher." Ein Auszug: "Wen juckt es, was Leonie oder Clemens in ihre Tagebücher schreiben, wenn sie original dasselbe erleben wie 70% der Gesellschaft? (...) Herkömmliche Tagebücher sind nicht ohne Grund mit einem Schloss versehen." Ich leiste mir die Arroganz zu grinsen. Mich kann er ja nicht meinen, oder?

Achtung, eine Durchsage: Der kleine Mirko kann nicht von seinen Eltern abgeholt werden. In der Ukraine werden Kohorten von Leihmüttern geborener Babies in einer Batterie überdimensionaler Tupperware-Schalen zwischengelagert, bestellte Bioware, deren Käufer aus dem Ausland aufgrund der Grenzschließungen die Lieferung nicht in Empfang nehmen können. Die Leihmütter erhalten für das Austragen und Gebären 8000,00 €. Das ist ein Monatslohn von nicht einmal 1000,00 €, ein voller Bauch für den vollen Bauch der eigenen Kinder. Der Preis, den die Käufer bezahlen, liegt bei 65.000,00 €. Die Gewinnspanne für das Unternehmen, das Leihmütter vermittelt dürfte imposant sein. 

Zu Beginn des lockdowns wurde gelegentlich orakelt, es sei mit steigenden Suizidraten zu rechnen. Auf Publikationen von Statistiken bin ich noch nicht gestoßen. Entweder gibt es sie noch nicht, oder man will die Konsumdepression des Publikums nicht vertiefen. Vielleicht sagt man sich auch: Suizide sind nicht ansteckend. So wenig wie Kindesmissbrauch und Gewalt in der Familie.

Der Shitstorm über Carsten Ramelow regnet überparteilich auf ihn herab, auch seitens vormaliger Fürsten der Lockerung wie Armin Laschet und Markus Söder. Kernpunkt der Kritik ist, sein Vorhaben "sende falsche Signale." Reicht denn - unabhängig von der Korrektheit dieser Annahme - diese küchenpsychologische These als Begründung für die Verlängerung von Einschränkungen der Grundrechte aus? Dass es ein `falsches Signal`sein soll, den Bürgern verantwortungsvolle Selbstregulation zuzutrauen (zuzumuten?) ist per se schon eine heikle Vermutung. Dann auch noch mit der Unvernunft Einzelner rechtfertigen zu wollen, auch in Regionen mit einem Infektionsgeschehen nahe null weiter auf Verbote zu setzen - schließlich, so Söder, bedürfe es auch im Straßenverkehr Regeln und Kontrollen, um Verkehrssünder zu sanktionieren - ist hanebüchener Humbug. Erstens kommt man der Unvernunft Einzelner nicht durch Verbote und Sanktionen bei, zweitens müsste man mit dem Argument der Unterbindung der Unvernunft Einzelner mit sofortiger Wirkung das gesamte wirtschaftliche und soziale Leben (inklusive Straßenverkehr) einfrieren. Drittens ist nicht zu erkennen, dass Ramelows Vorhaben überhaupt eine Signalwirkung dahin gehend hätte, dass die Bevölkerung die Gefahr als gebannt ansieht - das Trommelfeuer der Warnungen hat längst eine Klima der Angst erzeugt, das nachhaltige Verhaltensänderungen manifestiert.  

Folgt man der Scheinargumentation Markus Söders, der den Fall der akuten Katastrophengefahr schon durch die vage Annahme individueller Unvernunft für gegeben hält, sind das Grundgesetz und die darin definierten Freiheiten die Quelle der Infektionsgefahr und sollten im Sinne des Infektionsschutzgesetzes ebenso abgeschafft werden wie die Demokratie an sich. Dass eine solche Entwicklung sich ereignen kann, wird mit jedem Tag wahrscheinlicher, an dem die Dauer der Eingriffe in die Grund- und Freiheitsrechte nicht definiert wird. Dann kann demnächst der Biergartenfetischist Markus Söder gesetzlich regeln was vernünftig ist und das Unvernünftige unter Strafe stellen, zum Beispiel das Tragen von Masken, die nicht in den bayrischen Landesfarben designt sind. Was genau vernünftiges Verhalten ist, erklärt dann anschaulich und nachvollziehbar Edmund-Stoiber-Gedächtnisredner Hubert Aiwanger.   

Eine gewisse Niedergeschlagenheit...wenn einem Buchtitel wie "Über den Verzicht auf Musik" oder "Das Glühen vor der Agonie" einfallen, sollte man sein Fingerspitzengefühl eine Weile lang nicht an die Tastatur vergeuden. 

Du, lieber Handelsverband, beklagst: Kunden kaufen nur das Notwendige. Ich kann nicht umhin, dies nicht als negatives Signal zu werten. Wenn aus Sicht von Klimaforschern eine Eindämmung der Folgen des Klimawandels ohne Verhaltensänderungen nicht möglich sein wird, so wird der Druck auf Unternehmen ihre Geschäftsmodelle und Marketingstrategien anzupassen dann effektiv sein, wenn Verbraucher sich zunehmend auf Nützliches und nicht auf Überflüssiges fokussieren. Dazu gehört auch ein verändertes Mobilitätsverhalten, etwa durch Carsharing und den Verzicht auf unnötige Fahrten mit dem Auto. Ob der Zug in diese Richtung geht, ist zwar offen - doch es ist unwahrscheinlich, dass die Verinnerlichung von Verhaltensmustern ausgerechnet beim Konsum ausbleibt und wieder business as usual weicht. Da unentwegt heraus posaunt wird, dass man auf unabsehbare Zeit nicht mehr zur Normalität zurückkehren kann, wie man sie kannte, gilt dies wohl auch für Kaufhäuser, Geschäfte, Reisebüros etc. Zu denken, dass die Ökonomie die Ausnahme von Ausnahmezustand bildet, ist Traumtänzerei. 

Die Union will ab 01. Juli den Soli abschaffen. Man will die Kaufkraft stärken. Ob es etwas bringt die Kaufkraft zu stärken ohne dass die Kaufbereitschaft zunimmt? 

Die Tautologie des Morgens lässt Dietmar Bartsch bei phoenix vor Ort vom Stapel: Man muss die Überprüfung der Maßnahmen immer wieder überprüfen. Am besten von einem staatlich zertifizierten Überprüfungsüberprüfer.

Dazu die Gurke des Morgens: "Die Lufthansa-Tochter Eurowings hat endlich den Ferienbetrieb wieder aufgenommen - dabei aber ein Detail übersehen. Der Zielflughafen auf Sardinien war wegen der Coronakrise noch geschlossen." Bei der Qualität der Logistik beschleicht einen Flugangst. 

Bei einer Pressekonferenz argumentiert Markus Söder, dass es verheerend sei, wenn die bisher ergriffenen Maßnahmen täglich von `Einigen` in Frage gestellt würden. Dies sei gefährlich und verunsichere die Bürger. Mit Verlaub: die Einschränkungen von Grundrechten sind jederzeit auf Verhältnismäßigkeit, Eignung, Angemessenheit zu überprüfen und sie sind zu befristen. Nicht die Lockerungen müssen begründet werden, sondern die Einschränkungen. Außerdem stellt die scheinheilige Frage, `welche Grundrechte denn nun wirklich noch eingeschränkt seien? Es handele sich doch lediglich um Kontaktsperren!, Abstandsregelungen und Maskenpflicht!` eine unerträgliche Verharmlosung gravierender Eingriffe in das Verhalten von Individuen und Gruppen dar, zudem hängt die Frage nach der Verhältnismäßigkeit, Eignung, Angemessenheit und Befristung nicht von der Menge der Freiheitsbeschränkungen ab. Es gibt so etwas wie ein `Bisschen` Grundrechtseinschränkung ebenso wenig wie ein `Bisschen` schwanger. Obendrein ist es sachlich unrichtig, Carsten Ramelows Initiative als einen `radikalen Kurswechsel` zu bezeichnen und den Thüringer Weg als Aufgabe von Schutzmaßnahmen. Inhaltlich unterscheiden sich die Schutzmaßnahmen in Thüringen nicht oder kaum von denen in Bayern. Lediglich die Verlagerung der Verantwortung für das Befolgen der Maßnahme auf die Ebene der Selbstregulierung der Bürger weicht ab von der bisherigen Praxis. Wenn der Weg zurück zu den Freiheitsrechten schon `radikal´ genannt wird, dann scheint der Kurswechsel dringend notwendig zu sein.

Beinahe komisch ist die Angst des Hochinfektionslandes Bayern vor der Einschleppung von COVID-19 aus Thüringen - umgekehrt wird ein Schuh draus. Man könnte verstehen, hätte Thüringen Angst vor dem blau-weißen Infektionsrisiko. Wovor Bayern Angst hat ist vor dem Infektionsrisiko Freiheitsrechte.   

Der oft bekrittelte föderale Flickenteppich ist übrigens grade heute verständlich - Schließlich ist heute der `Tag der Diversität`. 

Mit einer nicht zu leugnenden Anteilnahme verfolge ich die Debatte über die Wahl von Barbara Borchardt zur Richterin am Landesverfassungsgericht Mecklenburg-Vorpommern. Sie ist Mitglied in der Antikapitalistischen Linken und fordert einen "Bruch mit der kapitalistischen Eigentumsstruktur" wie es im Verfassungsschutzbericht des Bundes von 2018 heißt. Für sie kein Widerspruch, denn "eine kapitalistische Grundordnung sei nicht im Grundgesetz verankert"(zitiert in: Christian Lotter, `Als Verfassungsrichterin umstritten: Linken-Politikerin Borchardt`, Augsburger Allgemeine, 25.05.2020). Offenbar sahen dass alle Fraktionen außer der AfD genau so. Da stellt sich die Frage, wie der Verfassungsschutz dazu kommt, als Hüter der kapitalistischen Eigentumsstruktur aufzutreten. Es heißt Verfassungsschutz, nicht Kapitalismusschutz.     

In der Reportage "Der Unverantwortliche" von Elmar Theveßen (ZDF) über das Corona-Missmanagement der Trump-Administration wird erwähnt, dass die von Vorgänger Obama eingerichtete Regierungsabteilung für globale Gesundheit, ins Leben gerufen mit dem Ziel Pandemien vorzubeugen und zu bekämpfen, von Trump zusammengeschrumpft wurde zu einem Team in der Regierungsabteilung für Massenvernichtungswaffen. Trump als Leninist: Macht Eure Krankheit zur Waffe. Ein Mediziner kommentiert die Bagatellisierung von COVID-19 als harmlose Grippe: das ist als würde man sagen Hiroshima sei nicht mehr als an sehr heißer Sommertag gewesen. Trumps Ego wird mehr Menschen das Leben kosten, als der Abwurf der Atombombe Little Boy. 

Es ist einzuräumen, dass gegen das Krisenmanagement der USA das deutsche Krisenmanagement brillant ist. Kein Kompliment, lediglich eine Feststellung. 

Auf `Frontal´ ein Bericht über einen COVID-19-Patienten aus meiner Heimatstadt. Knapp dem Tod entronnen kämpft er nun mit schwerwiegenden Spätfolgen. Herzinfarkt. Gedächtnisverlust. Wortfindungsstörungen. Viel zu späte Betreuung und Diagnose von Ärzten. Eine Horror-Story ganz aus meiner Nähe. Viele COVID- `Genesene´ leiden unter Spätfolgen, von denen sie nicht wissen, ob sie chronisch und gefährlich sind. Trotz meiner geharnischten Kritik an den Grundrechtseinschränkungen hinterlassen die Einzelschicksale Wirkung. Ich hoffe die Unvernünftigen sehen diesen Beitrag, eine Hoffnung, die so bizarr ist, wie Trumps Therapievorschläge. Dennoch bezweifele ich stark, dass Verbote der entscheidende Erfolgsfaktor bei der Eindämmung der Pandemie sind. Entscheidend ist so oder so die Bereitschaft zur Selbsregulation - dauerhaft wird diese Bereitschaft durch Zwang eher unterminiert als gefördert. Anschließend ein Bericht über das Geschäft mit Tiertrophäen aus Safaris. Deutschland der drittgrößte Markt. Besonders begehrtes Gut weltweit: das Horn bon Nashörnern. Das Washingtoner Artenschutzabkommen untersagt, die Tötung von Nashörnern dadurch zu unterbinden, dass man die Tiere betäubt und einen Teil des nachwachsenden Horns absägt. Aber die Tötung der Tiere und der Vertrieb deren Hörner bleibt legal. Aus Artenschutzgründen - denn das Geld, das mit den Safaris und dem Trophäenverkauf verdient wird soll Organisationen zufließen, die sich um den Artenschutz kümmern. So eine Welt soll fähig sein, konzertiert gegen globale Bedrohungen vorzugehen? 

Einem Bericht bei "Report aus Mainz" finden staatliche Lebensmittelkontrollen derzeit so gut wie nicht statt. Die dafür zuständigen Mitarbeiter bei Gesundheitsämtern werden für die Bekämpfung von Corona eingesetzt. Die EU erlaubt es Mitarbeitern der Lebensmittelkonzerne, die Kontrollen zu übernehmen. Als Schutz vor Salmonellen soll er Gärtner fungieren, zu dem der Bock gemacht wird. An Bord von Passagierflugzeugen sollen - so die EU - die Fluggesellschaften sich darum bemühen, dass der Sicherheitsabstand der Passagiere bei nicht ausgelasteten Flugzeugen gewahrt bleiben soll. Mit anderen Worten: die Fluggesellschaffen können tun und lassen was sie wollen. Und so ist es: die Flieger sind voll, beim Check-In, beim Ein- und Aussteigen wuseln die Passagiere umeinander wie aufgeregte Fledermäuse, die Flieger sind voll besetzt. Man fragt sich angesichts dieser Umstände ernsthaft, ob die größten Gefahren einer erneuten Verbreitung von COVID-19 von individuellem Fehlverhalten ausgehen. Anschließend ein Beitrag über Verschwörungstheorien - der größte Irrtum der Verschwörungstheoretiker besteht darin, an einen verdeckten Machtmissbrauch zu glauben. Es gibt keine Verschwörung: die Missstände sind unübersehbar und werden auch nicht verschleiert. Dafür bedarf es keiner Superhirne sondern nur intensiver Lobbyarbeit, skrupelloser Geldgier und opportunistischer Politik. 

Lebt eigentlich noch jemand im Flüchtlingslager Moria?

Die Phoenix-Runde gibt darauf keine Antwort. Aber ihr Thema ist ja auch: Thueringen prescht vor - mutig oder fatal? Hier wird  von Armin Schuster, dem Innen-Experten der Unions-Bundestagsfraktion so getan, als habe Ramelow nicht einen Vorschlag für das Bundesland Thüringen unterbreitet, sondern für die Welt, mindestens für den Bund. Zudem unterstellt er, Bodo Ramelow habe das Signal gegeben ab jetzt ist high life und es kann gefeiert werden. Wenn jemand derzeit dieses Signal aussendet, dann die Fluggesellschaften und die Staaten, die um Touristen buhlen. Ein Argument gegen die Verlagerung der Verantwortung auf die einzelne Person für ihr Wohl und das ihrer Nächsten wird auch von Herrn Montgomery geteilt - ohne Schutz durch allgemein verbindliche Statuten treibt man die Risikogruppen in die Selbstisolation, denn sie ziehen sich aus dem unbeschränkten, unregulierten sozialen Leben zurück. Dem wäre zuzustimmen, wenn die verordneten Schutzmaßnahmen bisher die vulnerablen Gruppen geschützt hätten: doch zum Beispiel die Maskenpflicht im ÖPNV und in Geschäften schützt die Risikogruppen nicht. Deren Unbehagen und Risiko im ÖPNV und beim Einkauf wird bleiben solange dort nicht für den notwendigen Abstand gesorgt wird - zudem sind immer noch die Bedingungen in Alten- und Pflegeheimen ein Hohn. Es kann von einem besonderen Schutz für die Risikogruppen durch die bisherigen Maßnahmen nicht die Rede sein. 

Bei Markus Lanz ist das Thema Maske wieder präsent. Gegen Bodo Ramelows Strategie der Verlagerung von Verantwortung für den Selbstschutz auf das Individuum werden die "Superspread"-Ereignisse in der Baptistenkirche in Frankfurt-Rodelheim angeführt. Dieses Argument entkräftet sich in gewisser Weise von selbst, als sie offenbar durch die verordneten Corona-Maßnahmen nicht verhindert wurden. Zu dem Zitat eines südkoreanischen Virologen, der feststellte: "Masken tragen ist keine kulturelle Frage, sondern eine der Intelligenz." Grade wenn man davon ausgeht, dass die Bereitschaft zur Selbstregulation - und somit die Intelligenz - nicht groß genug ist, um auf Verbote zu verzichten ist es fahrlässig, davon auszugehen, dass die zum (schwachen) Schutz des Gegenübers vorgesehenen Nasen-Mund-Schutze von den Trägern sachgerecht gehandhabt werden  (...ich müsste die Maske mal wieder waschen). Nähme man es ernst mit dem Schutz der dummen Bevölkerung würde man entweder flächendeckend dafür sorgen, dass bei der Arbeit und im öffentlichen Raum der Abstand gewahrt bleiben kann, oder man müsste die Bevölkerung mit FFP2-Masken versorgen. 

Der Wirtschaftswissenschaftler Daniel Stelter polemisiert gegen Geschenke deutschen Geldes für Italien. Er verschweigt, dass mehr als die Hälfte der Mittel der von der EU zur Bekämpfung der Corona-Krise bereitgestellten Mittel nach Deutschland fließen. Die Idee europaweit alle Schulden der Länder bei der EZB abzuladen, Geld ohne Ende zu drucken und die Schulden über einen gestreckten Zeitraum von hundert Jahren zu tilgen zeigt: der Mann hat noch nie was vom Klimawandel gehört und glaubt unerschütterlich an die Stabilität von Institutionen. In hundert Jahren ist Europa eine Wüste und Brüssel wird von Erdmännchen regiert.

Genug. Jemand in der Runde redet von Aluhüten und ich verstehe Aleviten. Hinlegen.   

 

69. 25. Mai 2020

Während die "Fanatischen Vier" ( JoBoPuTru) sich besonders um die Leugnung der Corona-Gefahr `verdient´ machen, gesellt sich in Sachen Beugung von Rechtsstaatlichkeit, Benennung von Sündenböcken unter politisch missliebigen Kräften und Aufwiegeln der eigenen Anhängerschaft längst Kollege Netanjahu dazu. Die linke Presse und die Justiz hätten sich verschworen um einen starken Regierungschef der Rechten seines Amtes zu entheben, so Netanjahu - während einer Pressekonferenz anlässlich des Prozessbeginns wegen Bestechlichkeit, Betrug und Untreue. Pressefreiheit und eine unabhängige Justiz sind Grundpfeiler einer Demokratie - wer diese als Teil einer Verschwörung diffamiert, legt gezielt die Axt an diese Pfeiler und an die Demokratie. Vor dem Gericht demonstrieren Anhänger Netanjahus und feiern den `König von Israel`. Journalisten, die die Skandalnudel Netanjahu in den Fokus ihrer Recherchen und Berichterstattung erhalten Morddrohungen und werden in einem Atemzug genannt mit Al Kaida-Terroristen und dem iranischen Religionsführer Ali Chamenei. Es ist mehr als bedenklich, wie viele Gegner von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in ihr Amt gewählt werden. Wohin der Weg führen kann zeigt sich augenscheinlich am Besten in Brasilien. Anhänger Bolsonaros demonstrieren gegen die Corona-Maßnahmen und fordern einen Militärputsch, damit das korrupte Parlament und die bestechlichen Richter davongejagt werden, der Präsident endlich seine Arbeit tun kann und Regenwald und Indigene verschwinden. Den chinesischen Parteichef nehme ich in diese Reihe nicht auf: der behauptet ja nicht, in China gebe es Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit.

Entsetzen über den Vorstoß Carsten Ramelows. Das war klar und wohl auch von Ramelow selbst erwartet. Im Gegensatz zu China besteht in Deutschland Pressefreiheit, die sich auch darin äußert, vehement das Fortbestehen von Freiheitsbeschränkungen zu fordern. Ramelows Vorpreschen schaffe ´die besten Voraussetzungen für eine zweite, verheerende Welle. Immerhin dürfte sie die Ramelows dieser Republik dann aus ihren Ämtern spülen.`(Alexander Marinos, `Atemlos durch Thüringen`). Zunächst: was genau hat Carsten Ramelow gesagt und was nicht? Er hat nicht in Frage gestellt, dass es vernünftig ist, in öffentlichen Verkehrsmitteln und Supermärkten Nasen-Mundschutz zu tragen. Er hat nicht in Frage gestellt, dass Abstandhalten vernünftig ist. Er hat nicht in Frage gestellt, dass es sinnvoll ist, soziale Kontakte zu minimieren. Er will lediglich darauf setzen, dass die Bürger Thüringens die Maßnahmen zur Risikovermeidung verinnerlicht haben und eigenverantwortlich umsetzen. Abgeschafft werden sollen nicht die Maßnahmen, lediglich die Ebene der Verantwortung für ihre Umsetzung wird verlagert. Das trägt unter anderem dem Umstand Rechnung, dass zwar Verstöße gegen die Verordnungen sanktioniert werden können, eine flächendeckende Kontrolle der Einhaltung der Regeln jedoch nicht realisierbar ist und es leicht ist, sich diesen Regeln zu entziehen. Die derzeitigen lokalen Ausbrüche in Kirchen und Restaurants hätten sich mit und ohne Zwangsmaßnahmen ereignet, die Umgehung der Regeln wird mit zunehmender Dauer von Restriktionen bei einem Minimum an Kontrollierbarkeit so zur Regel, wie der Schnapsschmuggel zu Zeiten der Prohibition. Dennoch wird von den Kritikern von Carsten Ramelows Vorstoß so getan, als sei die Abschaffung der Verpflichtung zu risikovermeidendem Verhalten gleichbedeutend damit, dass auch das verantwortungsbewusste Verhalten selbst verschwindet. Die Kritik richtet sich gegen die Abschaffung von Zwang, den auch Ramelow in einem ersten Schritt für richtig hielt. Anfang März ging man von zu erwartenden 60000 Infizierten in Thüringen aus - aktuell sind es 245, weil die Thüringer die Maßnahmen angenommen haben. Angesichts dieser Entwicklung stellt sich in der Tat die Frage der Verhältnismäßigkeit der Freiheitsbeschränkungen und ob diese noch durch das Infektionsschutzgesetz abgedeckt sind (...wo ist die akute Katastrophengefahr in Thüringen?). Zudem soll es auch in Thüringen - wie in anderen Bundesländern - regionale Maßnahmen abhängig vom Infektionsgeschehen vor Ort geben. 

Ist es schon unseriös, die Abschaffung von Zwang gleichzusetzen mit der ´zwangsläufigen` Folge unverantwortlichen Handelns in der Bevölkerung, so ist es sachlich falsch, es so darzustellen, als sei die Abschaffung des gesetzlichen Zwangs schon beschlossene Sache. Ramelow wird sein Vorhaben dem Kabinett vorstellen, er ist Ministerpräsident, nicht Diktator des Landes und bedarf für die Durchführung seines Vorhabens der demokratischen Legitimation. 

Ekelig an dem Kommentar von Alexander Marinos ist seine Verächtlichmachung der Person Carsten Ramelows. Wer genau sind eigentlich die `Ramelows dieser Welt?`. Seine Familie? Sämtliche Amtsträger der Linken? Jeder, der es wagt, Kritik an der Fortsetzung von Grundrechtseinschränkungen zu äußern? Jemanden nur beim Nachnamen zu nennen ist schon entwürdigend und entwertet die Person, reduziert sie auf die Sache Ramelow.  Die Person Carsten Ramelow verschwindet im Plural als typischer Vertreter eines lebensunwürdigen Menschenschlags, dem man den Tod durch Ertrinken wünscht. Ich würde mir wünschen, dass das hohe Gut der Pressefreiheit nicht durch die Marinos dieser Welt konterkariert wird, die offenbar auch ihren Lesern einen verantwortungsbewussten Umgang mit Freiheit nicht zutrauen. Sucht man nach fehlendem Verantwortungsbewusstsein, dann empfiehlt sich ein Blick auf Hotspots: die befinden sich im Bereich organisierter Geselligkeit, Arbeit und Frömmigkeit. Es lohnt sich auch, den Prozess gegen Volkswagen zu vervolken.  

Nicht, dass ich die Illusion hege, Menschenmassen seien vernunftbegabt, aber sie sind in der Lage zu einer Verinnerlichung von zweckdienlichen Verhaltensmustern, die des Zwangs nicht mehr bedarf. Nicht nur, aber auch wegen dieses gesellschaftlichen Pragmatismus wird Demokratie `riskiert` und Freiheit erlaubt. Kolumnisten wie Herr Marino sehen das Zutrauen in die Eigenverantwortlichkeit der Menschen als gefährlich und fahrlässig an - und vertrauen gleichzeitig darauf, dass die Menschen auf die aus Marinos Sicht unvermeidliche Katastrophe in Folge der Aufhebung von Freiheitsbeschränkung ´vernünftig` in seinem Sinne reagieren. Durch Abwahl der Personen, die ihnen verantwortungsvolles Handeln in Freiheit zutrauten. Und ja...Freiheit und deren Missbrauch liegen so eng beieinander, wie die temporäre Beschränkung von Grundrechten und deren dauerhafte Gültigkeit. Man kann sich bis auf weiteres darauf verlassen, dass auch bei Aufhebung des Zwangs der panoptische Turm in unserer Psyche seine Wirkung entfaltet: "Auch wenn die Maßnahmen gelockert werden, so ist doch die innere Öffnung nach Wochen des persönlichen lockdowns nicht allzu einfach." schrieb Tamina Grasme heute in der WAZ. Selbst wenn der Zwang weg ist, das Korsett bleibt und es drückt: "Wer will schon mit Maske einkaufen gehen, ins Restaurant oder in die Kneipe oder auf die Straße? Sprache, Mimik und Freundlichkeit sind damit begraben." (Leserbrief von Peter Knappmann). Das würde auf unabsehbare Zeit auch ohne Zwang so sein. Die Angst wird ebenso bleiben, wie der Leichtsinn.    

Bei der Bundespressekonferenz zu "sozial-ökologischen Impulsen für die Konjunktur" ist es diesmal an Svenja Schulze auf Herrn Jungs Fragen nicht zu antworten, was ihr deutlich charmanter und konzilianter gelingt, als Stephan Seibert. Wie man es schaffen wolle, an Wachstumszielen festzuhalten und den CO2-Ausstoß pro Kopf um knapp 90% zu senken, wie es das Bundesumweltamt für erforderlich hält, bleibt schleierhaft, was für sich spricht und Herrn Jungs kritische Frage im Mundumdrehen fraglos in eine Kritik verwandelt. 

Das Naturgesetz der Bundespressekonferenzen ist so felsenfest bestätigt wie die Vorhersagen der Relativitätstheorie und der Quantenmechanik: Auf Fragen, die unter den Nägeln brennen werden zuverlässig keine Antworten gegeben. Beispielhaft: warum das Problem Werkverträge nur in der fleischverarbeitenden Industrie angegangen wird. Die Antwort hat mit der gestellten Frage nichts zu tun. 

13:40: schon ist es so weit. Ein paar harsche Kritiken von Jens Spahn, Robert Habeck, aus dem Kanzleramt etc. schon rudert Carsten Ramelow zurück. Das war wohl nur ein Testballon. Der Trend geht jedoch in die andere Richtung: Verstetigung von Verboten, die das persönliche Verhalten im sozialen Raum regulieren, Lockerungen für die Wirtschaft, die nichts mit der Wiedererlangung persönlicher Freiheit zu schaffen haben, denn sämtliche Reglementierungen des individuellen und sozialen Verhaltens bleiben in Kraft. Kanzleramtssprecher Braun lässt durchblicken, dass Kontaktsperren und Hyänemassnahmen bis zum 05. Juli verlängert werden sollen. Habeck bringt es fertig, in einem Atemzug insbesondere die junge Generation für ihr verantwortungsvolles und solidarisches Verhalten lobend hervorzuheben um noch im selben Satz (...nach der eher groben positiven Diskriminierung der Friday-for-future-Generation, die er als repräsentativ für die charakterliche Disposition sämtlicher Jugendlicher erachtet, was sich durch einige Besuche in öffentlichen Parks bei Picknickwetter als Wunschdenken entlarvt) die Notwendigkeit des Beibehaltens von Verboten zu betonen und Ramelows Vorhaben als `fatales Signal´ zu schelten. Unisono - ob aus München oder aus dem Saarland - wird kritisiert, Ramelow wolle die Regeln aufheben. Der feine Unterschied zwischen Regeln und Verboten wird ignoriert.

Ich gebe zu, dass mein reflexhaftes Schielen nach Schweden auch meiner persönlichen Sehnsucht nach einer Gesellschaft entspricht, in der eine gewählte Regierung sich in Demut für das in sie gesetzte Vertrauen bedankt, indem die Regierung ihren Bürgern (und Unternehmen) vertraut. Wie ist die aktuelle Situation? Andre Anwar berichtet bei Redaktionsnetzwerk Deutschland ("Schweden und der Sonderweg: Das freieste Land Europas", RND.de, 25.05.2020) über den Stand der Dinge in Schweden. Zusammengefasst: dank umfassendem Homeoffice sind die öffentlichen Verkehrsmittel so leer, dass jeder Fahrgast eine Vierersitzgruppe für sich allein hat. Anders als in Deutschland gelingt es, die öffentliche Infrastruktur so zu gestalten, dass Abstandsregeln eingehalten werden können. Hier sind Institutionen und Betriebe nicht in der Verantwortung dies zu gewährleisten, statt dessen sollen sich Passagiere und Käufer bei `nicht zu vermeidender Unterschreitung des Mindestabstands` unzureichend schützen, und dies verpflichtend. Unternehmen gelingt es, das Arbeitsumfeld so zu gestalten, dass Abstandhalten gewährleistet ist. Die WHO lobt den Schwedischen Weg ausdrücklich: "Wenn wir eine normalisierte Lage erreichen wollen, zurück zu einer Gesellschaft, die wir nicht verschließen müssen, glaube ich, das Schweeden ein Zukunftsmodell repräsentiert." - so WHO-Notfalldirektor Michael Ryan. Der Rückhalt der Bevölkerung für die Politik der Regierung ist in Schweden ebenso groß, wie die Bereitschaft zur Selbstregulation. Der Chef der Gesundheitsbehörde Johan Carlson verteidigt die Schwedischen Maßnahmen, die sich weitgehend nur im fehlenden Zwangscharakter von denjenigen in anderen Ländern unterscheiden: "Wenn die Leute sagen, wir in Schweden machen ein Experiment mit unserem Sonderweg würde ich antworten, dass es ein äußerst kniffliges Experiment ist, die gesamte Bevölkerung eines Landes vier- bis fünf Monate einzusperren." Bleibt die Kritik an der hohen Sterberate in Schweden, die allerdings derjenigen in Ländern mit hartem lockdown gleicht und vor allem auf die Zustände in Alten- und Pflegeeinrichtungen zurückzuführen sind - diese wiederum stehen nicht im Zusammenhang mit höheren Freiheitsgraden, sondern sind wie in anderen Ländern auch Folge von Privatisierungen und Kürzungen. Das ist kein schwedisches, sondern ein europaweites Problem wie Ryan feststellt: "Unsere Alten sterben in ganz Europa."

Wo würde ich mich sicherer fühlen? In einem Land, in dem ich der Eigenverantwortung und der Selbstregulierung meiner Mitmenschen vertrauen kann? Oder in einem Land, in dem gesetzlich bestimmte Verhaltensregeln ein Mangel an Vertrauen ausdrücken, das zunehmend - nach Nachlassen der Schockstarre - Reaktanz, Wut und Fehlverhalten provoziert, das mich gefährdet? 

Deutschland kommt gut durch die Krise - als ließe sich das schon beurteilen, wenn wir erst am Anfang der Pandemie stehen. "Dieser Lobgesang auf die Corona-Maßnahmen ist unerträglich", wie sich der bereits zitierte Peter Knappmann beklagt, womit er nicht die Maßnahmen, sondern den Ruch des Eigenlobs moniert. In der Tat - gern wird bei Kritik darauf verwiesen, dass man `bewundernd nach Deutschland sieht und sich fragt, wie das machen.` Wir sollen uns glücklich schätzen. Ist es schon so weit, dass man sich Skepsis verkneifen soll, weil es anderswo schrecklicher ist als hier? Mit dieser Argumentation kann sich auch die Kommunistische Partei Chinas dafür loben, dass es dort viel freier und ungezwungener zugeht als in Nordkorea.

Na, dann soll ich doch nach Schweden gehen wenn es mir hier nicht passt? NeeNee...Hier gibt es einfach mehr zu mäkeln.

"Unsere Alten sterben in Europa." Es fällt auf, dass die derzeitigen Zustände in Alten- und Pflegeheimen nicht mehr thematisiert werden. Unter den wachsenden Schichten nun wichtigerer Themen - Lockerungen, Urlaub, Lufthansa-Rettung - ist das Thema Schutz der vulnerablen Gruppen stillschweigend begraben worden. Man könnte sagen, die SeniorInnen und Senioren werden totgeschwiegen. Insgesamt vermisst man Statistiken und Zahlen, die die Gesamtzahl aktuell Infizierter und Verstorbener herunter brechen auf Branchen und Einrichtungen. Es wäre aufschlussreich und würde für Transparenz sorgen würde man fortlaufend darüber informiert, in welchen beruflichen und institutionellen Einrichtungen Risiko und Mortalität besonders hoch sind. Dass dies nicht geschieht macht stutzig.

Markus Söder urteilt sinngemäß: Erlaubnis führt zu Verstoß, Freiheit zu deren Missbrauch. Was für ein Demokratieverständnis. Bodo Ramelow hingegen führt Argumente an, denen sogar Virologen zustimmen: regionale Betrachtung und Eingreifen der Gesundheitsämter je nach Situation und Region. Zudem trifft es zu, dass nicht Lockerungen, sondern Einschränkungen fortlaufend begründet werden müssen.

Dann das: 9 Milliarden-Hilfe für die Lufthansa - weitgehend bedingungslos, ohne ökologische Auflagen und vor allem gegen eine Beteiligung ohne Sperrminorität. Kein Wort zu dem Status der Angestellten, keine Jobgarantie - nichts. Das ist beinahe so irrsinnig wie die auf einem Video aufgezeichneten Gespräche Bolsonaros mit seinen Ministern. Jeder solle sich bewaffnen, das Parlament gehört abgeschafft, von seinen Widersachern lasse er sich nicht ficken - und der Umweltminister empfiehlt rigorose Vorgehen gegen missliebige Gegner von Abholzung und Aufhebung der Maßnahmen zum Infektionsschutz, solange die gesamte Aufmerksamkeit auf Corona liegt. Unglaublich, aber wahr.  

Bei `Hart aber fair´ geht es um das Thema: Kinder und Eltern zuletzt? Zuletzt geht es in der Talk-Runde um Lösungen für die lausige Situation, in die der lockdown von Kitas und Schulen Eltern und Kinder bringt. Stattdessen geht es um die vorgebliche Faulheit von Lehren und Beamten, was dazu führt, dass die Vertreter von Lehrerverbände und Familienministerinnen das Loblied auf das Engagement von Lehrern, Beamten und Ministerien singen. Um die Situation von Eltern und Kinder geht es nur am Rande. Zeitverschwendung für alle Beteiligten bis hin zu mir. 

Rückzug in das Schwarze Loch des Schlafs. Hinter geschlossenen Lidern das Bild von Zebras, die sich in einem Wassertropfen an einem Grashalm spiegeln, Winzlinge in einem Miniaturzoo aus Plastik, den Loriot Evelyn Hamann verscherbeln will, inklusive explodierender Atomkraftwerke und umkippender Kühe auf Weiden aus Kunstrasen. Nachbilder einer Tierdokumentation im Niemandsland zwischen Tagesschau und Tagesthemen, Blicke in ein verkehrt herum gehaltenes Fernglas, das die Welt entfernt, statt sie einem näher zu bringen, meine Umsetzung des Abstandsgebotes. Beinahe wäre ich zur Singularität geworden, aber Wut beschleunigt meinen Puls. Sie richtet sich gegen Robert Habeck und seine brüske Kritik an Carsten Ramelow. Überstürzt sei sein Vorstoß, weil ja nicht einmal die Auswirkungen der letzten Lockerungen evaluiert wurden. Sollten nicht erst einmal die Auswirkungen der Einschränkungen von Grundrechten evaluiert werden? Unsicher darüber, was genau mich so wütend machte schlafe ich ein - aber nicht bevor ich die Miniserie `Kontrollverlust`mit Eric Cantona in der Hauptrolle gebührend angepriesen habe. Sie erklärt vieles und mehr wird nicht verra...zzzzzz...i

 

68. 24. Mai 2020

"Wer könnte leben ohne den Trost der Bäume?" (Günter Eich)

Einer hat ein Einsehen: Bodo Ramelow hebt in Tübingen die Maskenpflicht auf. Überhaupt will er in Zukunft auf Empfehlungen, statt Verordnungen setzen. Es hagelt Kritik: wo kommen wir denn hin, wenn "das Motto lautet: von Ver-, zu Geboten, von staatlichem Zwang hin zu selbstverantwortlichem Maßhalten"? Nachher gewöhnen sich die Menschen noch daran selbst über ihr Schicksal zu entscheiden. Tübingen ist von Bochum gar nicht so weit weg... dort wird es Wälder geben, in denen keine achtlos weggeworfenen OP-Masken die unberührte Natur verderben.

Ein Werbespot von freenet.tv: "Wenn wir auf Abstand gehen müssen und zu Hause bleiben sollen, worauf freuen wir uns dann? Na klar. Aufs Fernsehen." Wo uns das Bundesgesundheitsministerium aufklärt: `Wir halten zusammen` und uns darüber belehrt, wie man das macht. Zum Beispiel, indem man sich beim Joggen lächelnd weiträumig umläuft, was angesichts der B1-Rushhour-Verhältnisse auf Fuß- und Wanderwegen entsprechend der Realitätsferne von Bürokraten völlig unmöglich ist. Ärgerlich bis zynisch wird der Spot, als er den Schutz älterer Menschen als Ausdruck von Zusammenhalt in den Vordergrund stellt. Dieser Schutz findet nicht statt, zumindest nicht so, dass er sich als Motiv eines schwarz-rot-goldenen Werbeclips eignet.

Am Verhalten von Einheimischen in ländlichen Gebieten, denen Jedermannsrecht und Toleranz suspekt bis spinnefeind sind, kann man erkennen: die sind nicht einfach rassistisch, sie sind fremdenfeindlich. Ihre Xenophobie macht keineswegs vor Landsleuten Halt, sie hassen alle Menschen, die ihre ländliche Privatheit stören. Besucher sind unerwünscht. Städter sind Ungeziefer, das Pestilenz, Seuchen und Geschlechtskrankheiten verbreitet noch bevor sie überhaupt da sind. Der Lärm und der Gestank, den sie erzeugen hört und riecht man schon, bevor bevor sie entstehen: die Drohung ist schlimmer als die Ausführung. Autofahrer, die uns auf schmalen Landstraßen und Forstwegen entgegenkommen oder überholen passieren grußlos mit angeekelter Leichenbittermiene. Unsere angeleinten Hunde sind eine Zumutung für die frei laufenden Hunde der Anwohner. Hinter jeder Hecke auf Salatblätter gesetzte Schäferhunde namens "Blondie". Mähroboter im Dauerbetrieb stutzen Rasen und Igel zurecht, hinterlassen kopflose Gartenzwerge. 

Was eigentlich ist am Wald so tröstlich? Angeblich wohnen dem Duft des Waldbodens Stoffe inne, die so glücklich machen wie der Verzehr von Schokolade. Die Chemie mag stimmen, erklärt indes die versöhnliche Wirkung nicht hinlänglich. Mich beruhigen Wälder aus dem selben Grund wie das Meer: man schließt Frieden mit der eigenen Vergänglichkeit. Zu Erde werden, sich im Ozean auflösen...Humus und Quell des Lebens. Der eigene Tod als Lebensfunke. Trotzdem halte ich es mit Woody Allen: Ich habe keine Angst vorm Tod. Ich möchte nur nicht dabei sein wenn es passiert.

An einigen Zweigen hängen Corona-Masken. Das verwandelt den Trost der Bäume in Beklemmung. 

Eine Pause unter Geschichtenerzählern, die Märchen auf Erfassungsbögen kritzeln: Aufenthalt von...bis? Von Vorgestern bis gestern...Am Nebentisch Geständnisse einer Maske: `Ich sollte so langsam mal meinen Mundschutz waschen.` Hört man derzeit in jedem Biergarten. 

China kann das auch: Ein Think Tank in Kanada, das `Zentrum für Globalisierungsforschung` aus Kanada spekuliert: "Es könnte die US-Armee sein, die bei den Military World Games die Epidemie nach Wuhan gebracht haben." Der Sprecher des chinesischen Außenministers Zhao Lijan empfiehlt die Artikel des "Global Research" seinen Landsleuten zur Lektüre. Das von Michel Chossudosky gegründete Zentrum behauptet auch, das O9/11 vom CIA geplant worden sei und das an der Masern-Impfung mehr Menschen sterben als an Masern. Das erinnert stark an die `Operation Infektion` des KGB, der verbreitete, AIDS sei als Biowaffe in einem US-Labor entwickelt worden. Die USA planen, Atomtests wieder aufzunehmen. 

Anne Will Gebärdensprache. Die Teilnehmer der Talkrunde halten sich jedoch mit extensiver Körpersprache zurück. Es geht vordergründig um die Billionen, die Deutschland locker macht, im Kern jedoch darum, in welcher Form Europa ein Gegengewicht zu den USA, China und Russland werden kann. Subtil wäre, wenn die europäischen Staaten sich der Schweiz anschließen und sich fortan zu politischer Neutralität verpflichten. Das ganze Geschrei um Milliarden, Billionen ist gewollt hysterisch: das Geld ist nicht verloren, es landet im Wirtschaftskreislauf. Das wird schon jemandem nutzen, ob es die sind, die es nötig haben daran zweifelt bestimmt nicht nur der Bund der Steuerzahler. 

Hotspot Kirche. 107 Infizierte unter den Besucher eines Gottesdienstes in Frankfurt-Rödelheim-Hartreim. Sollte Gott gegen Massenveranstaltungen sein? Immerhin reagierten die Muslime und sagten ein geplantes Fastengebet in einem Stadion (!!) ab. Komplett durchgeknallt, dass so etwas erlaubt wurde und Kontakte von mehr als vier Personen aus insgesamt zwei Haushalten im öffentlichen Raum untersagt bleiben. 

Bubi Scholz moniert, man solle nicht jede vierzeilige Meldung, die sich auf ihn und seine Pläne beruft für bare Münze nehmen. Der Conspiracy-Hunter in mir (t)wittert - der Mann will das Bargeld abschaffen.  

Auf welchem Ozean ist wohl Greta Thunberg unterwegs?

Die gute Meldung zum Schluss: Quarantäneschwänzer Heiko Herrlich gewinnt mit seinem FC Augsburg 3 zu Null bei Schalke 04. Hautcreme auf seiner Seele. 

Ich werde gefragt ob ein Furz Corona verbreiten kann? Wenn es ein feuchter Furz ist bestimmt...es wird offensichtlich Zeit, dass ich für heute die Finger von der Tastatur lasse. Bis morgen. 

   

67. 23. Mai 2020

Thomas Mader gebührt der Verdienst, sich in der WAZ von heute etwas differenzierter mit Positionen der Demonstranten gegen die Eindämmungsmaßnahmen der deutschen Regierung auseinander zu setzen ("Normalität bei Impfung, nee danke"). Sein beispielhaftes Porträt der Positionen, Argumente und Thesen Christian W.s grenzt sich ab von den Bildern krakeelender Rechtsextremer und profilneurotischer Egomanen, die als Metonymie für die Gesamtheit der Bedenkenträger in Szene gesetzt werden. Die Position Christian W.s charakterisiert der Satz: "Ich bin kein Corona-Leugner. Ich finde nur, dass dieses Virus es nicht rechtfertigt, Millionen Menschen einen solchen wirtschaftlichen und sozialen Schaden zuzufügen." Von Millionen Menschen zu reden ist noch untertrieben - legt man die nationalstaatliche Brille ab müsste man von Milliarden Menschen reden denkt man allein an Indien. Angesichts der Zweifel, die gelegentlich auch von Entscheidern und Gerichten an der Angemessenheit, Verhältnismäßigkeit und Wirksamkeit der Maßnahmen geäußert werden und sich in Deutschland zum Beispiel in unterschiedlichen Vorgehensweisen in den Ländern niederschlagen, ist er mit seiner Auffassung gar nicht so weit von den Politikern entfernt, die in Situationen mit dürftiger Datenlage, ständig sich änderndem und revidierendem wissenschaftlichen Erkenntnisstand und angesichts ständig neuer ökonomischer und sozialer Katastrophenszenarien "auf Sicht" navigieren müssen - ohne exakt wissen zu können was genau ihr Handeln bewirkt und ob es nicht eher schadet als nutzt. Der Unterschied zwischen seiner Position und dem politischen Handeln der Regierung liegt nicht in einer anderen politischen Orientierung, einem anderen Weltbild, einer Ablehnung des Staates und/oder der Demokratie, sondern in einer anderen Einschätzung der Verhältnismäßigkeit von Nutzen und Schaden der Maßnahmen. Damit bezieht er Abstand zu denjenigen, die die Krise lediglich als Hebel nutzen, um ihre schon zuvor bestehenden politischen Interessen wirkungsvoll zu verfolgen. Es ist ein Unterschied, ob man die Regierung, den Staat, die Demokratie ablehnt oder politische Entscheidungen für verfehlt oder gar verhängnisvoll erachtet. Einen Schritt weiter geht W., wenn er Misstrauen an der Integrität der Regierung äußert: "Die Regierung nutzt die Situation aus, um systematisch Panik zu machen, um die Leute auf Kurs zu halten. Die nehmen uns das, was wir sowieso besitzen, unsere Grundrechte. Dann gestehen sie uns diese wieder gnädig zu. Verbunden mit einer Drohung. Wo sind wir dann in einigen Monaten?" Abgesehen davon, dass Menschen (und man darf Regierende als solche betrachten) nicht durchgehend altruistisch sind und durchaus Nutzen aus Entwicklungen ziehen, die sie nicht verschwörerisch verursachten, ist der Schritt von der Kritik an einer verfehlten Politik hin zur Behauptung, die beklagten Fehlentwicklungen seien so beabsichtigt gewesen, sehr groß. Erst Dilettantismus zu diagnostizieren und dann den Dilettanten systematisches Handeln zu unterstellen ist widersprüchlich. Dennoch ist die Furcht davor, dass Einschränkungen der Grundrechte nicht wieder rückgängig gemacht werden nicht so ohne weiteres von der Hand zu weisen wie folgende Äußerung von Stefan Schulte, Präsident des Flughafenverbandes, in der selben Ausgabe der WAZ belegt: "Nach Krisen sind Vorsichtsmaßnahmen oft nicht wieder zurückgenommen worden." Auch die Kritik an einer Politik, die mit dem Schüren von Angst einschneidende Maßnahmen durchsetzt, wird längst nicht nur von Demonstranten geäußert. Bis zu diesem Punkt wird man den Eindruck nicht los, dass der Verfasser des Artikels gewisse Sympathien für die Standpunkte Christian W.s hegt, die er hinter Konjunktiven verbirgt, durch die Ausführlichkeit der Schilderung von W.s Gedanken jedoch betont - dann jedoch geht es um das Thema Bill Gates. Da gelangt Christian W. zu folgendem Schluss: "Den Zwangsimpfungen für sieben Milliarden Menschen sollen auf Betreiben Bill Gates Verhütungsmittel beigemischt werden, um so das Bevölkerungswachstum einzudämmen. Ich kenne nun die Intention von Bill Gates. Er hat einen Gottkomplex." Nun denn...einen Gottkomplex hat man dann, wenn man meint die Intentionen eines Menschen zu kennen, dem man nie begegnet ist. Gleichwohl ist es - grade weil Bill Gates eben nicht Gott ist - noch keine Ketzerei, wenn man die rein altruistische Motivation von Bill Gates und seiner Stiftung in Frage stellt. Dass Pharmaindustrie und IT erwartungsgemäß von den Billiarden profitieren werden, die als Geldmenge freigesetzt werden ist nahelegend und lässt sich an der Entwicklung der Börsenkurse ablehnen. Social Distancing und IT passt ebenso gut zusammen, wie Pharmazie und Pandemie  - auch von daher ist es keineswegs gesichert, dass ein Rollback hin zu den traditionellen Geselligkeiten mit Ringelpietz und Anfassen erfolgt. Anzunehmen, dass die Stiftung der Eheleute Gates keinerlei Einfluss auf Politik und Handeln der WHO nimmt, erscheint auch übertrieben idealistisch. Nicht umsonst wird auch von Regierungen gefordert, die Macht von Privatleuten und Unternehmen über die Geschicke der WHO durch vermehrten Geldzufluss durch Staaten zu reduzieren. Naiv wäre es anzunehmen, dass es jemandem vom Kaliber Bill Gates um persönliche Bereicherung geht: Profit bedeutet vor allem die Möglichkeit zu gestalten. Für jemanden, der seinen Wohlstand nicht mehr steigern kann bedeutet Profitsteigerung Erweiterung von Einfluss - ohne Bill Gates einen Gottkomplex zu unterstellen kann man den Microsoft-Imperator durchaus als einen Social Engineer sehen, der die menschliche Gesellschaft als eine Art störungsanfälliges, von Viren bedrohtes Betriebssystem ansieht - damit kennt er sich ja aus. Überlegungen dazu anzustellen, wie Störungsanfälligkeiten und Malware beseitigt werden können mag durchaus in der Natur eines Systemadministrators liegen, der keinen Unterschied zwischen Weltverbesserung und Updates sieht. Alles in allem hinterlässt der Artikel über Christian den Eindruck, die Furcht vor weltweit verhängnisvollen politischen Weichenstellungen sei nicht das Privileg von Libertären, von Aktionsbündnissen, die einen Krieg der Superreichen gegen 99% der Bevölkerung in vollem Gange sehen oder von Verschwörungstheoretikern, die den Deep State am Drücker der Impfkanüle sehen. Die Warnung vor der Unterwanderung staatlicher Strategien durch oppositionelle Kräfte ist nicht selten ein Indiz dafür, dass die Furcht vor der Verstetigung eines Ausnahmezustandes zur `Neuen Normalität`nicht komplett abwegig ist. Im Übrigen: nur weil Verschwörungstheorien um Bill Gates Unfug sind ist Gates nicht gleich ein heiliger Samariter, der den Friedensnobelpreis verdient.      

 

66. 22. Mai 2020

Elisabeth Krafft stellt in der WAZ von heute die Frage: "Führen Frauen besser durch die Krise?" und beantwortet sie erwartungsgemäß so wie die Suggestivfrage es nahe legt. Ob es als Beleg für das gelungenere Krisenmanagement von Frauen hinreichend ist, die Zahl der Todesfälle in Taiwan (7), Island (10), Norwegen (233), Finnland (301) und Dänemark (561) aufzulisten? Geographische, demographische und kulturelle Faktoren dürften grade in den genannten Ländern (+Neuseeland) Ursachen für den gemäßigten Verlauf der Pandemie sein - Inselcharakter (Neuseeland), geringe Bevölkerungsdichte, aber auch bereits vorhandene Erfahrungswerte aus vorangegangenen Epidemien (Taiwan) spielen eine Rolle. Ob Männer unter diesen Bedingungen weniger erfolgreich gewesen wären ist nicht sicher. Plausibel liest sich, dass ein kooperativer, risikovermeidender und uneiteler Führungsstil für bessere Akzeptanz des politischen Vorgehens sorgt, dies dürften schon im Vorfeld der Corona-Krise die Wähler und Delegierten so gesehen haben, die den Premierministerinnen ins Amt verhalfen. Es kann einem umgekehrt nicht entgehen, dass es sich bei den Corona-Ignoranten durchweg um Männer handelt. Ein Quartett der fahrlässigen Töter präsentieren Klaus Ehringfeld, Dirk Hautkapp, Stefan Scholl und Peter Stäuber (Quartett vs. Quartett) in ihrem Artikel "Die tödliche Bilanz der Ignoranten", in der WAZ von heute, direkt über dem Artikel von Elisabeth Krafft präsentiert: Bolsonaro ersetzt grade nach und nach seine politischen Führungskräfte durch Militärs, Trump forciert die radikale Öffnung der Wirtschaft, Johnson hätte wohl noch katastrophaler reagiert, hätte er sich nicht selbst angesteckt und Putin ließ noch im März seinen Gesundheitsminister verkünden, die Ansteckungsgefahr liege bei null Komma null null Prozent - ob es angemessen ist, in diesen Artikel ein Fenster zum `Body Count` in Schweden einzubauen? Die Todesrate ist in der Tat bedenklich hoch, vor allen Dingen wenn man sie mit denjenigen in anderen nordischen Ländern vergleicht. Die Tabelle lügt nicht, wird gerne kolportiert - ich hoffe zwar, der schwedische Weg erweist sich letztlich als erfolgreich, aber die Wahrheit ist aufm Friedhof. Eine Augenbraue hob ich gleichwohl. Tegnell in die Nähe zu Bolsonaro zu rücken halte ich für verfehlt, denn Ignoranz und Leugnung kann man der schwedischen Regierung wohl kaum unterstellen. Richtig gestutzt habe ich in dem Artikel zu den Vorzügen weiblicher Führung - die Reihung der erfolgreichen Staatschefinnen mit den niedrigen Opferzahlen wird ergänzt durch Angela Merkel  (8193 Tote). Sicher, Deutschland ist ein bevölkerungsreiches Land, dennoch sprengt die absolute Zahl die Suggestivkraft der Reihung. Angela Merkels Führungsstil im Kabinett mag kooperativ sein, die Todeszahl jedoch hätte deutlich niedriger sein können, wenn die Regierung so wie zum Beispiel in Griechenland, Neuseeland und Taiwan frühzeitiger der drohenden Gefahr Riegel vorgeschoben hätte.

Ein weiteres vom Machismo geprägtes Land ist China. Die Zeichen mehren sich, dass China an der Schwelle zu einer zweiten Infektionswelle steht. Ob es der Partei gelingt einen zweiten Shutdown zu vermeiden, vielleicht noch mehr, was in China geschieht, wenn dies nicht gelingt, das wird im Rest der Welt aufmerksam beobachtet. Ebenso die wachsenden Spannungen zwischen den USA und China. Die Gefahr einer militärischen Eskalation scheint zwar noch niedrig, aber man kann ja nicht wissen - vor wenigen Wochen wäre ein chinesischer Parteitag ohne Verkündung neuer Wachstumsziele noch völlig undenkbar gewesen.   

Die Landesregierung in NRW will durch Sicherung von Arbeitsplätzen die Kauflust wieder anregen, wie Wirtschaftsminister Andreas Pinkwarth bei der heutigen Pressekonferenz sagte. Zuvor sprachen er und Armin Laschet über die Notwendigkeit, die Entwicklung in NRW und in Deutschland nicht von der globalen Situation losgelöst zu betrachten. Dafür ist der Gedanke, ein Jobversprechen genüge, um die Kauflust wieder anzuregen, geradezu niederschmetternd provinziell. Angesichts des globalen Ausmasses der Katastrophe und der kaum zu kalkulierenden, in jedem Fall aber immensen sozialen, politischen und ökonomischen Wechselwirkungen der Entwicklungen zwischen den Volkswirtschaften wirkt jedes Versprechen eines lokalen Wirtschaftsministers wie der Flügelschlag eines Schmetterlings, der einen Großbrand löschen soll. Die Angst sitzt tiefer, die Lähmung und Apathie geben der Furcht vor unvermeidlichen Verschlimmerungen der weltweiten Lage Ausdruck, gegen deren Wucht man ohnmächtig ist. Andere halten sich zurück, weil sie feststellen, dass sie von allem mehr als genug haben. Überwinden wir die Krise oder überwindet die Krise uns?

Die Weisheit der Großen Masse scheint Wissen über Entropie und Chaos verinnerlicht zu haben. Zwar kann der Flügelschlag eines Schmetterlings einen Orkan auslösen, so wie ein einzelner Infizierter eine Pandemie auslösen kann. Das Prinzip des sensiblen Chaos - kleine Ursachen erzeugen große Wirkungen - wirkt jedoch nur in Richtung höherer Entropie. Die Umkehr funktioniert nicht. Der Flügelschlag eines Schmetterlings verwandelt weder Chaos wieder ein Ordnung, noch einen Scherbenhaufen wieder in eine Glasmenagerie. Asche wird nicht wieder lebendig, Armin Laschet ist kein Schmetterling und ob er ein Dauerbrenner ist muss sich noch zeigen.    

Phoenix plan b: Eine Sendung über Einsamkeit und deren Überwindung. Speed Dating-Treffen für SeniorInnen - Höher, weiter, älter. So kann man der Zielgruppe einer Dating-Plattform, die vom Geschäft mit der Niedergeschlagenheit profitiert, auch signalisieren: ihr habt keine Zeit mehr zu verlieren.  

Eine Studie ergab, dass Menschen, die mehr als 2 Stunden täglich in den sozialen Medien unterwegs sind, sich deutlich einsamer fühlen, als Menschen, die sich weniger als 30 Minuten täglich mit sozialen Medien befassen. Das war vor Corona und der Umpolung der Gesellschaft auf Abstoßung. Man kann sagen: das größere Unglück ist bereits mit Hilfe von Algorithmen vorprogrammiert. Bestimmt war auch das von Bill Gates so gewollt.

In seinem Essay "Die wahren Gräben gegen durch die Mitte der Gesellschaft" (SPON, 22.05.2020) vermutet Jan Kalbitzer, die gemeinsame Verurteilung der Verschwörungstheoretiker und Extremisten sei der einzige noch verbleibende gemeinsame Nenner in der bürgerlichen Mitte. Die Exklamationen von Extremisten "sind ein kleines Problem - verglichen mit den Gräben, die die Maßnahmen zum Infektionsschutz in der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft gerissen haben und noch weiter reißen werden.(...)Denn die Unterschiede, die grade zwischen Familienmitgliedern, Freunden und in der Nachbarschaft zu beobachten sind, sind echt." Da dürfte etwas daran sein - denn im Für und Wider des Corona-Diskurses erweist sich je nach eigener Bedingtheit die Position des Freundes oder Partners als bedrohlich und egoistisch. Vorher unmerkliche Trennlinien verschärfen und vertiefen sich zu Gräben, schlimmstenfalls zu Schützengräben und Stacheldraht. Menschen die sich mögen beginnen sich zu meiden, weil der Andere Auffassungen vertritt. die man verhängnisvoll findet. Dabei ergänzen sich Ausweichmanöver aufgrund der suspekten Ansichten von Freunden und die Wortkargheit derer, die sich aus Scham über ihr im Vergleich zu den Nöten Anderer als kleinlich empfundenes Leiden an der Situation den Mund verbieten, um nicht als egoistisch da zu stehen.    

"Die Mutter aller Krankheiten ist die Armut." (Bertrand Russel). Dagegen gibt es zwei Strategien - man beseitigt die Ursachen für Armut, oder die Armen. Die WHO rechnet allein in Westafrika aufgrund von lockdowns und dem Kollaps von Lieferketten mit 22 Millionen zusätzlichen Hungernden. Die Mehrheit der Toten weltweit wird nicht zu Lasten des Virus gehen. 

Der virtuelle Parteitag der CSU wird eingeleitet durch einen Einspieler, dessen Lobhudelei für Markus Söder so hart am Rande des Führerkultes ist, dass es selbst Markus Söder sichtlich peinlich ist. Der Einspieler entspricht auch nicht seinem Ego: wenn einer weiß, wie man ihn loben soll dann nur er selbst.

Der lokalpatriotische Einspieler erinnert mich daran, dass das erfolgreichste Unternehmen in staatlichem Besitz das Hofbräuhaus in München ist. 

Interessant ist die Kameraperspektive auf seine Rede: sie ist so gestaltet, dass Söder schräg rechts am Fernsehpublikum vorbeischaut, da, wo er geographisch und politisch seine Parteimitglieder verortet. 

Ein Themenschwerpunkt seine Rede ist der weitere Ausbau von Krankenhauskapazitäten inklusive Intensivbetten und Schutzausrüstungen. Dass er von einer zweiten Infektionswelle ausgeht, sagt er direkt. Hellhörig macht die Betonung auf die Erforderlichkeit eines weiteren `Hochfahrens`des Gesundheitssystems angesichts der beherrschbaren Auslastung in der ersten Welle gleichwohl: da spricht einer, der weiß, dass auf eine zweite Welle kein zweiter lockdown folgen wird.

Kurz war kurz angebunden. Als virtueller Gast des virtuellen Parteitags wird ihm der europapolitische Teil der Rede von "...und...und..." Markus Söder nicht behagt haben. Ohne ein Fan von Markus Söder zu werden: seine Rede hatte Esprit und war gehaltvoll: insbesondere die Begründung seiner Befürwortung des Merkel/Macron-Initiative hatte es in sich, denn sie bedeutet eine Abkehr von der bisherigen Doktrin der CSU und von der Position des österreichischen Bundeskanzlers. Gelingt es nicht, so der blau-weiße Eurofighter, den europäischen Binnenmarkt zu stärken und das Auseinanderfallen der EU zu verhindern, wird auch Deutschland zu einem Spielball der machtpolitischen und ökonomischen Interessen der Supermächte und der Superkonzerne. Daher müsse auch - ganz im Sinne von Franz Josef Strauss, der proklamierte `Konservativ heißt an der Spitze des Fortschritts zu gehen`- massiv in technischen Fortschritt investiert werden, soll Europa im Konzern der Großen nicht nur die Triangel bedienen. Alexander Dobrindt bestätigte dies mit Worten, die tief blicken lassen, was die technische Bildung betrifft: `Wir müssen in die technische Entwicklung investieren, damit die Kompassnadel wieder nach vorne zeigt.` Hoffentlich piekst sie ihn nicht. Der Landesgruppenvorsitzende der CSU sagt nebenbei "Denkste" zu allen vormaligen Kritikern der "Schwarze Null". Nur durch die Sparpolitik des Bundes sei Deutschland jetzt so gut in der Lage auf die Pandemie zu reagieren. Er stellt das tatsächlich so dar, als sei die Politik der Schwarzen Null in weiser Voraussicht auf das Eintreten einer Pandemie betrieben worden. Es gibt keine Welt, die so aus den Fugen gerät, dass die Fähigkeit zufällige positive Entwicklungen als Resultat von weiser Voraussicht verloren geht. Jedenfalls nicht bei Alexander Dobrindt. 

Während der CSU-Parteitag weiter in blau-weißer-Klassenprimus-Schulterklopferei (virtuell) schwelgt, lässt Bolsonaro den Regenwald abholzen, kassiert China die Freiheitsrechte Hongkongs und kündigt Trump internationale Abkommen zur Begrenzung atomarer Aufrüstung. Hauptsache, die 3. Bundesliga spielt wieder. 

Aspekte widmet dem Disput um die Eröffnungsrede für die Ruhrtriennale durch Achille Mbembe einen Beitrag. Mbembe, immerhin Träger des Geschwister-Scholl-Preises, wird unter anderem von Felix Klein, dem Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, vorgeworfen, er unterstütze die antisemitische BDS-Bewegung, bestreite das Existenzrecht Israels und sein Vergleich des Holocaust mit dem Apartheitssystem Südafrikas bagatellisiere die beispiellosen Verbrechen der NS-Zeit. Die Kritik kommt aus berufenem Munde. Wer kennt sich schon besser mit Antisemitismus aus als Deutschland? Dass der Antisemitismusbeauftragte (muss man damit extra jemanden beauftragen? Reichen da nicht die Höckes und Kalhaubitzen?) sich vehement dagegen verwehrt, wenn Deutschland der Rang des schlimmsten Verbrechens aller Zeiten streitig gemacht wird, ist evident - es kann schließlich nur einen Spitzenreiter geben. 

Was man sich wohl alles selbst wird verzeihen müssen? Anmaßungen, Wutausbrüche, vor allem aber Kritiken und Besserwisserei, die unter dem Deckmantel eines verletzten Gerechtigkeitssinns nur der beleidigten Reaktion auf die Beschränkungen eigener Freiheit Bahn brechen. Unverzeihlich wäre aber auch, sich Zweifel an der Eignung von Maßnahmen nur deshalb zu verbieten weil es einfacher erscheint sie zu befolgen.   

(...)

"Ich wundere mich darüber, wie wenig Betrieb am Strand ist. Ich sehe den Grund, als ich der unzähligen toten Fischen gewahr werde, die das Meer an den Strand gespült hat. Einige andere Unentwegte begeben sich so wie ich dennoch ins Wasser, aber das Unbehagen treibt uns rasch wieder zurück ans Ufer. Die weißen Bäuche der Sardinen treiben so zahlreich an der Wasseroberfläche, dass sie eine dicke Schicht von Kadavern bilden, die an unseren Körpern entlang gleitet. Wir waten zwischen starren Augen und offenen Mäulern. Zurück im Haus dusche ich lang und ausgiebig, den eingebildeten Geruch von faulem Fisch vertreibt das nicht. Das Massensterben drückt auf die Stimmung, entgegen der Normalität zu dieser Jahreszeit verlieren sich nur wenige Urlauber auf der Strandpromenade und auf den Terrassen der Cafes. Der Gestank treibt die Menschen zurück in die Appartements. Ich erkundige mich bei Giuseppe, ob er die Ursache für das Fischsterben kennt. `Wir wissen es nicht. Die Fischer sind ratlos. Selbst die, die sich weit raus trauen erreichen kein Ende der Leblosigkeit. Aber der Gestank kommt nicht nur vom Meer. Irgendeine Krankheit hat die Ziegen befallen. Sie stürzen in Kolonnen die Felsen herab. Und dann die Geschehnisse in Deutschland...` Ich frage ihn: `Was meinst Du?``Dein Ernst? Hier. Sieh es Dir an.` Er zeigt mir ein Youtube-Video auf seinem Handy, die Aufzeichnung einer Nachrichtensendung. Bundeswehrkonvois, unter den Planen gestapelte Leichen, Opfer eines aus Südamerika eingeschleppten Virus, dessen tödliche Wirkung sich schneller verbreitet, als die Nachrichten über die Epidemie. Wo ist mein Stalker, wenn ich ihn brauche? Warum hat er mir nicht geschrieben? `Wir`macht sich Guiseppe Mut `sind nicht davon betroffen. Es wird sich um irgendein Umweltgift handeln`.       

 

65. 21. Mai 2020

Kelneswegs genieße ich die morgendliche Ruhe an diesem Feiertag. Es jagt mir Angst ein, dass nur Vogelstimmen zu hören sind, kein Verkehrslärm von den Straßen. Eine Geräuschkulisse wie auf einer Lichtung im Wald. In der Großstadt ist eine derartige Stille, unterbrochen nur von natürlichen Geräuschen, widernatürlich.

Es fehlen die Berichte über die Katastrophe, die mich von der Katastrophe ablenken. Im Stressvakuum ausbleibender Nachrichten breitet sich Beklemmung aus, nachhal(l)tige Wirkung des gestrigen Aufenthalts in der Innenstadt. Das Umständliche von Cafebesuchen, das Ausfüllen von Formularen mit Kontaktdaten, Einwilligungen, die man unterzeichnet, als verlasse man gegen den Willen des behandelnden Arztes das Krankenhaus.  Jedes Geschäft ein Checkpoint an der Berliner Mauer, vor der wir Vulnerablen noch gestanden haben, auf der einen oder der anderen Seite. Das bedeckte Gesicht der Anderen das mich als Gefahrenherd konstituiert. Das ungute Gefühl, dass all dies nur der Anfang ist. Das Warten auf die Flutwelle, die der Asteroideneinschlag auslöste. 

Die Lage ist ernst, nehmen Sie sie ernst. Es geht um Leben und Tod. Wir bewegen uns auf dünnem Eis. In einem Interview mit der TAZ am 20.05.2020 sprechen die Ärzte Michael Kronawitter und Claudius Loga von einer "Diktatur der Angst." und stellen unter anderem die Frage: "Muss man Maßnahmen autoritär erzwingen?" ("Nicht verharmlosen. Relativi(e)ren.", Interview mit dem Praxiskollektiv, geführt von Christian Jakob). Und nun? Die Biergärten öffnen wieder. Der Urlaub am Mittelmeer wird möglich. Die Schwimmbäder öffnen. Bundesländer überbieten sich gegenseitig im Buhlen um deutsche Touristen. Eben noch die Bilder der nächtlichen Leichenkonvois in Bergamo, jetzt wirbt Italien um Urlauber aus Europa, eher als jedes andere Land in der Mittelmeerregion erlaubt Italien die Einreise von Touristen ohne Einschränkung.  Man fragt sich: welche von beiden Welten ist denn nun eine Täuschung? Erst ein Klima der Angst, das als Straßenfeger alle WM-Endspiele in den Schatten stellte. Wohnzimmer als Hochsicherheitstrakte und Atombunker. Das Esszimmer als familiäres Stammheim. Gehorsam und Willfährigkeit als wiederentdeckte erste Bürgerpflicht. Man darf Kritik äußern, unbenommen, sie wird als demokratisches Störgeräusch zur Kenntnis genommen, dass sie erlaubt wird deutet man als Beleg für die Freiheit unserer Gesellschaft und unsere Treue zum Grundgesetz, ansonsten wird sie stirnrunzelnd übergangen. Es steht ja auch nicht unter Strafe im Kino zu spoilern, aber...Psssst. 

Dann will man lustig die Wirtschaft wieder hochfahren. Inklusive die Tourismusbra(n)che. Ernüchterung macht sich breit ob der Zurückhaltung der Konsumenten, denen man in Ermangelung eines besseren Impfstoffes Pessimismus, Furcht, das Gehen auf Zehenspitzen eingeimpft hat. Menschen auf Umwegen um andere Menschen, Leben auf Umgehungsstraßen. Depression fördert Rezession, inmitten des ökologischen der soziale und ökonomische Klimawandel. Sorge, dass die Bazooka ein Rohrkrepierer ist. Das schleichende soziale Beben dessen Schockwellen noch bevorstehen. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.     

Die Wohnung unter mir. Jeden Morgen verlässlich um 9:15 werden die Rolläden hochgezogen. Ich weiß nicht wer dort wohnt, frage mich was es zu bedeuten hätte wenn dieses Geräusch morgens ausbleibt. 

Die derzeitige Reglosigkeit erlebe ich als Strafe, die mir nichts ausmacht. Freunde meiden mich sogar fernmündlich als seien meine Antipathien gegen verordnetes Verhalten für sie ein Infektionsrisiko. Einerseits empfinde ich das als Entlastung. Andererseits bedaure ich, dass ich keine Fahrerlaubnis besitze. Ein Führerschein und ein Auto wären von Vorteil, wenn man es sich mit Freunden verdorben hat und öffentliche Verkehrsmittel meidet.  

Vieles bleibt aus. So weit ich mich entsinne kursieren seit vielen Wochen keine Cowitze. Humorlosigkeit wuchert in der Gesellschaft. Das öffentliche Leben sucht verbissen nach krampflösenden Mitteln. Irgendwo im Internet mahnt Friedrich Merz: Unsere Wirtschaft wird nicht auf Dauer davon leben können, dass wir uns gegenseitig Masken nähen. Wie ich sehe klappt das auch bei mir nicht mit dem Humor. Selbst die Titanic tut sich schwer. 

Ich werde niemals Lanzhut besuchen. Prof. Melanie Brinkmann beschreibt die Ursachen des bisher glimpflichen Verlaufs der Pandemie mit einem Wort: Glück (daher kann man eigentlich in Sachen "Ist doch gar nichts passiert, wozu der ganze Aufriss?" in Deutschland nicht von einem Präventions-Paradoxon reden: Schwein-gehabt-Paradoxon wäre treffender). Danach geht es - endlich mal wieder - um das Thema Masken. Zu dem Thema gibt es nichts mehr zu sagen, die Runde sagt es trotzdem.  

Eingespielt wird ein kurzes Interview mit zwei Demonstranten vor dem Brandenburger Tor, die gegen die Einschränkung der Grundrechte auf die Straße gehen, eine Ärztin und ein Arzt. Sie sagt: `das was hier geschieht spricht meiner gesamten Ausbildung Hohn.` Ende des Beitrags: mich hätte sehr interessiert, was sie damit genau meint. Die Talkrunde interessiert das nicht, niemand fragt nach, ebenso wenig wie der Reporter, der den Beitag beendete als er grade interessant wurde. 

Der Unternehmer Frank Thelen echauffiert sich über den Widerstand gegen die zentrale Datenspeicherung bei der sagenumwobenen Tracking-App, und über den fehlenden Aufschrei als Reaktion auf die Zettelwirtschaft in Cafes. Erstens. die Menschen wollen endlich wieder draußen Kaffee trinken gehen und zweitens kann jeder gut unleserlich schreiben. Unmittelbarer Nutzen für den Einzelnen und Möglichkeiten anonym zu bleiben - warum sollte man durch Aufbegehren riskieren, dass Cafes und Kneipen wieder schließen?   i

 

 

64. 20. Mai 2020

Wie lange dauert eigentlich `die Stunde der Exekutive`? 

Das Eigenlob der Exekutoren sollte man nicht überbewerten. Das `Präventionsparadoxon` bringt Politiker und Experten um das wohlverdiente Lob für ihre erfolgreiche Arbeit. Der Arbeitswissenschaftler würde eine negative "effort-reward"-Bilanz diagnostizieren - man strengt sich an, liefert Qualität und bekommt keine Anerkennung. Erfolg, der darin besteht, Katastrophen zu verhindern wird nicht bemerkt. Das wissen ITler ebenso wie Hersteller von Verhütungsmitteln. Mangelt es an Anerkennung, muss man sich eben selbst auf die Schulter klopfen. Dennoch: es entbehrt nicht einer gewissen Penetranz, wenn allenthalben mit dem Verweis auf Bergamo - das Guernica des Kriegs gegen COVID-19 - behauptet wird, man habe genau die richtigen Maßnahmen ergriffen um `italienische Verhältnisse` zu verhindern, Deutschland könne stolz sein, stehe im internationalen Vergleich gut da. Nach wie vor fehlt es an einer Evaluierung der Wirkung von Maßnahmen und am Nachweis der Notwendigkeit Verhaltensänderungen zu erzwingen - grade weil es diese Evaluierungen in diesem (nach wie vor) frühen Stadium der Pandemie nicht geben kann sollte man dosiert mit Selbstbeweihräucherung umgehen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: das Krisenmanagement kritisch zu betrachten wird für zweite Wellen, weitere Pandemien und Katastrophen hilfreicher sein als der Stolz auf Erreichtes, das auch durch Glück im Unglück erzielt wurde. Andere Länder wie Griechenland und Neuseeland haben zum Beispiel sehr viel eher das Gefährdungspotenzial von COVID-19 erkannt: hier wurde Krisenprävention betrieben, statt abzuwarten und erst auf die Gefahr zu reagieren, wenn der Ernstfall längst eingetreten ist. In Deutschland lagen Konzepte zur Pandämieprävention und -bekämpfung vor und wurden viel zu spät berücksichtigt. Begründung für die Einschränkung von Bewegungsfreiheit und Kontaktsperren war der Schutz von Risikogruppen, der zu keiner Zeit gewährleistet war - ein Grund, an der Erforderlichkeit von Verhaltensänderungen und Einschränkungen der Grundrechte zu zweifeln. Denn wozu das Ganze, wenn der Zweck verfehlt wird und die Hotspots in Pflegeeinrichtungen und Betrieben entstehen? Wie viel Schaden hat die reflexhafte Aufforderung angerichtet (und richtet noch an) zu Hause zu bleiben, wo das Virus bestens gedeihen kann?

Erst wenn auch die Schadensbilanzen vorliegen wird man wissen, wie viel man zu verzeihen hat - und auch was unentschuldbar war. Ein Wall-Street-Journalist (Bojan Pancevski) sagt im Phoenix-Interview zur Merkel/Macron-Initiative in einem Nebensatz: `die Krise kommt erst noch`. Sieht man die derzeitige soziale, politische und ökonomische Entwicklung als eine Art Druckwelle nach der Detonation eines nuklearen Sprengsatzes, wird man das Ausmaß der Verwüstungen erst später einschätzen können - ohne, dass langfristige `Strahlungsschäden`(Massenarbeitslosigkeit, politische Umwälzungen, psychische und physische Folgen) dann schon in die Bilanz einfließen. Noch ist die `Stunde der Exekutive`nicht vorüber - Ende offen. Es mehren sich die Anzeichen dafür, dass der psychologische Effekt des Mund-Nasen-Schutzes (Mund halten) sich mit zunehmender Dauer von Einschränkungen und wachsender Existenznot rasch abnutzt.   

Im ZDF/ARD Morgenmagazin wird Maja Göpel zunächst zitiert: `Wir sind dazu imstande unsere Welt zu ändern wenn wir müssen.` Dann kommt sie zu Wort. Ihr Buch `Unsere Welt neu denken: Eine Einladung.` ist mittlerweile ein Bestseller. Maja Göpel mausert sich als Transformationswissenschaftlerin zu einer Art Change-Managerin des öffentlichen Bewusstseins.  Als Mitglied des `Club of Rome` befasst sie sich selbstverständlich mit dem Thema Wachstum. In der Corona-Krise sieht sie die Chance, dass vor allem durch den sozialen Druck aus den Bevölkerungen in den demokratischen Ländern Wachstum als Selbstzweck zugunsten einer nachhaltigen Wirtschaft verdrängt wird. Die Frage `was braucht der Mensch` rückt ins Zentrum der Überlegungen zu Prosperität und nicht die Frage `was kann ich ihm noch andrehen`. Das Missverhältnis von Überversorgung in den einen und Unterversorgung in anderen Ländern soll einem Umgang mit Ressourcen weichen, der die Versorgung von Bevölkerungen weltweit sicher stellt und so statt Auseinandersetzung um Ressourcen (´land grabbing´) zu forcieren friedenssichernd wirkt. Dazu gehören Recycling-Konzepte (`mein Müll ist Deine Ressource`) und das Arbeiten mit Kennziffern, die Wachstumszahlen ins Verhältnis setzen zu Schadensbilanzen. In der Auseinandersetzung von Systemen nützt ein deutscher Alleingang wenig, es wäre an Europa ein Gegengewicht zu fossilen Supermächten wie den USA und China zu bilden. So gut das klingt, skeptisch stimmt einen der einleitende Satz, mit dem sie vorgestellt wird. Zum einen lässt sich dieser Satz so verstehen, dass Menschen im Kollektiv ihr Verhalten nicht aus Einsicht, sondern aus Zwang anpassen, zum anderen stellt sich die Frage, was souveräne Staaten `müssen`? Da Macht das Privileg ist, auf das bessere Argument zu verzichten werden Trump, Bolsonaro und andere vermutlich nicht auf Maja Göpel hören - ebenso wenig wie die Feierbiester an Floridas Stränden, deren Credo `lieber tot als unfrei` das Infektionsrisiko für die Anderen in Kauf nimmt, deren Erkrankung bedauernswerter Kolateralschaden des Heroischen wäre. 

Auch als Zweckpessimist, der sich freut, wenn entgegen eigener Skepsis nicht alles schief läuft, hoffe ich durchaus auf Europas Potenzial. Immerhin ist die Initiative von Frankreich und Deutschland ein Schritt in die Richtung einer gemeinsamen europäischen Haftung und damit in Richtung Vereinigter Staaten von Europa. Der Vorstoß von Macromerkel ist vor allen Dingen als Absichtserklärung in diese Richtung zu sehen - was der Grund für die "frugalen Vier" ist, ihn zurückzuweisen. Auch das gehört zum Kalkül hinter der deutsch-französischen Geste. Man wird an den Reaktionen erkennen, dass eine Minderheit den Weg in ein föderales Europa blockiert.  

Die Hauptversammlung der Deutschen Bank wird eingeleitet mit Predigten des Aufsichtsratsvorsitzenden Paul Achleitner und des Vorstandsvorsitzenden Christian Sewing. Tonfall und Atmosphäre erinnern an das Wort zum Sonntag - die Inhalte setzen sich zusammen aus in Folge der Corona-Krise beschleunigt vergilbten Erfolgsgeschichten, die übliche Historie von der Notwendigkeit der Vertreibung aus dem Paradies (18000 Stellenstreichungen) und im Tonfall leiser Trauer vorgetragenen Zukunftsaussichten. Und siehe da: man prognostiziert mit Bedauern eine vorsichtige Abkehr von der Globalisierung, stärkeren Einfluss staatlicher Kontrolle und - Tusch! - eine größere Bedeutung Europas. Sigmar Gabriel, ehemaliger Minister für Popkultur, rückt in den Aufsichtsrat der Deutschen Bank vor, vielleicht wäre Frau Göpel eine bessere Idee gewesen. 

Ein statement Sewings jedenfalls ist interessant: Angesichts des von der OECD prognostizierten jährlichen globalen Investitionsbedarfs von 6 Billionen Euro für den Umgang mit den Folgen des Klimawandels werden nach seiner Ansicht Nachhaltigkeitsratings für Banken in Zukunft mindestens so wichtig wie die Bewertung durch klassische Ratingagenturen. Die Deutsche Bank soll grüner werden - grün ist die Farbe der Hoffnung und des Dollars.  

Wohl auch ermutigt durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu Praktiken des BND, in dem auch für ausländische Staatsbürger mit Aufenthalt außerhalb von Deutschland die Gültigkeit von sich aus dem Grundgesetz ergebenden Schutzrechten festgestellt wurde, beschließt das Kabinett auf Initiative von Hubertus Heil das Verbot von Werksarbeitsverhältnissen in Schlachtbetrieben. Auch in diesem Handlungsfeld geht es um die Geltung von in Deutschland geltenden Schutzrechten auch für Arbeitnehmer aus dem Ausland. Man kann mit einer gewissen Zuversicht den zu erwartenden Verfassungsklagen der Verbände entgegen sehen. Der Trend, die Gültigkeit von mit den Menschenrechten korrelierten Grundrechten auch für Menschen außerhalb des Deutschen Rechtsraums anzuerkennen setzt sich erfreulicher Weise fort - ein Signal gegen das Primat nationaler Interessen und Egoismen. Darauf zu bestehen dass humanitäre Werte, die sich in der Gesetzgebung niederschlagen, nur für die eigenen Staatsbürger gelten steht in direktem Widerspruch zur Unantastbarkeit der Würde des Menschen - schließlich steht im Grundgesetz nicht "Die Würde des deutschen Menschen ist unantastbar." 

Mittagspause! Es läuft die Bundespressekonferenz und Herr Jung ist nicht dabei. 

In einem Artikel auf Spiegel Online von heute ("Aldi pocht auf noch niedrigere Wurstpreise"), dessen Titel schon Realsatire, also bitterer Ernst ist, findet sich der herrliche und auch noch die Wurst auf den Zipfel treffende Schreibfehler: Wurstbrache (statt Wurstbranche). Besser hätte es keine korrekte Schreibweise formulieren können. Der ist noch besser als der Versprecher von Frau Göpel bei der Verabschiedung: "Ich danke Ihnen hässlich."

Um mal was anderes zu sehen als Corona begebe ich mich zu einem Cafe mit Aussenbestuhlung. Corona in und vor aller Munde. Vom Nebentisch ein zeitgeistvoller Satzfetzen: `Ich müsste meine Maske mal wieder waschen`. Als geübter Dangerseeker begebe ich mich anschließend in die Fußgängerzone. Ich gehe an zwei endlos langen Schlangen vorbei. Steht man für Lebensmittelmarken an? Die erste endet vor einem Fleisch- und Wurstfachgeschäft (Die Preise für Schweinefleisch sind imagebedingt im Keller), die zweite vor einem Laden, der Bubble-Tea anbietet. Mir schleierhaft, dass man sich für diese Produkte anstellt bis zur Landesgrenze. Kurz begebe ich mich in ein Bekleidungsgeschäft, da ich erwäge eine Hose zu erwerben: schlecht durchlüftet, enge Gänge, Menschen, die sich mit Mund-Nasen-Schutz sicher fühlen. Das Geschäft eine einzige, große Petrischale. Kein Entkommen vor Corona. Ab nach Hause auf die einsame Insel vor meinen Bildschirmen, COVID-19 jenseits der vierten Wand. 

Die Billion ist die neue Million. Was heißt es schon ein paar Nullen dran zu hängen? Null bleibt null. Was nicht alles geht: die EU-Kommission, vertreten durch Vizepräsident Frans Timmermans, kündigt am Weltbienentag fleißig Milliarden/Billioneninvestitionen in eine nachhaltige Lebensmittelstrategie an. 30% der landwirtschaftlichen und maritimen Nutzflächen sollen Naturschutzflächen werden. Die Werkvertragsarbeit nicht nur in der Fleischindustrie steht zur Disposition. Die Agrarförderung für extensives, rein profitorientiertes Wirtschaften ohne Gemeinnutz steht auf der (Müll)Kippe. Nährstoffverlust soll entschieden vorgebeugt werden, der Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung soll um 50% eingeschränkt werden. Die Krise entwickelt sich zur sozialen, politischen und ökologischen Öffnungsklausel. Dem Primat der Profitorientierung wird die vehemente Forderung entgegengestellt, den Nutzen der Ökonomie für den Menschen und die Umwelt in den Fokus zu rücken. Politik entdeckt ihre Macht gegenüber Lobbyisten, Verbänden, Banken und Konzernen. Man fühlt sich ein wenig an den Fall der Mauer und seine Folgen erinnert. Und die Börsen? Der Seismograph der kollektiven Gier schlägt nach oben aus. Billionenschwere Konjunkturprogramme, Förderprogramme, Kredite, Zuschüsse, Investitionsprogramme beflügeln die Phantasie. Irgendwo hin wird das Geld fließen und es gehört wenig Vorstellungskraft dazu um zu ahnen, wohin die Kohle strömt - Technologiewerte, KI, Pharmazie, Online-Handel, Nahrungsmittelkonzerne. Es wird zu gewaltigen Umwälzungen am Markt kommen, das reizt zu Spekulation. Die Volkswirtschaften werden sich auf Kosten von Millionen Arbeitslosen, von Not, Elend und Tod in Schwellenländern erholen: COVID-19-Opfer = Stellenabbau und Kostensenkung. Staatsanleihen werden im Wert steigen. Korken werden knallen. Und knallen Schüsse, so wird auch das sich lohnen. Auf Zerstörung folgt Wiederaufbau.   

Dazu passend: mitten in einen Beitrag auf Phoenix über den Untergang von Atlantis platzt Angela Merkel mit einer Pressekonferenz zu ihren Gesprächen mit IWF und WTO. Es geht um Investitionen in Billionenhöhe unter anderem in die Wirtschaft der ärmsten Länder, um multilaterale Lösungen zur Bekämpfung der Pandemie und die verheerende Wirkung von Exportzöllen auf Lebensmittel, kurz: um Rettungsmaßnahmen. Für Atlantis zu spät, hoffentlich nicht für die Welt.

Große Müdigkeit im Kopf. Ein Cafe Latte wäre mir jetzt lieber als Multilateralismus. 

Volkswagen und seine Tradition. Ein rassistischer Werbespot für den neuen VW-Golf auf Instagram bringt das ansonsten so skandalfreie Unternehmen in Erklärungsnot. Tradition hat auch die Reaktion. Entschuldigung. Wir wissen gar nicht wo das herkommt. Auweh, VW.

Vor der Tagesschau lecker Werbung für Fleisch. Wohl bekomms.

Bolsonaro nutzt die Coronakrise um die Abholzung des Regenwaldes voranzutreiben, während seine Bevölkerung an leichtem Schnupfen krepiert. Selbst hartgesottenen Konzernen ist das zuviel. Erzkapitalistische Unternehmen drohen Bolsonaro mit dem Abbruch der Handelsbeziehungen. 

In Italien übernimmt die Corona Nostra die Sozialhilfe. Wenn das Geld der Mafia dann in Deutschland gewaschen wird zeigt das: Europa funktioniert. In Spanien dürfen Familien von 11-19 Uhr auf die Straße, die Alten von 19-20 Uhr, alle anderen danach. Willkürliche Separierung deren Zweckmäßigkeit sich nicht erschließt. Paradiese im Vergleich zu Indien. Die aus den Städten vertriebenen Wanderarbeiter sollen Abstand wahren und Maske tragen, während sie verhungern und verdursten. Mütter mit verletzten Kindern, die barfuß 380 Km in ihr Heimatdorf zurücklegen müssen.  

Bei Sandra Maischberger beklagt sich der Leitende Redakteur "Wissen" der Süddeutschen Zeitung Werner Bertens über die zu frühen und geballten Lockerungen. Er konzediert es reiche nicht, wenn die Mehrheit der Bevölkerung sich vernünftig verhalte, wenn in den Münchener Biergärten und Cafes sich immer noch Gruppen bilden, die so tun, als gäbe es Corona nicht und habe es Corona nicht gegeben. Dieses Problem hat nichts mit den Lockerungen zu tun - diese Gruppen gab es, gibt es und wird es geben, denn für eine flächendeckende Kontrolle fehlen die Kapazitäten und der politische Wille zum Überwachungsstaat. Sandra Maischberger hätte die Lösung: wir brauchen mehr Bilder mit Leichensäcken. 

Claus Ruhe (!) Madsen, der Oberbürgermeister von Rostock - erste coronafreie Stadt in Deutschland - fordert die Aufhebung der Maskenpflicht. Er ist parteilos und Däne. Das scheint einen klaren Kopf zu garantieren. Madsen wendet sich als erster in einer der zahllosen Talkshows gegen den Begriff der "Neuen Normalität" und Angst als Steuerungsinstrument sozialen Verhaltens - Angst macht krank, schwächt das Immunsystem, senkt die Lebensfreude und lähmt die Wirtschaft. Sie ist kontraproduktiv, wenn man soziales und wirtschaftliches Leben wieder Gang bringen will.

Ein letzter Schwenk auf Lanzelot weil ich ein stiller Bewunderer des Kinns von Norbert Rötgen bin (Mischung aus Cary Grant und Kirk Douglas), dem exhumierten Spitzenkandidaten aus NRW. Schon dämmere ich weg... 

 

63. 19. Mai 2020

Die Blitzmerker von der BILD haben es als Erste erfasst: "Unsere Wirtschaft ist in Gefahr." Schlimmer: unsere Wirtschaften sind in Gefahr. Kneipensterben wohin man sieht.

Der Weltärztepräsident Montgomery besticht ebenfalls durch rasche Auffassungsgabe: die aus seiner Sicht leichtsinnige Öffnung der Grenzen für den Tourismus erfolge lediglich aus ökonomischen Gründen. Weil nämlich - siehe oben - die deutsche Wirtschaft in Gefahr ist.

Der Verband der fleischverarbeitenden Industrie wehrt sich gegen Forderungen, Werkvertragsarbeiter in Einzelzimmern unterzubringen. Dann wären viele Betriebe nicht mehr wettbewerbsfähig. Na und? 

"Bloß raus hier Wo das Corona-Infektionsrisiko am größten ist". So lautet der Titel eines Artikels von Julia Merlot auf Spiegel Online. Merlot befasst sich mit den Resultaten von Kontakt-Verfolgungs-Studien. Demnach zeichnet sich als Trend ab, das in privaten Haushalten und öffentlichen Verkehrsmitteln das Infektionsrisiko am höchsten ist. Eine Studie in China, in der Forscher Hunderte Ansteckungen zurückverfolgten ergab, dass "alle bis auf eine Ansteckung in Innenräumen stattfanden." Es verblüfft nicht, dass das Risiko mit der Dauer des Aufenthaltes, der Dichte der Personen im geschlossenen Raum, und der Intensität körperlicher Aktivität zunimmt. Es kristallisiert sich heraus, dass Ausgangssperren und "Zuhausebleiben" fatale Strategien waren - und dass die Öffnung ausgerechnet von Fitnesstudios eine fahrlässige Maßnahme ist, wie Erfahrungen mit einem Ausbruch in Fitnessstudios in Südkorea zeigen. Aufgrund der hohen Virenlast der Aerosole in einem geschlossenen Raum ohne Luftzirkulation bietet hier auch Abstandhalten nur bedingt Schutz. Der Absatz zum Risikofaktor Muckibude ist überschrieben mit "Superspreader im Fitnessstudio". 

Dass Abstand halten, Aufenthalt an der frischen Luft und regelmäßiges Lüften die Ausbreitungsgefahr reduzieren und Menschensammlungen sie erhöhen - nein, wer hätte das gedacht. Wie viele Covid-19-Opfer gehen wohl auf das Konto der weltweiten Ausgangsbeschränkungen? Auch Kontaktbeschränkungen fördern die Abschottung in den eigenen vier Wänden - sie gehören mindestens gemildert.

"Wenn Corona vorbei ist, verbringe ich erstmal ein paar Tage gemütlich zu Hause." Haben wir gelacht. 

Das Alleinsein stört nicht. Störend ist das soziale Leben unter den Bedingungen der Gesichtsmarkierung und Abstandswahrung. Dann lieber unzensiert und ungehindert mit sich allein. 

Lachhaft ist der Dumme-Jungen-Streich von Angela Merkel und Emmanuel Macron: man signalisiert die Hilfsbereitschaft der europäischen Schwergewichte Frankreich und Deutschland, wohl wissend dass die Einstimmigkeit in der EU zum Thema gemeinsame Schuldenaufnahme nicht erzielt wird. Wenn das Erwartete eintritt, dann reicht man den Schwarzen Peter an die Länder weiter, die dem 500-Milliarden-Fond nicht zustimmen. Ein Manöver so durchsichtig wie Trennwände aus Plexiglas.     

Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass die Praxis des BND, sämtliche telefonischen Aktivitäten und Aktivitäten im Internet ausländischer Staatsbürger zu überwachen verfassungswidrig ist. Was selbstverständlich klingt, ist es längst nicht (mehr). Der ehemalige Präsident des BND zum Beispiel fände es sogar anmassend, wenn Grundrechte, die in Deutschland gelten auch für Menschen gelten, die nicht deutsche Staatsbürger sind. Es könne ja nicht angehen, dass sich ein Taliban auf den Schutz durch deutsche Grundrechte berufen kann. Dieser Scheuklappenblick lässt außer acht, dass der Übergriff des BND in der Ignoranz des gesetzlichen Schutzes Dritter in der für sie gültigen Rechtsordnung besteht, zumal wenn diese auf ähnlichen humanitären Werten gründet. Nur weil man nicht das Recht auf Privatsphäre und Vertraulichkeit aller Nichtdeutschen verletzt, schützt man noch keine Terroristen. Die Argumentation des BNDlers inklusive der rigorosen Abgrenzung der deutschen Grundrechte von Menschenrechten erinnert ließe ebenso gut Folter zu - denn für ausländische Staatsbürger gilt ja nicht das Recht auf körperliche Unversehrtheit.   

Eine Meldung, die auf Anhieb alarmierend ist ist eher eine gute Nachricht: Forscher gehen davon aus, dass die Ausbreitung des Virus nicht durch klimatische Bedingungen beeinflusst wird. Im Umkehrschluss heißt dies, dass der Rückgang von Infektionsraten Effekt von Verhaltensänderungen ist und nicht einfach saisonal bedingt. 

Staat dem Bericht zur Lage der Nation gibt Svenja Schulze, ihres Zeichens Ministerin für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, einen Bericht zur Lage der Natur. Sie verknüpft die Situation der Flachland-Mähwiesen, der Apollofalter, Libellen, der Rebhühner und Kiebitze mit der Corona-Situation. Der Bericht beginnt mit guten Nachrichten: Kegelrobben fühlen sich wohl in der Nordsee, die Menschen entdecken die Schönheit der Natur und - da zucke ich zusammen - den Fledermäusen geht es besser. Ob es eine so gute Nachricht ist, dass Menschen die Natur für sich entdecken sei dahingestellt. Die Natur be- und zertreten heißt nicht sie zu schützen, sondern sie wie andere Waren zu konsumieren. Die schlechten Nachrichten sind katastrophal: Insektensterben, Reduzierung von Biodiversität, Rückgang von Wildwiesen, Weiden und Baumbeständen. Die Zurückdrängung der natürlichen Lebensräume für Tiere fördert die Gefahr von Zoonosen ebenso, wie die Massentierhaltung und die mit der Gülle verbundene Verseuchung der natürlichen Umwelt. Eine intakte Natur, so Schulze, wäre der beste Impfstoff gegen Pandemien. Das immunisierte Zeitalter hat jedoch die durchaus vorhandenen Warnungen vor der Gefahr von Pandämien in den Wind geschlagen. Politisch herrscht das Prinzip des `Othering´ vor, Schuld an Seuchen sind immer die anderen. Ihre Forderungen sind berechtigt: Keine Konzentration von öffentlichen Mitteln auf die industrielle Landwirtschaft, wenn dann nur für öffentliche Leistungen, die den Natur- und Umweltschutz zum Nutzen aller fördern. Schön wärs - aber die Realität zeigte gestern eine Reportage auf Phoenix zur industriellen Schweinezucht in North-Carolina. Ein Umweltaktivist flog die Reporterin über endlose Seen aus Scheiße, die das Bild der Landschaft in North-Carolina prägen. Riesige Zucht- und Schlachtanlagen, die vor allem den zunehmenden Hunger der chinesischen Bevölkerung auf Schweinefleisch bedienen. Gigantische Flächen Regenwald werden in Brasilien gerodet, um Soja anzubauen, das zu Futtermittel verarbeitet wird. Soja-Monopolisten, die sich brüsten: wir ernähren die Welt. Der Weg zur Hölle ist mit Gülle und Futtermehl bedeckt. 

Muttis Liebling Phillip Amroth bezeichnet bei `Unter den Linden´ die Erhebung von personenbezogenen Daten in Restaurants als "grundrechtschonend". Selbst wenn dem so ist - sie ist ebenso wenig wirtschaftsschonend wie die Aussage von Michael Müller, regierender Oberbürgermeister von Berlin, der davon ausgeht, dass Abstandsgebote und andere Corona-Regeln auch nach Corona gelten. Abstand als Gebot erzeugt Distanz zum Angebot. Angst und Vorsicht sind in den Köpfen verankert. Sie führen zu Angst und Vorsicht in der Ökonomie. Eine wirtschaftliche Perspektive würde erfordern, an der Aufhebung von Kontaktverboten, Abstandsregelung und Spuckschutzfiltern zu arbeiten. Repulsion zu forcieren und wirtschaftliche Erholung zu erwarten ist blauäugig.     

Kurz vor ZDF heute ein Werbeslogan für den Sender und seinen Bildungsauftrag: "Wir sind alle Meister im Betrügen. Vor allen Dingen uns selbst." Der Nachteil von Intelligenz besteht in einem gesteigerten Vermögen sich selbst etwas vorzumachen. So kann man überzeugt davon sein Erklären sei schon ein Dialog. 

Statt der Spaltung der Gesellschaft befürchtet man nun ihren Riss. Statt der Furcht vorm Spaltpilz Furcht vor Zerreißproben. Letzteres ist gefährlicher: der Spalter kommt von außen, ihn kann man eliminieren. Die Zerreißprobe ist ein Bild für innere Spannung. 

Erneut werden die hohen Todeszahlen in Schweden in Beziehung gesetzt zur Freizügigkeit der Gesellschaft. Die Ursachen jedoch sind Mängel in der Altenpflege, die mit den Freiheiten für die Gesellschaft nichts zu tun haben. Statt das Gute zu sehen hält ein Mangel dafür her das Ganze abzulehnen. 

Man gab dem Basketball keinen Korb: Klar. Der Deutsche Meister ist Bayern München, und in deren Halle wird auch das Playoff ausgetragen.

Ausgebüxte Pinguine im Museum. Caravaggio gefällt ihnen besser als Monet. Bei Caravaggio ist auch mehr los. 

Das coronärrische Treiben spaltet auch Beziehungen. Am Umgang mit den Risiken scheiden sich die Kleingeister. 

Werbung für Käse aus Bayern, anschließend die Rosenheimcops. Pittoreske Kulissen. Ein Bundesland wirbt um Urlauber. Ich schalte um aufs Erste: WaPo Bodensee. Die nächste als Krimi getarnte touristische Produktplatzierung.

Die Sendungen `Frontal´ und ´Fakt´ sind (unter anderen) Sendeformaten ein Beleg für Pressefreiheit. Der Bericht über Arbeits- und Unterbringungsbedingungen von Werksarbeitnehmern im Umfeld des von der öffentlichen Hand finanzierten Projektes `Stuttgart 21` sind der Politik sicher nicht angenehm  Zugleich sind diese Sendungen Instrumente. Sie sollen Vorwürfe entkräften, die Deutschland entweder auf dem Weg zur Diktatur sehen oder Deutschland schon in einer Diktatur wähnen - denn in einer Diktatur gäbe es weder diese Sendungen, noch kämen diejenigen zu Wort, die behaupten man befände sich in einer Diktatur. Dagegen ist nichts einzuwenden. Wünschenswert wäre, wenn Beiträge zu wachsendem Unmut über Zwangsmaßnahmen und den menschenunwürdigen Arbeits- und Unterbringungsbedingungen in bestimmten Branchen in Beziehung gesetzt würden. Die Unmut über das nur halbherzig bekämpfte Schalten und Walten von Betrieben (im Ungeist unternehmerischer Freiheit) bei gleichzeitig gravierenden Beschränkungen der individuellen Freiheit ist ein triftiger Grund für Kritik an staatlichem Handeln. Es wäre zu überlegen, ob in Umkehr des Üblichen bei den Menschen auf freiwillige Selbstverpflichtung gesetzt werden sollte und bei den Unternehmen auf Kontrolle und Regeln. setzt.

Obwohl man es weiß und nicht überrascht sein muss: die Agitatoren, die Anne Frank und Judensterne zweckentfremden, um `gute patriotische Bürger´ als Opfer der Terrorherrschaft Angela Merkels und der Lügenpresse darzustellen sind widerwärtig. Sie sind leider Beleg für die überspitzte These, dass einige Deutsche den Juden den Holocaust nie verziehen haben.  

Kristina Dunz ist stellvertretende Leiterin des Parlamentsbüros der Rheinischen Post und zu Gast bei Markus Lanz. Welches Forum, fragt sie, haben Kritiker an den Grundrechtseinschränkungen und insbesondere an ihrer fehlenden zeitlichen Befristung außer den öffentlichen Raum? Schuld an der Sogkraft von Demonstrationen für rechtsradikale Zecken und Aluminiumfetischisten haben sie nicht. Die Talkshows jedenfalls bieten Kritikern an der staatlichen Reglementierung von individuellem und sozialem Verhalten kein Forum. Das ist ein schweres Versäumnis. 

So schwer dass es mich in Kissen und Bettdecke niederdrückt. 

  

 

62. 18. Mai 2020

Die Schlachtzeile der Bild-Zeitung fasst zusammen was wichtig ist: Grüne wollen dass unser Fleisch teurer wird. Ich bin gespannt was demnächst mein Arm oder meine Schulter kostet.

"Wie kann man denn im Zeitalter des Internet noch daran glauben, dass die Erde eine Kugel ist?"

Dauerbrenner bleibt das Thema Verstörungstheorien: die Moderatorin in MoMa stellt die Frage wie man die Demonstranten gezielt mit den richtigen Nachrichten erreicht. Eine gelinde gesagt unglückliche Formulierung, die den Freiheitskämpfern von Rechtsaußen in die Karten spielt.

Der Wirtschaftsteil der WAZ wartet mit einem interessanten Interview auf. Der Vorstandssprecher der GLS-Bank, Thomas Jorberg, fordert: "Wenn wir heute nicht umsteuern, werden wir morgen nicht wettbewerbsfähig sein. Im Moment werden Billionenbeträge in die Hand genommen. Der Einsatz dieser Steuermittel ist nur zu rechtfertigen, wenn das Geld auch zum Erhalt einer lebensfähigen Natur beiträgt." Natürlich sagt er das. Wenn man trotz dieser Kernaussage, der zu widersprechen schwer fallen sollte, stutzig wird, dann wegen der auch in diesem Interview augenscheinlichen Instrumentalisierung des Corona-Themas zu eigenen Geschäftszwecken.

Machen wir uns nichts vor. Man kann gesellschaftliche Einheit noch so händeringend heraufbeschwören, jeder von uns hat gleichwohl persönliche Interessenlagen, die ihren/seinen Umgang mit der Corona-Krise prägen. Mein vehementes Wettern gegen den `Maulkorb` und meine Präferenz für das Schwedische Modell gründen sich auf Fakten und Einschätzungen, die meine subjektive Neigung objektiv unterfüttern sollen. Mein Unwillen, die Zukunft in einem von Abstandhalten, Kontaktvermeidung und Mundvermummung geprägten Umfeld zu verbringen bestimmt den Gustus meiner Kommentare und des ihnen innewohnenden Furors. Auf der Ebene der Ökonomie sind die Billionenbeiträge zur Stützung der deutschen Wirtschaft nicht nur humanitär inspirierte Alimente im großen Stil, `sie verzerren auch die Wettbewerbssituation zugunsten Deutschlands` (Margrethe Vestager, EU-Kommissarin für Wettbewerb).

Dementsprechend entstehen Differenzen in Risikoabschätzungen hinsichtlich des eigenen Verhaltens und dessen Folgen für andere und sich. Diese Differenzen entwickeln sich aufgrund unterschiedlicher Betroffenheiten von Einschränkungen. Das gilt für Personen ebenso wie für Branchen. So haben zum Beispiel Sexarbeiter und Schauspieler ein ähnliches, schwerwiegendes Problem: die Arbeit beider ist unter Bedingungen der Kontaktbeschränkung und Abstandsregeln so gut wie unmöglich. Die Sehnsucht nach Aufhebungen der Kontaktbeschränkungen mag bei Singles ausgeprägter sein als bei Paaren. Da nicht nur Disziplin und Vernunft, sondern auch Sehnsüchte und Freiheitsdrang unser Verhalten bestimmen, ist die derzeitige Dominanz des Themas Urlaub wenig überraschend, auch wenn man ob des beschleunigten Wechsels von Alarm- zur Ferienstimmung mit den Ohren schlackert.   

Wenn nicht Anziehung, sondern Abstoßung die sozialen und ökonomischen Beziehungen und Prozesse determiniert, was und wer ist dann noch attraktiv? Analog zur Umpolung eines Magnetfeldes wird weltweit das soziale Feld umgepolt. In Deutschland dank Eisenfeilspahn. Davon auszugehen, dass flächendeckende repulsive Impulse keine langfristigen Konsequenzen auf Angebot und Nachfrage haben, wäre absurd. Begriffe sind diskreditiert: keine Hand wäscht die andere. Man reicht sich nicht die Hände. Umarmungen sind verpönt. 

Ich mache mich nicht mehr lustig über Menschen, die in der Fußgängerzone Mundschutz tragen - es ist zu umständlich zwischen zwei Geschäften die Maske ab- und wieder aufzusetzen (...ich gehörte heute auch zu den Menschen, über die ich mich eben noch amüsierte).

Das Raunen über die Rolle von Bill Gates und die Pharma-Industrie bei der Finanzierung der WHO und deren Abhängigkeit von privaten Unternehmen und Personen ist zwar nachvollziehbar, es fragt sich jedoch was sich bessern würde, wenn die WHO ausschließlich durch ihre Mitgliedsstaaten finanziert würde. Schließlich prallen dann die wirtschaftlichen und politischen Interessen der Staaten aufeinander, die ihrerseits nicht unabhängig von Märkten und Konzernen agieren. In beiden Fällen bleibt die WHO eine abhängige Organisation, deren Souveränität stark eingeschränkt und deren Machtbefugnis gemessen an ihren Aufgaben gering ist. Gehupft wie gesprungen.

Passend zu politischer Abhängigkeit: Taiwan, bei der Bekämpfung der Infektion äußerst erfolgreich, protestiert dagegen zur heutigen WHO-Jahrestagung nicht eingeladen zu sein. Dafür darf Xi Jinping sein weltweit ausgestrahltes Loblied auf das altruistische, stets hilfsbereite und jederzeit transparent agierende China singen.    

Bundespressekonferenz: Herr Jung fragt Frau Demmer (Stellvertreterin von Oliver Bierhoff) ob sie einen Zusammenhang sehe zwischen dem Gedeihen von Verschwörungstheorien und der Kommunikationspolitik der Bundesregierung. Frau Demmer sagt weder ja, noch nein, sondern erwidert die Regierung habe ihre Maßnahmen immer erklärt. Das ist es ja: Erklären wird als Kommunikation erachtet, doch dieses Verständnis von Kommunikation ist einseitig. Da ein Dialog nicht stattfindet - aufgrund der defensiven Haltung der Regierungsvertreter auch nicht bei den BPK - werden Gegenstandpunkte eingenommen, die ihrerseits keine Bereitschaft zum Dialog erlauben. 

Die Klöckner von Notre Dame rückt ab von freiwilligen Selbstverpflichtungen der Unternehmen als probates Instrument zur ethischen Einhegung der Schlachtbetriebe. Jetzt hält sie Bußgelder für möglich - das hindert die Fleischindustrie so wenig an Lohndumping, wie Raser an der Geschwindigkeitsübertretung.

Der Chef der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus, schaut drein wie ein als Universitätsgelehrter verkleideter Bhagwan, der wütend darüber ist, dass Tempelaffen seinen Ashram verwüsten. Kein Wunder. Der Mann ist konfrontiert mit der größten Pandemie seit der Spanischen Grippe und der Kelly Family und muss erleiden, dass Supermächte mit ihm Pingpong spielen - und das auch noch dilettantisch (was nicht so sehr an China liegen kann). 

Vor dem Hauptgebäude der WHO blühen Kirschbäume. Durch die offene Balkontür schneit es schwere Pollen. Wäre ich ein Poet (oder wenigstens Wolfgang Niedecken) würde mir das etwas sagen. 

Wiedereröffnung von Cafes in Italien. An Zweiertischen sitzt man sich durch Plexiglasscheiben getrennt gegenüber wie bei einem Gefängnisbesuch.

Bei ARD extra darf Markus Söder (es herrscht Meinungsfreiheit) seine Meinung sagen: es gebe keine Grundrechtseinschränkungen. Das ist angesichts der nicht beantworteten Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Eingriffe in Persönlichkeitsrechte ohne zeitliche Befristung nicht mehr und nicht weniger als eine Meinung - so viel oder so wenig Wert ist wie die Meinung eines Demonstranten, der der Auffassung ist, solange er den Mindestabstand von 1,50 nicht unterschreite, sei er nicht verpflichtet, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen. Diese Meinung ist zweifelhaft. Die von Markus Söder auch. Im Übrigen ist der Verweis auf Mehrheiten bei Umfragen kein Grund, Minderheiten als fehlgeleitete und verführte Verwirrte darzustellen: Das Demonstrationsrecht soll ja grade gewährleisten, dass auch Minderheiten sich ohne Angst vor Repressalien oder Diskriminierung Gehör verschaffen können. Demonstrationsrecht und Minderheitenschutz gehören zusammen - sie sind Faustpfand gegen eine Unterdrückung von Minderheiten, wie sie für Diktaturen kennzeichnend ist. Selbst wenn dies bedeutet, dass man AfD-Mitgliedern nicht den Mund mit Pattex verkleben darf. 

Anschließend eine Naturdokumentation. Requiem auf eine untergehende Welt. 

Fettschwanzmakis urinieren auf ihre Pfoten, damit sie beim Klettern besser kleben. Sollte ich auch mal ausprobieren. Nach Corona. 

Bei Hart aber Wer? outet sich Herr Kekulé als Windsurfer, den es im Urlaub nach Ägypten zieht. Sei nicht so gefährlich, wenn man den Kontakt mit Eingeborenen, äh, Einheimischen meide. Der geht - höhö - bestimmt in einen Club Dr.med. Außerdem: viel draußen sein, geschlossene Räume meiden. Deswegen sind wir die letzten zwei Monate zu Hause geblieben. 

Der Tourismusbeauftragte Thomas Bareiß spricht so verständlich wie Brad Pitt in `Schweine und Diamanten`. 

Was so alles nicht geht im Urlaub. Keine Sauna. Keine Disco. Kein Büffet. ICH-LIEBE-ES!!!

Zentrales Thema der Sendung: die Rechte der Verbraucher auf die Stornierung von Buchungen. In Indien verdursten Tagelöhner auf dem langen Marsch in ihre Heimatorte. Das kann man bestimmt stornieren. 

Es wird nicht lange auf sich warten lassen: Die Erholung der Natur wird von Leugnern des Klimawandels als Beleg dafür gewertet dass alles nicht so schlimm ist. 

Die Deutsch-Französische Initiative für einen Recovery-Fund: das sind Eurobonds. Schon beginnt das Gemöpper.

Biergärten in Bayern: Mass mit Maske. Fade. Aber die Sucht treibt es rein. 

Lesbos: dafür, dass man die Bewohner der Insel mit der Bewältigung der Aufgaben alleine lässt, die hoffnungslos überfüllte Auffanglager stellen, ist das Maß an Rassismus erstaunlich niedrig. Das sollte für den Rest von Europa beschämend sein. Ist es wohl auch - aber egal....Moria ist abschreckend, desto schlimmer desto besser. Elend und Kalkül. 

  

61. 17. Mai 2020

`Ich hatte noch nie ein Date, bei dem nicht alles schief lief.` `Ich hab noch nie einen Mann kennengelernt, der nicht merkwürdig war.` Mitten in diesem geträumten Filmdialog reißt mich der Weckton aus dem Schlaf...selbst den habe ich noch geträumt. Es ist Sonntag.  

An Sonntagen kann man sich gepflegt über Nebensächlichkeiten aufregen. Zum Beispiel darüber, dass es keine Website mehr gibt, die nicht zum Akzeptieren von Cookies auffordert oder über selektive Online-Redaktionen, die darüber entscheiden welche Artikel so wertvoll sind, dass man dafür ein Abonnement abschließen muss (...statt etwa nur für den einzelnen Artikel zu bezahlen). 

Algorithmengesteuert landet das Gewohnheitstier in mir, das Rituale und Zwangsstörungen steuert bei Spiegel Online. In einem Interview von Benjamin Bidder warnt Ökonom Gabriel Felbermayr: "Wir müssen unsere Prognosen revidieren. Wir sind zu tief gefallen." ("Das wird ein Zangengriff auf Deutschlands Wohlstand", SPON, 17.05.2020). Der gravierendste Faktor, der gegen eine absehbare wirtschaftliche Erholung spricht seien Zukunftsängste und Vertrauensverlust: "Das Vertrauen hat einen Schock erlitten. Zukunftsängste sind entstanden, die sehr viel nachhaltiger sind, als die Bedrohung durch den Virus selbst." Die Star-Apokalyptiker waren gestern noch Virologen und Epidemologen - deren Kult hat sich verschlissen, ihre Unkenrufe werden vom Öffnungsgetöse übertönt. Die Helden von eben verschwinden von der Bildfläche, verdrängt von neuen Hiobsbotschaftern.

Es liest sich plausibel und trifft wohl auch zu: "Bürger schränken ihre Ausgaben ein, aus Sorge um den Arbeitsplatz." Das jedoch als einzigen Grund für Konsumzurückhaltung anzusehen weist auf ein Menschenbild hin, das Angst als einzige Ursache von Verhaltensänderungen ansieht und Konsumieren als des Homo Oeconomicus primären Quell von Freude. Macchiavelli meets Happy Betty (unbedingter Filmtipp: "Mein Bruder VIP der Supermann." Bruno Bozzetto, 1968). Zurückhaltung des Konsums, gar Veränderung des Konsumverhaltens lässt sich jedoch nicht mit Angst allein erklären - Umfragen zeigen, wie Moderatoren von Nachrichtensendungen erstaunt berichten, dass die überwiegende Mehrheit der Befragten weder den Verlust ihres Arbeitsplatzes, noch Lohneinbuße fürchten. Verschiedentlich wurde darauf hingewiesen - und auch dazu ermutigt - dass der lockdown die Wahrnehmung unserer Umgebung und und die Wahrnehmung von uns selbst verändert. Die Entschleunigung wird als Erleichterung und Entspannung empfunden. Nicht alle Eltern betrachten es lediglich als Belastung, sondern auch als Bereicherung mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen. Die autofreie Stille an Sonntagen ist überwältigend. Menschen entdecken die Natur neu, sehen aber dadurch auch die Schneisen, die Symptome des Klimawandels in die Wälder schlagen, Lichtungen, die wie Kriegsschauplätze aussehen. Die Luft lässt sich besser atmen, Meeren, befreit vom Unrat des Massentourismus, kann man auf den Grund sehen. Couchpotatoes entdecken, dass sie einen Körper haben, dem Bewegung gut tut. Statt das Rauschen von Fliegern hört man die Signallaute von Gänsen, deren Züge neue Flugrouten entdecken - das V an der Steilwand des Himmels drängt den V-Verlauf der Rezession in den Hintergrund. Wir entdecken, was uns in der alten Realität belastete und was uns eben nicht fehlt, sondern im Gegenteil überflüssig ist oder uns sogar schadet. Weniger und anderer Konsum folgen nicht einseitig aus Zukunftsängsten, sondern aus (Selbst)erkenntnis und der Wiederentdeckung elementarer Bedürfnisse. Die von Ökonomen befürchtete "Slowballisation" ist eben nicht nur Symptom von Angststarre, sondern (mindestens auch) der Neuentdeckung der Langsamkeit.  Nicht zuletzt mag auch ein gesteigertes Umweltkatastrophenbewußtsein dem erhofften Effekt der Abwrackprämie entgegenwirken - Zukunftsängste ja, aber nicht in Bezug auf den Arbeitsplatz, sondern auf die Klimakatastrophe. 

Die abwartende Haltung ist nicht monokausal bedingt, sie hat heterogene Gründe. Zurückhaltung kann auch Misstrauen und Widerstand bedeuten. Allzu deutlich ist die Erwartungshaltung an die Bevölkerung, sie möge gefälligst wieder konsumieren. Die Stimmen aus der Regierung, die ein Rollback der Klimapolitik fordern werden lauter. Zurückhaltung beim Konsum lässt sich auch als Reaktion auf den Vertrauensverlust der Regierung in die Eigenverantwortlichkeit der Menschen deuten, der sich in Einschränkungen der Grundrechte und Auferlegung von Verhaltensregeln ausdrückt. Bislang existieren keine Belege dafür, dass Einschränkungen der individuellen Bewegungsfreiheit und Kontaktverbote - gemäß dem Motto: (zer)teile und herrsche - ausschlaggebend für die Reduzierung von Neuinfektionen sind; im Gegenteil mehren sich Indizien, dass neue Infektionsherde vor allem den Gegebenheit in Betrieben geschuldet sind. Neuestes Beispiel: die 80 COVID-19 Fälle bei einem Paketzulieferer ausgerechnet in Heinsberg.

Konsumzurückhaltung ist ein Druckmittel, das in Zeiten sozialer Distanzierung effektiv ist. Unternehmen und Politik wird bei einem längeren Bummelstreik der Konsumenten nicht umhin können, dem Rechnung zu tragen. Man wird sehen wie gut der neue Lockvogel "Sommerurlaub" angenommen wird.

Küsschen und Umarmungen bei Hertha BSE. Dennis Aogo stellt in der Sendung "Doppelpass" die Frage, warum Zweikämpfe mit Körperkontakt erlaubt seien (...und die Mauerbildung?...), aber Torjubel mit Bussi und Sich-Herzen nicht. Marcel Reif und Markus Söder beantworten diese Frage mit spürbarem Unverständnis dafür, dass sie überhaupt gestellt wird - man hatte wohl darauf gehofft, dass der Fußballer das Verhalten anderer Fußballer öffentlichkeitswirksam verurteilt. Ihre Antwort hebt auf die verhängnisvolle Signalwirkung in der Bevölkerung ab, eine sachbezogene Antwort ist das nicht. Trotzdem erklärt sie warum hier mit zweierlei Maß gemessen wird: im Wettbewerb (in der Arbeitswelt) ist physische Nähe und das damit verbundene Risiko zu tolerieren. Wehe aber wenn die Unterschreitung der verordneten physischen Distanz dem Wohlbefinden und der Lebensfreude dient. Das geht natürlich gar nicht.  

Das Fehlverhalten von Heiko Herrlich hat einen ganz einfachen Grund: der Mann geht selten selber einkaufen. 

Das Fehlen von Stadionzuschauern hatte unter rezeptionsästhetischen und praktischen Gesichtspunkten auch Vorteile. Die Leistung der Schiedsrichter in der temperierten Atmosphäre der Stadien war tadellos, erleichtert durch die bemerkenswerte Fairness der Spieler, die sich ohne Ablenkung von außen auf das Wesentliche konzentrierten: das Fußballspielen. Auch Kamerateams und Moderatoren fokussieren sich auf das Geschehen auf dem Rasen - ebenso geht es dem Publikum. Man mag die aufgeheizte Atmosphäre in den Stadien vermissen, aber die Konzentration der Akteure aufs Kerngeschäft und die reduzierte Aggressivität des Spiels wird dem einen oder anderen auch gefallen haben. Selbst die Bundesliga wird infiziert vom Virus der Entspannung und Stressreduktion. 

Im Windschatten der Fußballbundesliga positionieren sich weitere Sportarten, vor allem aber positioniert sich die Werbung. Wettbüros finden endlich wieder ihr Forum in den Werbepausen, von Medikamenten gegen Erektionsstörungen über Werbung für neue Spartensender reichen die Versuche, der neuen Lust der Menschen an Bewegung und Aktivitäten in freier Natur und der Änderungen ihrer Konsum- und sonstigen Gewohnheiten entgegen zu wirken. Es wird spannend sein, wie die Auseinandersetzung `Marketingmaschine versus Konsumzurückhaltung´ sich entwickelt.  

Und sonst in der Welt? Belgien versinkt in Pommes. Neuseeland faktisch COVID-frei. Ein 70jähriger Bürgermeister feiert in Wellington die Aufhebung des lockdowns mit einem Bungee-Sprung. In Ecuador verstreut man gegen den Verwesungsgeruch Kaffeepulver auf den Leichen. Die Corona-Strategie: Vergrößerung der Friedhöfe. Die Asynchronizität der globalen Entwicklungen ist frappierend, wirft Fragen auf: wie weit sind die Länder, die jetzt hektisch die Grenzen für Touristen öffnen, wirklich mit der Bekämpfung der Pandemie?

Er ist wieder da: Karl Lauterbach taucht aus der Versenkung bei Anne Will wieder auf. 

Ich ritze mit dem Fingernagel einen Kondensstreifen in meine Haut. Ein Flugzeug macht es mir am Abendhimmel nach. Die Haut an der Unterseite meines Oberarms bildet eine Hängematte unter meiner Muskulatur. Ich habe in den letzten sechs Wochen 3 Kilo abgenommen und einen Bauch bekommen. Heute war ich das erste Mal seit sechs Wochen wieder Klettern. Ich hatte nicht das Gefühl, dass man das so nennen konnte. 

Karl Lauterbach folgt dem Modetrend Peter Altmeiers, der Hosen aus seiner Kindheit trägt, aus denen er heraus gewachsen ist. Immerhin zeigt er keine Haut. Interessant ist die initiale Kehrtwende Karl Lauterbachs, der nun darauf abhebt, man müsse im Vorfeld einer zweiten Welle die Maßnahmen zur Eindämmung vorab gut erklären. Aha...möglicher Weise ist Vertrauen in vernünftiges Verhalten doch eine ernst zu nehmende Alternative zu auferlegten Grundrechtsbeschränkungen. Statt der erneuten Einschränkung der Grundrechte spricht er nun einer guten Kommunikation das Wort. Alter Schwede...Anne Will bleibt dabei: ohne Verbote und Untersagung werden Maßnahmen nicht akzeptiert und umgesetzt. 

Die neue Infektionsgefahr: Demonstration. 

Was Schweden betrifft, so wird als Argument gegen den Sonderweg ins Feld geführt, auch Schweden erleide bei höherer Todesrate eine heftige Rezession. Das liegt daran, dass auch die schwedische Wirtschaft global vernetzt ist - da die meisten anderen Länder auf einen totalen lockdown setzten, ist auch die schwedische Wirtschaft in vergleichbarem Ausmaß betroffen. Wie wäre wohl die wirtschaftliche Entwicklung gelaufen, wenn mehr Staaten dem schwedischen Modell gefolgt wären? Zur Debatte über den `richtigen Weg´ passt der Kommentar von UN-Generalsekretär Antonio Gueterres: "Verschiedene Länder haben verschiedene und manchmal widersprüchliche Strategien befolgt, und wir zahlen alle einen hohen Preis dafür." Außer die USA selbstverständlich, die Zahlungen an die WHO aussetzten.  

Auch diese Sendung zur Verhältnismäßigkeit der Grundrechtseinschränkungen stellt nicht die Frage: welche Maßnahmen hatten welche Effekte? Und welcher Beleg existiert dafür, dass der Rückgang der Infektionsrate dem Umstand des hoheitlichen Zwangs zu Verhaltensänderungen zu verdanken ist?  

 

60. 16. Mai 2020

"Ich träume von Spechten, die Löcher in meinen Schädel hacken...Jemand klopft am Holzverschlag vor meiner Terrasse. Ich torkele schlaftrunken durch die Wohnung und öffne die Tür. Vor mir gegen das Grau eines bewölkten Herbsthimmels in Frühling ein gleißend weißes Gespenst. Es entpuppt sich als mein Nachbar Francesco, der im Outbreak-Outfit vor mir steht. `Ciao Francesco. Was ist los. Ist die Pest zurück gekehrt?`´Ich hoffe nicht` antwortet er `ich habe einen Kakerlakenbefall, den ich nur mit Chemie in den Griff bekomme.``Ah, verdammt...wie kann ich helfen?` `Hab vergessen Mineralwasser zu kaufen. Kannst Du mir mit ein paar Flaschen aushelfen?``Klar. Sicher.` Ich schlurfe zum Kühlschrank, drücke ihm zwei Flaschen in die behandschuhten Hände. Er bedankt sich und lädt mich für heute Abend zum Essen ein. Er stapft in voller Montur die Treppe herab. Ein scharfer Geruch liegt in der Luft, eine Mischung aus Ammoniak und Chlor...mein Puls rast obwohl das Meer spiegelglatt da liegt wie eine Wüste aus geschmolzenem Glas."

(...)

In der frisch entfalteten Zeitung lese ich: "Gehe einmal dorthin, wo Du noch niemals warst." (Dalai Lama). Ich muss dringend mal wieder zum Zahnarzt.

Georg Howahl redet in der WAZ die Corona-Krise schön. Ein Nutzen: "Mehr Bewusstsein für Umwelt und Natur." Er schreibt: "...und die Natur selbst erholt sich: der Specht, der auf einmal im Hinterhof wieder klopft". Das offenbart das Gegenteil von Bewusstsein für die Natur. Spechte nisten und schlafen in Totholz. Das Stakkato in den Wäldern kündet von deren Sterben. Die Corona-Krise sei eine Katastrophe in Zeitlupe heißt es. Im Vergleich zum Klimawandel ist diese Krise eine im Zeitraffer.

Es gibt kein Menschenrecht auf Beifall ist ein Artikel von Marc Oliver Hänig in der WAZ überschrieben. Verschwörungstheorien die Xte. Das Zitat stammt aus einem Buch von Pörksen/Schulz von Thun (...bei dem Namen denke ich an Eisbergsalat und Polschmelze...). Der Tenor: es geht nicht nur um die Gesundheit des Volkskörpers, sondern auch um die Gesundheit des Weltgeistes: Die Immunität des geistigen Immunsystems gegen hartgesottene Ideologen sei einfach noch nicht ausreichend entwickelt. Grund der Anfälligkeit sei dass man sich im Internet zu nahe komme: "Vernetzung verstört. Wir leben in unseren Blasen, sind aber permanent mit den Blasen der Anderen konfrontiert." Wie unangenehm. Man stelle sich vor diese Blasen sind entzündet. Schlimmstenfalls auch die in der man lebt. Die Therapie sei Kontemplation. Abstandsgebot, Kontaktsperren, die Angst vor physischer Nähe - all das hat unsere Kommunikationsstrukturen drastisch verändert. Man kann es am Schweigen in den öffentlichen Verkehrsmitteln und der Lautlosigkeit in Supermärkten gut erkennen. Im selben Mass, wie der Dialog sich von der Begegnung entkoppelt, wird das Internet zur Wirklichkeit und Begegnungsstätte der Menschen: "Die Nachrichten in der Zeitung passen nicht zu meinen Erkenntnissen im Internet." Man muss sich nicht darüber wundern, dass Influencer, Bots, Likes und Fakenews das Weltbild von Menschen prägen, wenn deren gesamter sozialer Austausch sich in die biologisch antiseptische, aber informell verseuchte digitale Welt verlagert - zum Nutzen der Wegzölle erhebenden und Daten abgrabenden Internetkonzerne. Entzieht man sich dem durch die Erweiterung von Abstandsregeln und Kontaktbeschränkungen in die virtuelle Welt hinbein, treibt einen dies noch weiter in die Isolation, als es durch Diskreditierung sozialer Nähe ohnehin schon geschieht. Es bliebe einem in Abwesenheit jeder Form von Austausch nur noch den Botschaften aus Regierungserklärungen, Talkshows und Nachrichten zu lauschen. Der eigenen Stimme Geltung zu verschaffen, wenn der physikalische, öffentliche Raum verbotene oder zumindest durchregelte Zone ist und der virtuelle Raum das Reich der Verschwörungstheoretiker und Fakenews ist, scheint dann kaum noch möglich - man fühlt sich als bloßer Empfänger, Sender sind Entscheider und Experten. Bloßer Empfänger zu sein bedeutet Nacktheit und Ohnmacht. Folgerichtig verschafft man sich Geltung und Gehör, indem man sich Spinnern zuwendet: besser, Idioten sprechen mit einem als niemand.      

Kein Zweifel - Corona ist zum Kotzen, weil man Abstriche machen muss: "Ohne Würgereiz gibt´s keinen vernünftigen Abstrich." 

Die Widersprüchlichkeit, die im Gewirr zu vieler Verhaltensregeln gedeiht illustriert trefflich folgende Beobachtung vom Hotspot Arbeitswelt: "Ein Mann kommt ins Bild und zieht die Tür auf, mal mit dem Unterarm, mal mit dem Ellenbogen. Praktisch: Die Grifftechnik scheint leicht zu merken - es sind dieselben Stellen, in die wir jetzt alle hineinniesen." Die Unwucht zwischen politisch motivierten Lockerungen und Massregelungen des individuellen Verhaltens wiederum akzentuiert ein Leserbrief von Christin Haggert in der WAZ von heute: "Da werden aktuell Bußgelder bis zu 5000 € angedroht oder verhängt, wenn Menschen sich in der Öffentlichkeit einfach nur zu nahe kommen, und der Verkehrsminister möchte gleichzeitig die Bußgelder für Verkehrsdelikte wieder reduzieren, weil sie ihm unverhältnismäßig erscheinen. Wo besteht wohl die größere Gefahr für Leib und Leben?" Dagegen möchte man am liebsten auf die Straße gehen - müsste man nicht sich nicht vor entfesselten Rasern fürchten.   

Schau an. Kanzleramtschef Braun erteilt der Impfpflicht eine Absage. Die Tagesschau lässt Demonstranten zu Wort kommen, die sich von Verschwörungstheorien, von Linksextremen und Rechtsextremen abgrenzen. Bei allem Verständnis für die Corona-Maßnahmen richtet sich die Kritik gegen den Zwang da, wo man auf die Eigenverantwortung der Menschen hätte zählen sollen. Sie richtet sich auch gegen dien psychologischen Effekt der auch medizinisch höchst umstrittenen Maskenpflicht. Passend zur Öffnung von Grenzen in Europa lassen Politik und Medien Dampf aus dem Kessel. Still freut sich die Automobilindustrie, weil öffentliche Verkehrsmittel gemieden werden. Die Bundesliga spielt wieder. Es fällt auf, dass die Verteidiger Abstandsregeln stark verinnerlicht haben. Ein paar Rudelbildungen bei Fouls, die Atmosphäre von Trainingsspielen.Trostlos wie ein ungekühltes, alkoholfreies Bier ohne Schaumkrone. 

Aktuelles Sportstudio ohne Karl Lauterbach. Unwirklich.

Keine Szene mit Mauer. Das Rätsel bleibt ungelöst.

Ich gehe schlafen und träume von vollen Rängen und besetzten Mittelsitzen in Flugzeugen. 

 

59. 15. Mai 2020

Für Hautcreme gegen Quarantänebestimmungen verstoßen: Heiko Herrlich hat sich geheiratet und heißt jetzt Heiko Selbst-Herrlich.

Die Debatte zur Humanitären Lage in der Corona-Epidemie eröffnet Heiko Maas. Optisch erinnert er mich an die traurige Maas, äh, Maus aus "Pinky und der Brain", die immer knapp am Ergreifen der Weltherrschaft scheitert. Auf der Hinterbank wartet Gregor Gysi auf seinen Einsatz.

Der Teil der fürs Ganze steht: Der venezuelanische "Präsident", der Netflix guckt während über 70% der Bevölkerung von der Strom(und Wasser)versorgung abgeschnitten sind. Aber auch: "Während Ende Februar bei einer Mahnwache der Opfer des Mordanschlags von Hanau gedacht wurde, feierten Mitarbeiter des Bundestags ganz in der Nähe eine Karnevalsparty." (Boris Herrmann, "Polonaise statt Schweigeminute", Süddeutsche.de, 15. Mai 2020)

Was bisher vom Tage übrig bleibt: das kaum erträgliche Bestreben der AfD-Abgeordneten sachliche Kritiken am Vorgehen der "Altparteien" umzumünzen in die Deklamation, eine völkisch-nationalistische Ideologie sei die angemessene Antwort auf einen global grassierenden Virus. Das Kichern im Hals, wenn auf der parlamentarischen Bühne Abgeordnete der verschiedenen Parteien sich gegenseitig Realitätsferne vorwerfen. Der Eindruck, Aliens in einem Raumschiff dabei zuzusehen und zuzuhören wie sie rhetorische Bundeskabinettstückchen aufführen. Ein kleiner Zeitungsartikel in der WAZ über den ungeschützten und distanzlosen Auftritt von Sebastian Kurz im Kleinwalsertal. Ein Karussell auf einer Kirmes der Eitelkeit, dessen Wirklichkeit unsere neue Normalität formt ohne ihr anzugehören. Wenn Politik mit einer Betrachtung der Wirklichkeit beginnt, heißt das nicht, dass die Betrachter ihr nahe kommen (wollen). Impressionen von Ohnmacht, die das Schauspiel der Handlungsfähigkeit hinterlässt. Rasen bleibt ein Kavaliersdelikt.

Über dem Ort meiner Sehnsucht kreisen Drohnen, laut wie ein Hornissenschwarm. Überwachung der Abstandsregeln und Kontaktsperren. Ort meiner Sehnsucht. Das war einmal oder ist noch, während ich mich beschleunigt entferne. 

Fröhliche Mainzelmännchen verkünden Verhaltensregeln. So pervers, wie fröhliche Schweine in der Reklame für Metzgereien.

Egal ob Satire oder Kulturmagazin: bei der Beurteilung der Demonstrationskultur wird nicht differenziert zwischen Verschwörungstheorien und Protest gegen Zwangsmaßnahmen. Man kann durchaus ohne Bill Gates zu dämonisieren oder den Sinn von Verhaltensweisen zu bestreiten, die Infektionen vorbeugen, den staatlich verordneten Zwang kritisieren. Nur weil man das schwedische Modell des gesellschaftlichen Umgangs mit der Pandemie favorisiert ist man kein Anhänger von Attila Hildmann und Xavier Naidoo. Sorgen darüber, wohin sich das soziale, politische und kulturelle Leben mit und nach Corona entwickelt sind ebenso ernst zu nehmen, wie die Sorge über die ökonomische Entwicklung, zumal ersteres und letzteres nicht voneinander zu trennen ist. Ein Beispiel dafür ist die Retraditionalisierung der Frauenrolle, die auch aus ökonomischen Gesichtspunkten verhängnisvoll ist, da Kompetenzen für Innovation und Fortschritt verloren gehen.

Darüber hinaus bleibt eine Auseinandersetzung mit dem problematischen Begriff der Neuen Normalität weitgehend aus. Weder ist definiert, worin sie inhaltlich besteht, noch ob sie befristet oder unbefristet gültig bleibt. Bestehen Kontaktsperren und Abstandsgebote im sozialen Bereich auf Dauer, während im beruflichen Bereich deren Nichteinhaltung als in Kauf zu nehmendes Berufsrisiko toleriert beziehungsweise gefordert wird? Die Befürchtung, dass soziale Distanz und Kontaktbeschränkungen von Dauer sind ist jedenfalls nicht zu verwechseln mit der Leugnung der Gefährlichkeit von COVID-19 (und anderen Krankheiten). Die Angst vor anhaltenden Reglementierungen unabhängig von der konkreten Gefahrenlage ist etwas anderes als die Furcht vor Microchips in Impfstoffen. 

Fasziniert von der Gangart der Giraffen schließe ich die Augen. 

 

58. 14. Mai 2020

"Stop posting Your workouts!" Dieses Posting gegen den Ertüchtigungs-Narzissmus im Netz spricht mir aus der Seele.  

An der Pandemie reift der Charakter des Mannes. Sharon Stone lobt: "Einige fangen sogar an, wie richtige Menschen zu sprechen." Wenn das so weitergeht, kommen sie noch von den Bäumen und verlernen das Grunzen. 

Der Bundestagspräsident fordert eingangs der Aussprache zur Neufassung des Infektionsschutzgesetzes die Abgeordneten zur Wahrung der Abstandsregeln auf. Das hindert seine parlamentarischen Schäfchen nicht am Kuscheln auf den Fluren. Vorbildlich in fataler Weise. 

Ich gestehe: gestern habe ich aus Recherchegründen eine Gaststätte aufgesucht. Das Ergebnis war nicht ernüchternd (mir begegneten andere, die aus Recherchegründen unterwegs waren). Die Aufnahme von Daten auf Papier ließ jede Menge Spielraum für den persönlichen Datenschutz durch unzutreffende Angaben. Mit den drei anderen Personen am Tisch war ich weder verwandt, noch handelte es sich um vier Personen aus zwei Haushalten. Die Einhaltung der Regeln für die Gastronomie lässt sich so schwer kontrollieren, dass es einer verdeckten Aufforderung zu deren Umgehung gleichkommt - auch so kann man Wirtschaftsförderung betreiben. Schutzmaßnahmen ja, aber nicht gegen Infektion, sondern gegen Insolvenz. 

Die Zukunft: Infektionsschutz nicht durch Impfungen, Herdenimmunität und physischen Abstand, sondern durch Kraftfelder. Jaja, es war nicht nur ein Bier.

Der Sprecher der FDP für Innenpolitik, Konstantin Kuhle, hält eine Rede zum Thema "Europäische Grundwerteinitiative". Der Hinweis darauf, dass die Europäische Union auch eine Werteunion mit einer Rechtsprechung sei, die auf der Europäischen Menschenrechtscharta beruht ist zwar erforderlich, aber wie viel Wert sind diese Werte, wenn man Moria zulässt? Das ist nicht einfach verkappten Diktatoren wie Orban und ihrer Flüchtlingspolitik zu verdanken - jeder Staat in der EU könnte und müsste die Initiative von sich aus ergreifen, diese Zustände zu beenden ohne auf den Sanktnimmerleinstag zu warten an dem es zu einer von allen Mitgliederstaaten getragenen gemeinsamen Migrationspolitik kommt.    

Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen: der Neue Leitsatz der DFL. Wenn überhaupt eine Mauer beim direkten Freistoß, dann eine löcherige, in der die Verteidiger 1,50m Abstand wahren müssen. Der Freistoßsschütze darf für die Lücken büßen lassen - dies führt zu torreichen Begegnungen und macht die Geisterspiele noch! attraktiver.

Der Bundestag debattiert über die Rechte von Kindern. Die AfD beklagt die mangelnde Gebärfreudigkeit deutscher Frauen und die Häufigkeit des Vornamen Mohamed. Die Kinder der Rechten fabulieren über die Rechte von Kindern.

Die Steuerschätzung geht von Mindereinnahmen von etwa 98 Milliarden Euro für 2020 aus (Bund und Kommunen). Das klingt dramatisch, wenn auch weniger dramatisch als angenommen. Die schlechte Nachricht verpackt Olaf Scholz in einem Nebensatz: "Wir rechnen mit erheblichen Mindereinnahmen in diesem und den nächsten Jahren." Das klingt anders, als die vollmundigen Ankündigungen Peter Altmeiers über Wachstumssprünge in 2021.

Das einzige Corona-sichere Restaurant befindet sich in Ransäter in Schweden und heißt "Bord för en." "Auf einer Wiese steht ein einsamer Stuhl, an dem pro Tag ein einziger Gast speisen darf.(...) Essen wird nicht etwa von einem Kellner gebracht, es schwebt über eine Leine in einem Korb aus dem Küchenfenster an den Tisch." Unbedingt drei Jahre im Voraus reservieren.

Die mit Spahnung erwartete Debatte zum Gesetzentwurf für Pandemieschutz und -hilfe endet mit der Zustimmung des Bundestags. Dr. Kirsten Kappert-Gonther nennt den Gesetzentwurf das Resultat der "Kochversuche von Kindern, die in die Suppe Safran und Nacktschnecken kippen". Was macht man wenn man so ein Gebräu vorgesetzt bekommt? Sagt man Nein danke? Ne, man enthält sich vornehm. 

Die Sendung "Panorama" ist das investigativ-journalistische Feigenblatt im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen. Zwar stellen die Beiträge nicht explizit die Systemfrage, die Reportagen über besonders skrupellose Strategen der privatwirtschaftlichen Ausbeutung öffentlicher Mittel stehen jedoch erkennbar als Teil fürs Ganze. Johannes Edelhoff und Armin Ghassim widmen sich in ihrem Beitrag "Corona: Hilfe für Milliardäre?" dem neuen Großaktionär der Lufthansa, Heinz Herrmann Thiele. Der Gründer und Chef von Knorr-Bremse, Weltmarktführer in Bremssystemen für Schienen- und Nutzfahrzeuge, kauft sich preiswert bei der Lufthansa ein, wohl wissend, dass der Aktienwert der Lufthansa absehbar durch Staatshilfen in Milliardenhöhe auch dann steigen wird, wenn die Flieger noch nicht steigen. Profitiert er schon auf dieser Ebene von Geldern, die arbeitende Menschen erwirtschaftet haben, so profitiert sein Unternehmen noch zusätzlich von der Regelung zur Kurzarbeit. Wie in der Finanzkrise werden die Rücklagen der Bundesagentur zur Finanzierung der Kurzarbeit dauerhaft nicht ausreichen - auch dann darf der Steuerzahler einspringen. Einige rassistische Äußerungen runden das Bild eines arroganten und selbstherrlichen Magnaten ab, über den ein Gewerkschaftler sagt: Er möchte gern, dass man ihm ein Denkmal setzt. Ein Mahnmal wäre passender.

Boris Palmer ist zu Gast bei Maybrit Illner. Einerseits stellt sich die Frage, warum man dem Mann immer noch ein öffentliches Forum bietet, andererseits beantwortet sich die Frage durch den Zusammenhang von Provokation, Skandal und Einschaltquote. Die voyeuristische Lust am Skandalträchtigen gewinnt die Oberhand. Ich rechtfertige es vor mir, indem ich mir vormache, mich für die Äußerungen von Tobias Hans, Nikolaus Blome, Christiane Woopen und "Tod mit Pferdeschwanz" Michael Meyer-Hermann zu interessieren. 

Um es vorwegzunehmen: Boris Palmer verteidigt seinen utilitaristischen Ansatz, der den Wert älteren und jüngeren Lebens gegeneinander aufwiegt ausgerechnet mit dem Vorgehen der Pharmaindustrie bei Investitionen in die Entwicklung von Medikamenten. Der Entwicklungsaufwand wird in Relation gesetzt zu der voraussichtlichen Lebensverlängerung der Patienten - es lohnt sich nicht, in Medikamente zu investieren, die nicht lebensverlängernd genug sind (...um noch länger Medikamente zu nehmen). Boris Palmer will diesen privatwirtschaftlichen Blick auf Wert und Unwert menschlichen Lebens zur Matrix politischen Handelns erklären. Statt ihm auf der Basis des Grundgesetzes zu widersprechen lässt sich Meyer-Herrmann dazu hinreißen, sich auf Palmers Kalkül einzulassen. Zwar ist es sachlich richtig auf Basis von Studien darauf hinzuweisen, dass die voraussichtliche Lebenserwartung der SeniorInnen ohne Corona-Erkrankung nicht ein halbes, sondern 9 Jahre beträgt, aber den Vorwurf einer falschen Berechnungsgrundlage der Lebenserwartung in den Mittelpunkt zu stellen bestätigt nur das Prinzip, Lebenserwartung und Lebenswert gegeneinander aufzurechnen. Die Richtigstellung erfolgt durch Frau Woopen und Herrn Hans: jedes Leben, unabhängig von Alter und Lebenserwartung, ist gleich viel wert. Alle Anwesenden jedoch - Gastgeberin und Gäste - beschäftigen sich nicht mit der Frage, wie sich dieser Grundsatz mit dem Bestehen sozialer Gegensätze in Einklang bringen lassen, die sich durch die Corona-Krise noch verschärfen. Schon die Privatisierung des Gesundheitswesens, die Unterschiede in der Qualität der Versorgung entlang der Zahlungsfähigkeit der Patienten zeigt deutlich: in Deutschland ist nicht jedes Leben gleichviel wert, und Boris Palmers utilitaristischer Politikansatz ist Ausdruck gängiger gesellschaftlicher Praxis. Das es anderswo schlimmer ist bedeutet eben nicht, dass Deutschland Anlass dazu hat sich dafür zu loben, nicht gut, sondern nur weniger schlimm zu sein.

Es ist ja wahr: die Flache-Erde-Bewegung ist lustig, zumal wenn sie sich dafür feiert, dass sie mehr als eine Million Anhänger rund um den Globus hat. Das Unbehagen an der Unkultur der Verschwörungstheorien im Umfeld der Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen bezieht sich jedoch nicht auf harmlose Bewohner der Scheibenwelt, sondern auf das reaktionäre Potenzial, das mit steigendem Verdruss in der Bevölkerung zunimmt. Wie geht man damit um? Wie dämmt man diese Überreaktion des gesellschaftlichen Immunsystems ein? Da schwankt die Runde zwischen Ratlosigkeit, beleidigter Haltung und unerschüttertem Vertrauen in die segnende Macht des Wachstums (wie beim gewitzten Nikolaus Blome). Frau Woopen erteilt den Rat besser zu kommunizieren, verrät aber nicht wie. Maybrit Illner wundert sich gar über den Vorwurf mangelnder Kommunikation, man kommuniziere doch ununterbrochen. Aber Verkünden ist nicht kommunizieren, das gemeinsame rhetorische Schaulaufen in Talk-Shows ist nicht Kommunizieren, beides zieht eine hermetische Trennwand zu denen, denen man vorschreibt und über die man redet, ohne einen Dialog mit ihnen zu führen. Auch darauf zu verweisen, bestimmte politische Kräfte missbrauchen das Demonstrationszweck zu ihren Zwecken ist zwar zutreffend, richtig ist aber auch, dass der Vorwurf des missbräuchlichen und unverhältnismäßigen Durchgriffs der Regierung auf individuelles Verhalten nicht einfach dadurch entkräftet werden kann, dass man betont es sei weder missbräuchlich noch unverhältnismäßig - denn genau das ist strittig und auch juristisch umstritten.

Wie wenig Gespür in der Gesprächsrunde für die Auswirkungen von Zwang besteht zeigt sich an Frau Illners Formulierung von den "Einschränkungen, die purzeln". Die Einschränkungen für Unternehmen und Betriebe werden zwar gelockert, doch die wesentlichen Einschränkungen für die Bevölkerung bleiben ohne Beweis deren Wirksamkeit im einzelnen erhalten, seien es Kontaktbeschränkungen, Abstandspflicht oder Maskenpflicht. Dafür wird gegen den Willen einer Mehrheit der Bevölkerung der Spielbetrieb der Bundesliga wieder aufgenommen, Abwrackprämien für die Automobilindustrie stehen im Raum und während unablässig davon die Rede ist Wirtschaft wieder anzukurbeln ist kaum davon die Rede, die Zwänge im sozialen Bereich zu reduzieren, die zunehmend als Gängelei vernunftbegabter und mündiger Menschen begriffen werden. Schlafen-konsumieren-Schnauze halten war auf einem Plakat zu lesen. Der Zwang und das mangelnde Vertrauen in die Bereitschaft der Menschen, andere und sich selbst zu schützen werden es der AfD zunehmend leichter machen, sich als Bürgerrechtspartei zu produzieren, um diese Rechte sobald es geht abzuschaffen (Wie man der AfD den Stecker ziehen kann zeigte der jüngste Abgeordnete im Bundestag, Philipp Amroth. Auf eine der notorischen Jammerreden aus der AfD, es sei undemokratisch, wie mit der AfD als Oppositionspartei im Parlament umgegangen wird, entgegnet dieser: die historische Erfahrung habe gelehrt, das nicht immer Demokratie zu Rechtsstaatlichkeit führe).

Emanzipierter Lanz: heute keine Show zum Thema Corona. Da bekomme ich fast Lust, mir die Show anzusehen. Fast.     

 

57. 13. Mai 2020

Thomas Mäurer kannte ich bislang nicht. Sein heutiger Leserbrief an die WAZ hat mir so gut gefallen, dass sein Vor- und Zunamen die ersten beiden Wörter sind die ich heute aufschreibe, noch vor "Butter und Kardamon nicht vergessen" (ich habe Besuch und versprochen zu kochen). Sein Brief rückt ein schiefes Bild gerade - aus seiner Sicht sind `nicht Demonstranten, die ein Grundrecht ausüben, eine Gefahr für die Demokratie, sondern Parlamentarier. die per Geschäftsordnung beschlossen, dass der Bundestag mit nur einem Viertel der Mitglieder beschlussfähig ist.` Die Dramatisierung von Risiken korrespondiert mit der Bagatellisierung von Risiken je nach Interessenlage. Ein weiteres Beispiel illustriert folgender Leserbrief: "Da verurteil eine FDP-Politikerin `Anti-Corona-Demonstranten, die ohne Maske protestieren` und ein FDP-Politiker fordert Erzieherinnen auf, in Kitas auf eine Maske zu verzichten. Wen wundert es eigentlich noch, dass Politiker zunehmend als unglaubwürdig betrachtet werden?" (Wilhelm Kretzschmar, WAZ, 13. Mai 2020). Die Bigotterie von Dramatisierung und Verharmlosung ist strukturbildend auf allen Ebene politischen Handelns und Unterlassens. "Willkommen in der Hölle" werden Neuankömmlinge im Flüchtlingslager Moria begrüßt ("Quarantäne auf Lesbos", Phönix). In einem für 3000 Menschen ausgelegten Lager harren 20000 Insassen aus. Aus Platzmangel übernachten sie im sogenannten "Dschungel", dem von Fäkalien und Müll bedeckten Bereich außerhalb der überfüllten Unterkünfte. Dort kauern sie sich zusammen auf provisorischen Lagern aus Europaletten und Pappe, abgeschnitten von der Versorgung mit Wasser und Elektrizität. Das Einhalten von Hygieneregeln ist schlicht unmöglich. Mitglieder von Hilfsorganisationen - oft selber Ziel von Repressalien von Behörden, da man die Verbreitung von Bildern und Berichten aus Moria fürchtet - beklagen Zustände, die erbärmlicher sind als in den Ghettos von Kalkutta und zugleich den erbärmlichen Umgang der EU mit dem Leiden von Menschen innerhalb ihrer Grenzen. Die Duldung der Zustände in Moria werden begründet damit, keine Anreize für weitere Fluchtbewegungen schaffen zu wollen, Länder wie Deutschland beharren auf eine gemeinsame europäische Lösung von der sie wissen, dass es sie nicht geben wird. Daseinsbedingungen auf dem Boden der EU, die einen unweigerlich an Konzentrationslager denken lassen, werden toleriert und politisch als Abschreckungspotenzial verwertet. Gipfel des Zynismus ist, dass die Zustände innerhalb des Lagers als Argument herhalten, die Insassen weiter zu isolieren - zum Schutz der Insassen vor Infektion von außen, exakt das selbe Argumente, mit dem SeniorInnen in Pflegeheimen isoliert werden. Dies ist ein drastisches Beispiel für das Prinzip von Dramatisierung und Herunterspielen von Risiken, das den Wert von menschlichen Leben gegen den Komfort der Vielen relativiert. In Anlehnung an Boris Palmer: warum sich um 20000 Chancenlose kümmern, deren Rettung ohnehin nur zu sozialen Konflikten führen würde?  

Vor diesem Hintergrund sollte man mit Kritik an Ländern zurückhaltend sein, die eine rasche Öffnung der Ökonomie betreiben ohne die Epidemie effektiv einzudämmen. Dass Bolsonaro das größte politische Übel ist, das Lateinamerika seit langem hervorgebracht hat, ist schwer zu bestreiten. Dennoch: Brasilien und vielen andere Volkswirtschaften fehlen die Mittel (allerdings auch der politische Wille) soziale Folgen eines lockouts abzumildern. Wer dort nicht arbeitet, verdient kein Geld - anders als in Deutschland. Für Tagelöhner ohne jede soziale Absicherung ist primär der lockdown lebensbedrohlich - COVID-19 steht bei den Gefahren in zweiter Reihe hinter Hunger und Durst.       

Bei der Phönix-Runde zum Thema: "Die Ungeduld wächst - wie umgehen mit den Lockerungen?" ist Olaf Sundermeyer von "rbb24 Recherche" zugeschaltet. Er beklagt zu Recht, dass die Politiker den direkten Dialog mit Demonstranten vor Ort der AfD überlässt - wie schon zu Zeiten von Pegida. Statt sich in Talk-Shows über die von Verschwörungstheoretikern und Rechtsradikalen manipulierten Demonstranten auszulassen sollten Parlamentarier den Mut haben, sich der Auseinandersetzung mit den Ängsten und Argumenten der Menschen stellen - von Pflegepersonal verlangt man ja auch die Inkaufnahme von Infektionsrisiken. Dazu fällt mir als Paradebeispiel Helmut Kohl ein, der sich einen Eierwerfer persönlich vorknöpfte, über Schutzbarrieren hinweg und ohne Rücksicht auf Verluste. Der Mann hatte Eier. 

Wogegen würde ich demonstrieren? Gegen die verdeckte Subvention der Textilindustrie durch Maskenpflicht. 

Fanvereinigungen sind gegen Geisterspiele ohne Fans. Was wären Geisterspiele mit Fans? Spiele ohne Spieler? 

Horst Seehofer packt einen prägnanten Neologismus aus: Verböserung im Gegensatz zu Verbesserung. Das allerdings ist nicht präzise. Der Gegensatz zu Verböserung ist die Vergütung.  

Es gibt eine Bevölkerungsgruppe, in der keine Corona-Opfer zu beklagen sind: die der 113-Jährigen. Von wegen SeniorInnen als Risikogruppe.

Die Befragung der Bundeskanzlerin erfolgt in einer seltsam entspannten, beinahe erschöpften Atmosphäre. Der Mangel an Temperament ist in Anbetracht der Brisanz der Themen auf Anhieb erstaunlich. Der geradezu höfliche Umgang mit der Kanzlerin signalisiert wohl weniger Einverständnis mit ihrer Politik, sondern reagiert vielmehr auf die Machtverschiebung hin zu den Ländern. Angela Merkel wird nicht angegangen, weil weder perspektivisch - aufgrund der begrenzten Dauer ihrer weiteren Kanzlerschaft - noch aktuell das Heft des Handelns bei der Kanzlerin liegt. Ein Hauch von Abschiedstournee liegt über dem Bundestag. Da ist selbst für Humor Platz: auf die Nachfrage eines Abgeordneten der Linken dazu, wer die Zeche der Corona-Krise klagt und ob Frau Merkel für die Schwächeren der Gesellschaft eine ähnliche Garantie wie in der Finanzkrise ("Das Geld der Sparer ist sicher") abzugeben bereit ist antwortet sie: "Ich bleibe dabei: das Geld der Sparer ist sicher." In Anbetracht von Nullzinsen ist dies eine Aussage ohne Sach- dafür mit Humorwert. Selbst der Fragesteller muss über die Weise schmunzeln, wie ihm durch die Blume mitgeteilt wird, dass eine Senkung der Sozialausgaben nicht ausgeschlossen ist.  

Deutlich engagierter verläuft die Aussprache über die unappetitlichen Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie. Starke Reden, die parteiübergreifend betonten nicht alles was billig sei, sei recht. Upton Sinclair (Der Dschungel) wurde ebenso zitiert wie die Bibel. Matthias Zimmer ging so weit vom Schweinesystem in der Fleischindustrie zu reden, bei dem nicht sicher sei, ob die wahren Schweine diejenigen sein, die geschlachtet werden und endet seine Rede mit der Ankündigung, heute einen veganen Mettigel zu verzehren. Aus allen Reden jedoch, die schnelles Handeln fordern, geht deutlich hervor dass die Missstände auch vor Corona bekannt waren - inklusive der weitgehenden Durchseuchung von Werksarbeitern mit Tuberkulose. Es bleibt abzuwarten, ob und wie das Problem angepackt wird: grundsätzlich ist es bedauerlich, dass man das Geschäftsmodell Fleischindustrie erst ernsthaft hinterfragt, wenn man bei einer weiteren Branche einen reputationsbedingten Einbruch des Konsums fürchtet (was aus meiner Sicht nicht das Problem, sondern eine Lösung wäre) und ein erneutes Hochschnellen der Infektionsrate inklusive lockdowns vermeiden will. Die Debatte ist so lebhaft, wie stellenweise heuchlerisch. Man kann angesichts der Personengruppe, die in den Schlachthöfen von den Infektionen betroffen sind nicht umhin, den Bogen zu Moria zu schlagen: auch da geht es um die Bedingungen unseres Komforts zu Lasten von Menschen, die ihr Leben unter unmenschlichen Bedingungen fristen und die wir nicht sehen wollen, denn: `Aussichtsloses Elend erzeugt kein Mitgefühl, sondern Ekel`(G.B. Shaw). Hoffentlich führt der Fokus auf diese Industrie nicht zum Ausblenden der Risiken in allen anderen Branchen und undurchsichtigen Einrichtungen ("Miss Bundestag" Jana Schimke wies unter herzhaften Buhrufen auf Studentenwohnheime und Flüchtlingsunterkünfte hin). 

Helge Schneider kündigt heute auf FAZ.net seinen Rücktritt als Künstler an. "Er werde nicht vor Autos auftreten, und nicht vor Menschen, die anderthalb Meter auseinander sitzen und Masken tragen." Damit fasst er in einem Satz einige Gründe für die insgesamt miesepetrige Stimmung in der maskierten Kontaktvermeidungs- und Autokinogesellschaft zusammen. 

Im Darknet floriert der Schwarzmarkt mit vollgesabberten Mund-Nasenschutz-Masken. COVID-19 Hasardeure suchen für Milliarden Euros virendurchtränkte Masken. Für Corona-Parties bei Geisterspiel-Derbies (BVB-SO4) blättern bereitwillige Hoffnungsträger für zukünftige Führungspositionen Millionen Gilead-Aktien auf den Tisch. 

Warum amüsiert einen der Anblick von Heiko Maas? Er hat den tragischen Gesichtsausdruck und die hohe Stirn von Brain in "Pinky and da Brain". Auf Mallorca forscht Rafael Nadal an einem Kraftfeld, das Plexiglas ersetzt und durchlässig für Cappuccino, aber nicht für COVID-19 ist. 

Markus Lanz hat sich Gäste eingeladen, die ihn verunsichern. Er sieht sich umzingelt von Kritikern des paternalistischen Krisenmanagements. Professor Schulte-Markwort ist Kinder- und Jugendpsychiater. Er betrachtet die deutsche Bevölkerung als Kind, dem man durch Formulierungen wie "wir bewegen uns auf dünnem Eis" und Begriffe wie "Durchseuchung" und "Maske" (statt Mund-Nasen-Schutz) Angst einjagt, statt ihm Mut und Zutrauen zu vermitteln. Zudem überzieht man es mit Verboten und ärgert sich dann über trotzige Reaktionen. Der Kinderpsychiater wünscht sich einen schwedischen Daddy, Markus Lanz bevorzugt nach wie vor das gesellschaftliche Erziehungsmodell Struwwelpeter. Schulte-Markwort wirft der Regierung eine altmodische Erziehung vor, stattdessen müsse man der Bevölkerung mehr Mündigkeit zutrauen - ganz so, wie er es mit seinen Patienten praktiziert. Anderenfalls schreit das deutsche Kind irgendwann "nein, meine Suppe ess ich nicht." Auch Professor Markus Butter, der sich mit Verschwörungstheorien befasst, interpretiert das Verhalten von Erwachsenen als infantil. Verschwörungstheoretiker seien Kinder, die sich am Tisch stoßen und dem Tisch die Schuld geben - in unklaren Situationen vereinfacht die Schuldzuweisung Komplexität. Verantwortlich für eine solches Verhalten sei unser Reptilienhirn: wenn ich vor der Entscheidung stehe zu kämpfen oder zu flüchten, habe ich keine Zeit für ausführliche Analysen (Ordnungspolitisch findet sich der bevormundende Führungsstil der Regierung im Verhältnis von Bund und Ländern zu den Kommunen wieder. Die Bürgermeisterin von Flensburg beklagt sich darüber, dass sie von Entscheidungen der Bundes- und Landesregierung nur über die Medien erfährt und über mangelnde Einbeziehung in Entscheidungen). Andererseits sind Verschwörungstheorien alltäglicher als man meint: das beginnt mit Klasse A und Klasse B, die sich spinnefeind sind, setzt sich fort über Rivalitäten von blau-weiß und schwarz-gelb, Kellnern und Köchen, Ossis und Wessis und mündet schlimmstenfalls im Holocaust - mag die Bewegung Demokratie 2020 auf Schwarmintelligenz setzen, die Herde schwärmt lieber als zu denken. Sollte es so etwas geben wie ein kollektives, parlamentarisches Unbewusstes, so äußert sich dies als zu Gängelei sublimierte Angst der Regierung vor der Freiheit des Volkes. Die historische Erfahrung des Nationalsozialismus ist dem Demokratieverständnis der deutschen Politik eingeschrieben und erzeugt im Krisenfall reaktionäre Reflexe, die erst Recht das Raunen von einer Diktatur verstärken. Mag alles sein: Als Zuschauer ist man gleichwohl darob erschüttert, dass selbst diejenigen, die Mündigkeit einfordern und Zwang ablehnen die Gesellschaft im Prinzip als nicht geschäftsfähig erachten - die Forderung nach einem liberaleren Führungsstil erweist sich als Werbung für eine moderne, antiautoritäre Erziehungsmethode zur Disziplinierung einer zwar überalterten, aber nicht volljährigen Gesellschaft. 

Von "Maischberger" bleibt mir nur der ernstgemeint-unfreiwillig komische Auftritt des Kabarettisten Matthias Richling im Gedächtnis, der für seine stornierten Auftritte den RKI-Chef verantwortlich macht. 

Mein letzter Gedanke vor dem Wegdämmern bezieht sich tatsächlich auf Fußball: ist der Mauerbau beim Freistoß erlaubt? 

 

56. 12. Mai 2020

Wenn man unbedingt Konflikte zwischen Kritikern der Grundrechtseinschränkungen und der Regierung schüren will, muss man nur so auftreten wie der Obmann des Innenausschusses Armin Schuster. Das Vorgehen der Regierung in der Corona-Krise sei nun mal paternalistisch, was denn sonst? Die Proteste gegen den Impfzwang verstehe er nicht, denn der Impfstoff existiere noch gar nicht und falls er mal existiert, gebe es genügend Freiwillige. Ähnlich hatte sich seinerzeit Jens Spahn zur Frage der Impfpflicht geäußert - im Klartext: man setzt auf Freiwilligkeit, genügt das nicht zieht man die Impfpflicht in Betracht. Der Ausdruck paternalistisch im Kontext mit Regierungshandeln schafft Angriffsflächen für diejenigen, die behaupten, Deutschland sei in Wirklichkeit eine Diktatur. Grade im Ausnahmezustand ist es Gift, wenn ein autoritäres Vorgehen ohne weitere Begründung als alternativlos dargestellt wird. Das hilft denen, die gegen die Regierung mobil machen, indem sie sie als Diktatur bezeichnen - um im Endeffekt eine "richtige" Diktatur errichten. Merkel muss weg steht nicht für einen Regierungswechsel, sondern einen Systemwechsel. 

Phoenix Weltreisen bringt ein halbstündiges Special über den Schwedischen Sonderweg. Spiegelbildliche Verhältnisse: hier kritisiert eine Minderheit den Zwang in den Maßnahmen, in Schweden kritisiert eine Minderheit den fehlenden Zwang. 

In den Schlachthöfen meiner Stadt ist Corona angekommen. Bei 181 Tests in einem Schlachtbetrieb wurden 25 Beschäftigte positiv getestet. Das ist jeder siebte der Getesteten. "Die Stadt sieht aktuell keinen Anlass den, um den gesamten Schlachthof vorübergehend stillzulegen." (Thomas Sprenger, Sprecher der Stadt Bochum). Das bedeutet die dort tätigen Beschäftigten weiterhin einem hohen Infektionsrisiko auszusetzen und eine Weiterverbreitung des Virus ungerührt in Kauf zu nehmen. Ein Anlass über die Verhältnismäßigkeit von Grundrechtseinschränkungen und das Ausmaß unternehmerischer Freiheit nachzudenken. Öffentliche Einrichtungen werden vorsorglich bei einem einzigen Infizierten geschlossen (was ich für richtig halte), in meiner Stadt genügen 14% Infizierte nicht für eine Schließung. Fahrlässig und empörend. Dass es im Übrigen einen Schwellenwert für zwingenden Handlungsbedarf in Landkreisen gibt, aber nicht für Betriebe ist ebenso haarsträubend, wie der Umstand, dass dies nicht thematisiert, geschweige denn gefordert wird - auch nicht bei der heutigen Pressekonferenz des RKI.   

Der betreffende Artikel in der heutigen WAZ ("Teile des Schlachthofes stehen still" von Michael Weeke) weist in einem Informationsfenster darauf hin, dass nur 2 der 25 positiv getesteten Mitarbeiter in Bochum leben. Die anderen leben in Herne, im Kreis Recklinghausen oder anderen Städten des Ruhrgebietes. Wie beruhigend. Soviel zur Eingrenzung von Infektionsgeschehen. Betriebssport Superspreading.  

Kontaktsperren im sozialen Leben bleiben erhalten, so als stelle das Freizeitverhalten sich im öffentlichen Raum verteilenden Menschen das höchste Infektionsrisiko dar. Studien, die dies belegen - Fehlanzeige. In den begrenzten Räumen der Betriebe und Büros hingegen wird es den Beschäftigten kaum möglich sein, einander aus dem Weg zu gehen. Es gehört nicht viel Fantasie dazu sich vorzustellen, dass Infektionsrisiken in großen Belegschaften in geschlossenen Räumen höher sein könnten, als durch Kontakte kleiner Gruppen, die sich im offenen Raum verteilen. Aber es fällt wohl leichter den gemeinsamen Waldspaziergang von fünf Freunden zu verbieten, als die systemrelevante mörderische Schufterei in Schlachthöfen. Wenn das Sozialverhalten der Bevölkerung reglementiert wird, dann sollte der Arbeits- und Infektionsschutz in den Betrieben kontrolliert werden. Insgesamt wäre es im Sinne von Transparenz sehr wünschenswert, wenn es valide und vergleichbare Zuordnungen der Infektionszahlen zu Infektionsumgebungen gäbe. 

Stephan Weil lobt seinen 5-Stufen-Plan als vorbildlich für das ganze Land. Läuft sich da noch ein Kanzlerkandidat warm? Ach...der ist ja gar nicht von der CDU...

Einig sind sich Herr Altmeier (CDU), Herr Söder (CSU), Herr Weil (SPD) und Herr Kretschmann (Grüne) hinsichtlich der Kaufprämie für die Automobilindustrie. Herr Kretschmann merkt auf seiner Pressekonferenz an, dass eine Mehrheit der Bevölkerung dagegen ist, er sich aber nicht daran orientiere sondern an der Schlüsselrolle der Automobilindustrie. Der parteiübergreifende Konsens ist irritierend und Kretschmanns Begründung, der Vorzieheffekt sei beabsichtigt kann in vieler Hinsicht kaum überzeugen. Zum Kauf sollen durch hohe Prämien grade diejenigen veranlasst werden, die derzeit Kaufzurückhaltung an den Tag legen - darauf zu setzen, dass die Konsumenten dann nicht nur ihre Kaufzurückhaltung bezüglich Automobilen aufgeben, sondern insgesamt der Anreiz Geld auszugeben sich erhöht ist verwegen. Die Hoffnung auf die positive Wirkung der Kaufprämie schmeckt nach Verzweiflung. Wenn denn jemand einen Nutzen von der Kaufprämie hat, dann diejenigen, die sich den Kauf auch ohne Prämie leisten könnten - aber das kann der Automobilindustrie ja egal sein.   

Auf dem Weg zur Küche um mir einen weiteren Krug Kaffee zu holen komme ich an einem Spiegel vorbei in dem ich mich nicht sehe, als habe das permanente Starren auf Bildschirme mein Spiegelbild gelöscht. Kurz die Hoffnung, ich sei tatsächlich gar nicht mehr da sondern verreist und meine Wohnung verwaist. Dann fällt mein gieriger Blick auf eine Flasche Sangrita Picante. Hatte ich immer schon so spitze Eckzähne? 

Vielleicht sollte ich weniger SPIEGEL lesen, mir die ZEIT nehmen um mich in der WELT umzusehen...

Interessant finde ich einen Bericht über Corona im Iran: eine andere Herrschaftsform, die der Beitrag mit Recht anprangert. Doch sowohl die Methoden der Eindämmung, die anfängliche Unterschätzung der Bedrohung, die Dankeshymnen an das Pflegepersonal, das Eigenlob des Staates, der Konflikt zwischen Ökonomie und Infektionsschutz, das Prinzip der schrittweisen Öffnung, die Kaufzurückhaltung der Menschen und das wachsende Misstrauen der Bevölkerung ähneln dem, was man in Deutschland kennt. Die Corona-Krise führt zu einem Wettbewerb der politischen Systeme: welches System kann die erfolgreiche Wiederherstellung der Volksgesundheit als seinen Verdienst buchen? Das erinnert an Zeiten des Kalten Krieges, in denen der Leistungssport die Arena war, in der die Systeme ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellten. Derzeit ist objektiv nicht zu erkennen, dass ein Zusammenhang besteht zwischen Staatsform und effizientem Infektionsschutz. Klar ist nur, dass die ärmsten Länder diesen Wettbewerb der Systeme nicht bestehen können - denn beim Gewichtheben im Superschwergewicht kann ein Langstreckenläufer nicht bestehen.

Schließen sich jetzt auch die Virologen und Mediziner den Verschwörungstheoretikern an? "Virologen und Mediziner fürchten in der Corona-Krise um ihre Meinungsfreiheit" (Welt.de, 12.05.2020). Der Artikel befasst sich mit den Ergebnissen einer Befragung von 178 Experten aus den Bereichen Virologie, Immunologie, Hygiene, Innere Medizin und Intensivmedizin. 82% der Befragten vermisst Ausgewogenheit der Berichterstattung in den Medien, "ein Drittel sieht sogar die freie Meinungsäußerung in der Wissenschaft bedroht." Wer hat die bloß unterwandert? Xavier Nadoo? 

Auch der Fraktionsvorsitzende der SPD antwortet auf die Frage nach seiner Position in Sachen Impfschutz: es gibt keinen Grund davor Angst zu haben. Schon habe ich Angst.

Vor einigen Wochen orakelte ein AfD-Mitglied - auf sinkende Umfragewerte angesprochen - "Warten wir mal drei Monate ab." Wes Geistes Kind der Abgeordnete ist zeigt ein Beitrag von Alisa Keil ("Umsturzpläne rechtsextremer Sicherheitskräfte", zdf heute, 16.04.2020) über rechte Staatsfeinde mit konkreten Umsturzplänen in der Polizei und der Bundeswehr: "Der´Tag X´ist ein fester Begriff in der rechten Szene. Damit ist der Moment gemeint, in dem der Staat in einer Krise die Kontrolle verliert und rechte Kräfte die Macht übernehmen oder ungestört mit ihren Feinden abrechnen können.(...)Bis vor kurzem galt der Ausruf als Hirngespinst, das im demokratischen Deutschland gar nicht eintreten kann. Doch die aktuelle Lage weckt bei Innenexperten wie Martina Renner, Die Linke, ungute Gefühle: `Ein Traum - aus Sicht rechter Umstürzler. Ich kann mir manchmal gar nicht vorstellen, dass die noch ruhig sitzen können.`" Von den drei Monaten sind zwei Monate vorbei - Existenzängste nehmen zu, angesichts des Ausmaßes der bevorstehenden weltweiten Rezession, das von Tag zu Tag größere Dimensionen annimmt als türme sich am finsteren Horizont ein Ozean zu einer Welle auf, mehren sich Befürchtungen von Experten und Politikern, das Schlimmste stehe noch bevor. Massenarbeitslosigkeit, einbrechende Exporte, zweite Infektionswellen, Niedergang von Schlüsselindustrien - die Nervosität der Regierungsparteien, der Opposition und der öffentlich-rechtlichen Medien angesichts des wachsenden Protestes gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Infektion ist angesichts dieser Szenarien verständlich. Hinter der Angst vor dem Kollaps auf dem Arbeitsmarkt und ganzer Branchen tritt eine tiefere Angst hervor: vor einer zunehmenden Instabilität des politischen Systems. Um so wichtiger wären vertrauensbildende Maßnahmen, die sich nicht in Krediten und Förderungen für Unternehmen und Institutionen erschöpfen,  sondern in die Bevölkerung hineinwirken - man muss sich ja nicht gleich am Schwedischen Modell orientieren, aber möglicher Weise an der Art und Weise wie insgesamt die skandinavischen Regierungen mit der Bevölkerung kommunizieren (inklusive Auftritten in Jeans und Pullover). Mehr Dialog mit den Bürgern, statt Anordnungen und Erklärungen von der Kanzel und fachsimpelnde Eliten in Talk-Shows täte not (...muss man aber wollen und können...).  

Wenn es denn hilft...Gilead, Börsenliebling und Preistreiber, kann jetzt seinen Ebola-Rohrkrepierer und Ladenhüter Remdesevir unter die Leute bringen. Die gute Nachricht ist, dass es wohl wirkt. Die schlechte Nachricht ist, dass Gilead profitiert. 

Der Medienstar des Tages: der CDU-Abgeordnete Armin Schuster. Bei Phoenix-der Tag äußert er sich zur Alternativlosigkeit einer paternalistischen Führung in Krisenzeiten, im Frontal21-Beitrag "Munition für Rechtsaußen" stellt er sich schützend vor Elite-Soldaten mit Zugriff zu Munition und extremistischem Hintergrund, im ZDF heute-journal äußert er sich zum Thema Grenzöffnungen. Mal mit, mal ohne Pferdeschwanz. Also Live und als Konserve. 

"Xavier Nadoo ist aus einem Labor in Wuhan geflohen." Das finde ich glaubhaft. 

Die Glaubhaftigkeit von Informationen wird demnächst von facebook und Twiiter gefiltert: wie schön für den unabhängigen Journalismus. 

Abstand halten bei Ryanair: eine Aufforderung und ein Widerspruch an sich. 

Dass Jens Spahn sich vehement gegen verstärkten staatlichen Einfluss im Gesundheitswesen ausspricht entlockt einem nur noch ein müdes: jaja, ebenso wie der obligatorische Verweis auf die Schwächen des Gesundheitssystems in Großbritannien. Das Lied vom Staat als schlechtem Unternehmer zu singen auf Basis eines Misstons ist etwa so, als ob eine einzige Unternehmenspleite Argument für eine Verstaatlichung aller Betriebe wäre. Wenn sich die Regierung permanent lobt für ihr erfolgreiches Vorgehen in einer nationalen Krise lobt sie sich für unternehmerische Tugenden, dann ist die Misswirtschaft eines anderen Staates im Gesundheitswesen kein Beleg für zwangsläufiges staatliches Scheitern bei der effizienten Führung von Gesundheitsbetrieben. Schließlich ist Deutschland im Krisenmanagement soooo viel besser... 

Deutschland - vom Export zum Expertweltmeister. Markus Lanz - immer die selben Visagen bringen miese Quoten (Drosten? Wer war Drosten?) - hat einen neuen Virologen ausgegraben. Martin Stürmer weist darauf hin, dass das Infektionsschutzgesetz auf Freiwilligkeit baut...solange sich genügend Freiwillige finden. 

Lanz, der offenbar immer noch Boris Palmers Äußerung für nachdenkenswert erachtet, erweist sich damit als Anhänger von einem Vorbild das er nicht kennt. Winfried Kretschmann hat da einen anderen Bildungshorizont. Befragt zur Casa Palmer äußert er: "Wir leben in einer Gesellschaft, die geprägt ist von Kant - nicht von Jeremy Bentham." Hoffen wir dass dem so ist (und dass die Abwrackpämie verworfen wird). 

Gehe jetzt ohne Zwang schlafen.

 

 

55. 11. Mai 2020

Gratulation zum 300sten Geburtstag, Freyherr von Münchhausen. Und die Maske macht sicher.

Ich müsste lügen, wenn ich das Gegenüber des Artikels "Mehr als 200 Corona-Fälle in Fleischfabrik" und der Glosse "Gefährliche Wucht" auf der Titelseite der Hauspostille der RWE und der Sparkasse Essen nicht als unpassend empfinden würde. Die Glosse kritisiert das Verhalten mancher Demonstranten bei den öffentlichen Protesten gegen die Corona-Maßnahmen, durchaus zu Recht. Angesichts der (schon vor Corona) skandalösen Arbeits- und Wohnbedingungen in den Schlachthöfen von Westfleisch ("Der Betrieb sei aufgrund sichtlich unzureichender Vorsichtsmaßnahmen zu einer erheblichen epidemologischen  Gefahrenquelle nicht nur für die Belegschaft geworden.") wäre es angemessen, diese Auswüchse von Profitgier an den Pranger zu stellen. Stattdessen bedient die Glosse das Mantra, es liege vor allem am Wohlverhalten der Bevölkerung wie sich das Infektionsgeschehen entwickele. Von den Arbeitsbedingungen in den Betrieben und Großraumbüros liest man (allzu) wenig. Die Schlachtbetriebe von Westfleisch: wirklich nur die unrühmliche Ausnahme, die die Regelkonformität bestätigt?    

Heinz Hilgers, der Präsident des Kinderschutzbundes, stellt lapidar fest, dass der Aussage "Kinderarmut in Deutschland sein eine Schande" (Angela Merkel) die Tat folgte, 1 Milliarde € für drei Jahre zur Bekämpfung von Kinderarmut bereitzustellen - für 3 Millionen von Armut betroffene Kinder. Angesichts von Billionenbeträgen zur Stützung der Wirtschaft sei klar, wo die Prioritäten gesetzt werden. Arme Kinder... 

Bundespressekonferenz: Mal sehen ob irgendeine der gestellten Fragen beantwortet wird. Diejenigen von Herrn Jung ganz bestimmt nicht. Wenn Verschwörungstheoretiker Futter suchen für ihre Erzählungen werden sie bei der BPK fündig. Je bohrender die Nachfragen werden, desto intransparenter und vager werden die Repliken und desto abweisender ist die geduckte, gedrungene, feindselige Haltung der Regierungsvertreter. Das gilt für Nachfragen zu den Konsequenzen aus den Infektionsausbrüchen in Schlachtbetrieben ebenso wie zu den Ergebnissen der Überprüfung der Arbeitsbedingungen von Erntehelfern und der Haltung der Bundesregierung zu den lebensgefährlichen Bedingungen in Flüchtlingslagern. Diese defensive Haltung bietet Nahrung für Legendenbildungen, die Verschwörungstheoretikern durch Transparenz entzogen werden könnte. Aus Intransparenz, Verschleierung und bewusstem Missverstehen von Fragen speist sich der Verdacht einer Hidden Agenda. Gereizt ist mittlerweile auch die Atmosphäre unter den Pressevertretern. Unterschiedliche Auffassungen zur Bewertung und zum Umgang mit Großdemonstrationen führen zu Disputen, zur Rolle der Springer-Presse in Sachen Humusbildung für Verschwörungstheorien und zu einer Stellungnahme befragt, verweist die Bundesregierung süffisant darauf, dies solle die freie Presse intern diskutieren. Deren zunehmende Ungeduld und Missmut äußert sich auch in der Anzahl von nachfassenden Fragen und der Dauer der BPK, die die Sendezeit von Phoenix überschritt.

Man sollte ja meinen diese Branche habe grade jetzt keine Probleme, aber: "Deutsches Bestattungsgewerbe fordert Staatshilfe" (SPON, 11.05.2020). Grund ist die Überflutung des Marktes mit Discountsärgen aus Osteuropa und die geringe inländische Produktion. "In Osteuropa produzierte und palettenweise gelieferte Massenware hat dem Stellenwert des Sarges in den letzten Jahren zugesetzt." (Jürgen Stahl(!), Vorsitzender des Bundesverbandes für Bestattungsbedarf). Wie systemrelevant sind Särge? Und sind Särge aus Holz inklusive deren Verbrennung im Zeitalter verhängnisvoller Rodungen unter Gesichtspunkten des Klimaschutzes überhaupt vertretbar? Meine Güte...selbst Fischfilets werden mittlerweile in recyclebaren Bassins aus Presspappe angeboten. Man muss nicht für jeden Toten einen Baum fällen oder Europaletten opfern.

Wer an sich selbst eine übermäßige Affinität zu Verschwörungstheorien diagnostiziert (sich zum Beispiel bei der Online-Bestellung eines Buches des großen Austauschers Renaud Camus ertappt), dem sei als Gegenmittel ein Besuch der Plattform correctiv.org empfohlen. Informativ und lehrreich ohne belehrend zu sein. Man kann natürlich auch ferngesteuert bleiben - ob man der Überzeugung ist, eine Theorie sei dann wahr, wenn sie möglichst weit vom mainstream entfernt ist oder der Überzeugung ist, eine Theorie sei dann wahr wenn die Mehrheit von ihr überzeugt ist: in beiden Fällen hat man sich bequem in der Gedankenlosigkeit eines Schafes eingerichtet.  

Robert Habeck setzt in einem statement zu den anschwellenden Gesocksgesängen "antidemokratisch" und "antistaatlich" gleich. Dem etwa muss man nicht zwingend folgen.

Beklagt wird allenthalben - nicht nur zu Coronazeiten - die drohende Spaltung der Gesellschaft (noch gestern von Jens Spahn im heute journal). S(k)epsis ist angebracht, wenn der Dämon der Spaltung heraufbeschworen wird um soziale und politische Homogenität zu erreichen. Thomas Fischer hat hierzu eine Kolumne verfasst, deren Schlussfolgerung bereits in der Überschrift formuliert ist: "Besser gespalten als geheilt." (SPON, 17.02.2020). Alpha und Omega des Beitrags seien zitiert, alles dazwischen ist unterhaltsame und spitzfindige Delikatesse fürs Gehirn: "Wer immer von den Kanzeln des Wohlklangs dem Volk predigt von der Schrecklichkeit der Spaltungen und der Sehnsucht nach ihrer Überwindung im großen Ganzen, mag sich deshalb gelegentlich fragen (lassen), ob er am Ende das Geschäft des Teufels besser betreibt als dieser selbst." Zuviel Einigkeit ist zwiespältig.

Die Lockerungen erscheinen nicht allen als besonders verlockend. Die Wiedereröffnungen z.B. von Geschäften und Freizeiteinrichtungen sind mit teils neuen Auflagen und Verhaltensregeln verbunden, die den Eindruck von Zwanglosigkeit gar nicht erst aufkommen lassen. Zwar ist die tracing-app noch nicht da, dafür sind Besuche in Gaststätten und Fitnessstudios nur im Tausch gegen die Weitergabe personenbezogener Daten erlaubt. Die Rücknahme von Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie erzeugt weitere Reglementierungen. Gleichzeitig verfestigt sich hier und dort der Eindruck, dass Unternehmen Forderungen stellen können ohne dass sie ihrerseits von der Regierung gefordert werden - lediglich Bernd Riexinger von den Linken äußerte sich heute angenehm angewidert zu der Bemerkung aus dem Verband der fleischverarbeitenden Industrie, man müsse die Arbeiter in Sammelunterkünften unterbringen weil sonst die Kosten zu hoch wären. Nicht nur Intransparenz bereitet extremen Kräften den Boden, sondern auch der Eindruck, es werde mit zweierlei Maß gemessen: Unternehmen werden subventioniert und die Bevölkerung reglementiert. Wenn die Systemrelevanz der Individuen nur noch darin besteht Anweisungen zu befolgen, dann neigen sie selbst gegen besseres Wissen zum Schulterschluss mit Esoterikern, Geisterheilern und Reichsbürgern, weil sie meinen so Gehör zu finden. Außerparlamentarische Oppositionen vereint zu Beginn selten das, wofür sie sind sondern das, wogegen sie protestieren. Ideale Schwungmasse für Verlocker.   

Heute öffnen die Kneipen und Restaurants. Ich bleibe zu Hause. Nie war ich so wenig neugierig wie heute. Selbstoptimierer laufen sich seit Mitternacht vor den Muckiebuden auf der Stelle warm, heute Abend treffen sie sich zum Austausch über Superfood und Ausdauerdaten auf ein alkoholfreies Weizen in der Systemgastronomie, wo Kneipenbesitzer mit Schweißermaske für gute Laune sorgen. 

Dass aggressive Akte gegen Vertreter der Medien durch nichts gerechtfertigt sind darüber muss man nicht diskutieren - dennoch sollte man die Frage nach den Gründen dieser Aversion stellen, was merkwürdiger Weise nicht geschieht, auch nicht in den Medien, die Ziel von Anfeindungen und Übergriffen sind. Woher diese Wut? Würde die Frage gestellt werden, so würde sie von Experten diskutiert, die den sozialen und wirtschaftlichen Abstieg ebenso wenig zu fürchten haben wie diejenigen, die über Einschränkungen und Lockerungen befinden. Der Neid der Besitzlosen wird geschürt, wenn Privilegierte ihnen Zwänge auferlegen. Das ist keine Rechtfertigung für zornige Ausfälle, möglicher Weise aber eine ihrer Ursachen. 

Pellkartoffeln mit Salz und Butter. Das Lieblingsessen von Dagobert Duck. Ich verfüge nicht über gefüllte Geldspeicher, bin trotzdem entzückt. Die Kartoffeln sind al dente. Lecker. Im Bildhintergrund: Hart aber fair. Peter Altmeier per Video, die Fridays for Future-Aktivistin Carla Reemtsma, Katja Kipping, Parteivorsitzende der LINKEN, Sarah Stücker, Eventmanagerin, und Thomas Meyer, Unternehmer, Vizepräsident des DIHK und Präsident der IHK NRW. Das Thema nicht uninteressant: "Der Schock danach - wie kommt die Wirtschaft aus der Corona-Starre?" Kurz zusammengefasst: Altmeier gegen Lastenausgleich ala Adenauer. Kipping verpasst das Argument, dass die heutigen Reichen wohl mehr zu bieten hätten, als 50% des Verkaufswertes durch den Krieg geretteter Häuschen. Reemtsma für radikalen Umbau der Wirtschaft hin zu Klimaschutz. Meyer nicht gegen Abwracksteuer. Die Runde zerfällt in die üblichen zwei Ecken: Wir retten die Wirtschaft mit den Mitteln von gestern für eine bessere Welt von morgen (versuchs mal mit Gemütlichkeit), wir nutzen die Krise als Chance für radikale Transformationen der Wirtschaft (Opposition mit bescheidenen Umfragewerten). Prägnant war die Antwort der Event-Managerin, die sich derzeit mit Spargelstechen über Wasser hält, auf die Frage ob sie hoffe ihre Firma retten zu können: Klar. Nach dem Spargelstechen folgt die Erdbeerernte, dann der Wirsing. Damit enden die Notizen aus der Provinz. Die Sendung hatte das Flair einer Talkshow bei einem Lokalsender, deren zentrales Thema das Rauchverbot in Einraumkneipen ist.

In der Sendung wird gefragt: Menschen halten in der Krise ihr Geld zusammen. Was kann man dagegen machen? Die Kernfrage der Werbung: was unternehmen wir gegen Vernunft?

Themenschwerpunkt in den Tagesthemen ist erneut: Verschwörungstheorien. Dass die Verschwörungstheorien Demokratie an sich als Verschwörung betrachten, die es zu zerschlagen gilt, darauf gilt es hinzuweisen, aber Wasser auf die agitatorischen Mühlen sollte man tunlichst nicht gießen. Die Gleichsetzung von Gegnern des Impfzwangs mit Impfgegnern ist jedenfalls tendenziös und nicht stimmig - wer sich nicht zur Impfung verpflichten lassen will (zumal wenn die Testverfahren für den Wirkstoff beschleunigt werden) demonstriert gegen den Zwang, nicht gegen das Impfen. Über diesen Unterschied hinweg zu gehen diskreditiert Menschen, deren Bedenken nicht von der Hand zu weisen sind und die sie mit Recht äußern. Michael Stempfle vom Südwestdeutschen Rundfunk Rundfunk weist in seinem Kommentar darauf hin, dass die Regierung durch nicht begründete Maßnahmen wie die Fortsetzung des Ein- und Ausreiseverbotes nach Frankreich, aber auch durch indifferente und widersprüchliche Aussagen zum Thema Impfpflicht Anlass genug gebe, auch ohne verschwörerischen Hintergrund Kritik öffentlich zu äußern - zumal, wenn man im Gesundheitswesen arbeitet.

Wie Internet-Unternehmen von Verschwörungstheorien profitieren bringt die Radio-Bremen-Reportage "Rabiat: Infokrieger - Die neuen rechten Medienmacher" auf den Schlusspunkt: "Hass erschafft Reichweite, Reichweite schafft Gewinn" (Guillaume Chaslot). Good night and good luck. 

                                                                              

54. 10. Mai 202

Ruhestörung durch Kirchenglocken. Altes Testament - Neues Testament. Alte Normalität - Neue Normalität. Immer wieder sonntags muss ich an das bahnbrechende Album "Zwei Menschen und ein Weg" von 1973 denken. 

Etwas neidisch macht es mich schon, dass mir nicht folgende Kritik einfiel: "Die einen haben wegen Corona Geldsorgen und Zukunftsangst. Andere kommen mehr herum denn je, treffen ständig interessante Menschen und freuen sich über erhöhte Einnahmen. Da fällt mir zum Beispiel SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach ein.(...)Irritierend ist dabei, dass ausgerechnet Lauterbach zu den härtesten Lockdown-Verfechtern gehört. Keine unnötigen sozialen Kontakte! Andererseits scheint zur Zeit kaum jemand so oft unter Leute zu gehen wie er. Warum bleibt er nicht zu Hause und lässt sich zuschalten? Zumindest für ihn scheint es systemrelevant zu sein, dass er im Studio sitzt." (Harald Martenstein, Tagesspiegel.de, 09.05.2020). Diese Glosse ist köstlich und enthält weitere spitze Bemerkungen zum Thema "Wasser predigen und Wein trinken." Das alles ändert nichts daran, dass Lauerbach mit seinen Warnungen recht haben könnte: bundesweit ist die Reproduktionsrate laut RKI wieder auf 1,1 gestiegen. Muss noch nichts bedeuten, kann aber. 

Zu den Wandergebieten fahren wir durch Vororte, in denen kein Mensch draußen zu sehen ist. Plane einen Bildband: Die schönsten Friedhöfe Deutschlands. 

Im Presseclub geht um das Thema: "Weniger Staat, mehr Eigenverantwortung." Es diskutieren Werner Bartens, Leitender Wissenschaftsredakteur der Süddeutschen Zeitung, Nicole Bastian, Leiterin des Auslandsressorts des Handelsblatt, Anja Maier, Korrespondentin im Parlamentsbüro der taz, und Robin Alexander, stellvertretender Chefredakteur der WELT. Sie parlieren darüber was man den Menschen erlauben darf. Herr Bertens mokiert sich über Zeitgenossen, die Masken nicht über die Nase ziehen und die Runde insgesamt sich über ausufernde Demonstrationen. Der Gedanke, dass die Reaktanz der von Maßnahmen Betroffenen sich nicht auf die Maßnahmen als solche, sondern auf den Zwang beziehen wird nicht geäußert.  Der Zweifel an der Wirksamkeit von Selbstkontrolle entzündet sich gerne an den höheren Sterberaten in Schweden - doch ist nicht zu erkennen dass ein Zusammenhang zwischen der Freizügigkeit, die Schweden seinen Bürgern gewährt und der Ausbreitung der Infektion vor allem in Pflegeheimen besteht. Die Gründe dafür dürften wohl kaum im fehlenden Maskenzwang und der fehlenden Kontaktsperre bestehen, sondern in der Unterschätzung der Gefahr in den auch hierzulande auffallend schlecht geschätzten Einrichtungen der Pflege. Als Argument für die "Fahrlässigkeit" und "Unverantwortlichkeit" (Lauterbach) des schwedischen Modells eignet sich die relativ hohe Letalität nicht. Der Widerstand der sich hierzulande an der Maskenpflicht entzündet liegt im übrigen auch daran, dass sie vorgesehen ist für Situationen in denen der Mindestabstand unterschritten werden könnte - also da, wo der Schutz auch Dritter durch die Maske unzureichend ist, vom eigenen ganz zu schweigen. Es werden Strukturen akzeptiert, in denen wir gefälligst die Ansteckungsgefahr akzeptieren sollen, dort sollen wir uns um einen Schutz kümmern der keiner ist. Nicht den Einzelnen kann abverlangt werden, einen ungeeigneten Schutz dort zu tragen, wo Gefahrenzonen entstehen - es liegt an den Betreibern von öffentlichen Verkehrsmitteln, Supermärkten etc. zu gewährleisten, dass der Sicherheitsabstand garantiert ist. Einkaufen und die Fahrt zur Arbeit sind unvermeidlich - hier bedürfen die Menschen einer funktionierenden Abstandsregelung, nicht einer Anordnung, sich selbst zu gefährden.

Verschwörungstheorien florieren da, wo Maßnahmen unzureichend begründet und kommuniziert, gleichwohl aber von ober herab befohlen werden. Das RKI gerät von Seiten der Wissenschaft in Kritik: es sei verschwiegen worden, dass die Reproduktionsrate bereits vor der Anordnung des lockdown auf etwa 1 zurück ging, der Wert der Infektionsrate sei sinnlos, solange er nichts über die Zahl der tatsächlich Infizierten verrät sondern zum Beispiel durch erhöhte Testzahlen begründet ist. Von Obduktionen sei abgeraten worden, es sei nicht erwiesen, dass die gezählten Toten tatsächlich an Corona gestorben seien, Studien an den Hotspots so wie in Heinsberg hätte im Rahmen seines Auftrags längst vom RKI durchgeführt werden müssen. Kritik an mangelnder Transparenz und schlechter Kommunikation, wie sie in der Kopfzeile dieses Absatzes formuliert wird - kommt vom RKI selbst. So steht es nämlich in einer Handlungsempfehlung für das Vorgehen im Pandemiefall, die das RKI 2012 für die Bundesregierung formulierte (siehe hierzu "Berlin direkt", ZDF, 10.05.2020).

Manaus: Massenbeerdigungen und Massengräber in Brasilien, wo laut Präsident Bolsonaro die Menschen gegen COVID-19 immun sind. Bis auf die Indigenen natürlich.  

In der Tagesschau wird vor der Gefahr gewarnt, dass Verschwörungstheoretiker Einfluss gewinnen, die behaupten, die Pandemie sei bewusst herbeigeführt worden, um die Bevölkerung zu kontrollieren. Ein derartiger Masterplan existiert wohl kaum - dass die Pandemie jedoch instrumentalisiert werden kann, um politische oder finanzielle Interessen zu verfolgen, kann man wohl auch kaum bezweifeln. Man muss nicht blind davon überzeugt sein, dass mit Eindämmung der Infektion auch alle Freiheitseinschränkungen wieder verschwinden.  

Im Überschwang seiner Genesung von COVID-19 greift Wolfgang Kubicki bei Anne Will auf einen Zirkelschluss zurück, der Boris Palmer vor Ehrfurcht erblassen lässt. Die Werksvertragsarbeiter in den Schlachtbetrieben hätten doch sowieso kaum Kontakt zur Außenwelt, verblieben in ihren Unterkünften und können leicht unter Quarantäne gestellt werden. Und wo? In den Unterkünften in denen sie sich auch massenhaft angesteckt haben? Na dann lasst sie fröhlich weiter töten. Die bleiben doch unter sich. Wohl bekomms beim Grillen.

Dann ist da noch das Erfolgsrezept von Malu Dreier zur Bekämpfung der Pandemie: Wir haben den Kopf wieder auf die Füße gestellt. Leider bin ich kein Yogi.

Fußballbundesliga. Ich kann es nicht mehr hören.

Zur Wiederbelebung der Sexarbeit empfehlen wir: Sexyglas.

Heute ist Muttertag. Demnächst ist jeden Tag Muttertag. Fast 100% der erwerbstätigen Männer arbeiten in Vollzeit, die Mutter soll wieder mehr Mutter sein. Und in Teilzeit im Homeoffice arbeiten. Mit Küchenschemeln als Bürostühlen.

Klara Mosch. Land Art als Vorwegnahme von verheerenden Stürmen zerstörter Baumreihen. Es ist zu still draußen, keine natürliche Stille, die Stille nach einem Desaster. Zurückgeworfen auf mich selbst, letzter Mensch der Welt, überwältigen mich Kindheitserinnerungen. Zinkbadewannen im Garten, gefüllt mit kaltem Wasser aus dem Gartenschlauch. Mein Vater und ich in der Wanne, in zu weiten Schießer-Unterhosen. Mit dem Gefühl alles verloren zu haben verkrieche ich mich ins Bett, werde körnige Farbbilder träumen, verwackelte und unscharfe Super-8-Filmchen, undeutliche, aber ungetrübte Freude und Neugier auf das, was mich erwartete. Erinnerungen an gespannte Vorfreude und das erste Mal freihändiges Radfahren.

 

53. 9. Mai 20

"Das Cafe Corona öffnet wieder. Giuseppe, der Betreiber, trägt eine Staubmaske. Ich frage ihn was denn los war. Er zuckt mit den Achseln. ´Ich weiß nicht. Lag plötzlich flach mit 39 Grad Fieber. War wohl die Grippe.` Ich nippe an meinem Grippa, zögere mit der Nachfrage, bis die Neugier überwiegt:  `Und die Maske? Trägst Du die zu Deinem Schutz oder dem Deiner Gäste?`. `Weder noch. Hab Heuschnupfen. Außerdem ist Scirocco.`. Ich nicke, bin aber nicht beruhigt. Zwei Trauermärsche zogen gestern durchs Dorf, das ist ungewöhnlich und nur durch ein hohes Sterbeaufkommen erklärbar. Traue mich nicht nachzufragen. Aus einer Laune heraus schreibe ich eine e-mail an meinen Stalker, frage Ihn, oder Sie oder Es, ob Ihmsies eine bessere Erklärung einfällt. Zu meiner Überraschung wird die mail zugestellt und ich erhalte eine prompte Antwort, eine Aufforderung, mit der ich nichts anfangen kann: `Plexiglas  kaufen!`."

Auf der Tür einer Eckkneipe die Ankündigung: `Wiedereröffnung am 11. Mai. Zutritt nur mit Mund-Nasen-Schutz!`...Und dann?

Fast schon putzig tönt Clemens Tönnies (Fleischfabrikant und Schalke-Krassist) im Westfalenblatt: "Alle Schlachthof-Mitarbeiter würden unter Generalverdacht gestellt. Jetzt so zu tun, als wenn das Risiko bei den Schlachthöfen liege sei unredlich." Karl-Josef Laumann hat sich vornehm ausgedrückt, als er klarstellte, die Schuld liege ausdrücklich nicht bei den Mitarbeitern, das Problem habe systemische Ursachen. Nicht die Mitarbeiter stehen unter Verdacht, sondern die Betreiber. Zudem: das Risiko liegt bei den Schlachthöfen. Mit Ausnahme des Landkreises Greiz sind in allen anderen Landkreisen 50+ Covid-19 Ausbrüche in Schlachtbetrieben die Ursache für das Überschreiten des Grenzwertes. 

Auch Magie scheint dem Virus nicht beizukommen: mit 75 Jahren starb Roy Horn von Siegfried und Roy an COVID-19.

Grillen im Garten. Für ein vorwitziges Eichhörnchen unserer Laune eine Schale voller Walnüssen, von der es sich bedient. Fackeln brutzeln auf dem Rost, wir trinken Riesling und genießen die Nachmittagssonne. Alles ist merkwürdig, sagt unbehaglich ein Freund. Aber ich kann es nicht benennen. Meere ziehen sich von Ufern zurück. 

Ich schwöre: ich werde nie bei Rot über die Straße gehen, wenn weit und breit kein Auto zu sehen ist. Ich schwöre: wenn ich nachts alleine in der U-Bahn unterwegs bin trage ich zum Schutz meines Spiegelbildes im Fenster Mund-Nasen-Schutz. Ich schwöre: Am Samstag fiebere ich mit bei einem Geister-Derby. Ich verschwöre: nie werde ich Zweifel an Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit von Einschränkungen der Grundrechte äußern, denn ich bin weder rechtsradikal, noch Verschwörungstheoretiker. 

Um eine Abwägung zwischen Freiheitsrechten und Infektionsschutz vorzunehmen muss man weder Jurist, noch Landrat, noch Mitglied beim Ethikrat sein. Es bedarf dazu keiner Qualifikation, keines Doktortitels und keiner Dauerkarte als Gast einer Talkshow. Jeden, der bei einer solchen Abwägung zu anderen Ergebnissen kommt als es den angeordneten Maßnahmen entspricht in die Ecke gefährlicher Spinner zu rücken ist ebenso unangemessen wie die Unterschreitung des Mindestabstandes bei Demonstrationen gemeingefährlich ist. Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit sind ein hohes Gut, sie so auszuüben, dass man das Leben anderer gefährdet ist schlicht kriminell, nicht nur in Krisenzeiten. Noch dazu ist es wenig zielführend, gegen die Einschränkung von Freiheitsrechten in einer Art und Weise zu demonstrieren, die im Ergebnis eine Verschärfung genau dieser Maßnahmen provoziert. Das ist das Geschäft der AfD: Freiheit fordern um Unfreiheit hervorzubringen. Die AfD setzt nicht etwa auf den verantwortungsvollen Umgang der Menschen mit der Gefährdungslage, sie setzt auf das Gegenteil, denn ein zweiter lockdown würde die Regierung schwächen. Das - und nicht mehr Freiheit - ist das Ziel der Reaktionären.

Ich gratuliere Elron Murks und Grimes zur Geburt eines Passwortes, und gebe es in das Notebook meiner Träume ein. Access denied. Also schlafe ich traumlos. 

 

52. 8. Mai 2020

Zum ersten Mal seit Monaten steht Corona nicht an der Spitze der der Nachrichtencharts. Das Ende der einen Katastrophe verdrängt den Beginn der anderen Katastrophe vom Platz an der Schwarzen Sonne. Heute vor 75 Jahren endete der zweite Weltkrieg. Kein Grund zum Feiern, sondern zum Gedenken. Heiko Maas schlägt nicht ungeschickt einen Bogen von der historischen Schuld der deutschen Nation zu einer besonderen Verantwortung Deutschlands bei der Bekämpfung europäischer und globaler Krisen. Vor 75 Jahren war Deutschland die globale Pandemie, die Tod und Leid über die Welt brachte, daher soll Deutschland eine Vorreiterrolle bei der Eindämmung der aktuellen Pandemie und bei der Abmilderung ihrer Folgen insbesondere in Europa übernehmen. Kurz zuckt da der Satz auf: Am deutschen Wesen soll...aber ich verbiete mir den zu vollenden.

Bundesweit stärkster Rückgang der deutschen Exporte seit 1990. Beinahe erleichtert nimmt man dies als vergleichsweise glimpfliche Entwicklung zur Kenntnis. Immerhin heißt es mal nicht "seit Beginn der Aufzeichnungen". 1990 haben wir doch gar nicht gespürt, oder? Man frage nach in den Neuen Bundesländern.

Die Bekämpfung der Pandemie abzulösen von den Gründen ihrer weltweiten Verbreitung wäre ein Herumdoktorn an Symptomen. Industrien, die globale Lieferketten erfordern und eine weltweite Verbreitung von Viren fördern sind auf ihre Zukunftsfähigkeit hin zu überdenken. Sollten sich die Konsumenten aller Länder dahingehend vereinigen, dass es zu Umbewertungen dessen kommt, wofür Menschen weltweit zu bezahlen bereit sind, könnte den Konsumenten das gelingen, woran alle Revolutionen scheiterten - die Etablierung einer Ökonomie, die sich stärker an den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen orientiert als an Strategien der Erzeugung von Bedürfnissen. Die Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft - falls es eine solche dann tatsächlich gibt - bestünde darin, die sozialen Folgen der ökonomischen Umwälzungen abzufedern. Der Rückgang von Schadstoffbelastungen in der Atmosphäre und im Wasser sollte als erster (wenn auch unfreiwilliger) Schritt hin zu Abmilderung der schon jetzt spürbaren Folgen des Klimawandels verstanden werden, der keinen Rückschritt erlaubt, will man nicht sehenden Auges in eine weitere Katastrophe marschieren, gegen deren Folgen weder Medikamente, noch Impfungen helfen.  

Die permanente Statik des Sender-Empfänger-Verhältnisses, das Verharren auf der Besatzungscouch vis-a-vis den Moderatoren, Tagesschausprechern, Politikern, Journalisten, Virologen, Betroffenen, Verbandschefs, deren Interpretationen des Geschehens das Geschehen selbst verdrängen, die Kondensation von Millionen Menschen zu Quecksilbersäulen in Politbarometern führt zu einer geistigen Erstarrung, die sich sukzessive sprachlich niederschlägt in Nachahmungen des glattpolierten Stils von Feuilliton-Kommentaren. Man tappt hinein in die klebrige Fliegenfalle der Synchronisation der Prophezeiungen der Experten jenseits der vierten Wand und der eigenen Befürchtungen. Eine Bunkermentalität macht sich im Gehirn breit, ihr entspricht die Isolation von der Außenwelt, das Leben aus Konserven, der Geruch kalten Zigarettenrauchs, die Ödeme unter den Augen, Symptome angestrengten Beobachtens und durchwachter Nächte. Jetzt ist Sendepause, Affenstillstand. In den Fernsehprogrammen des heutigen Tages keine Spur von Lanz, Illner, Will und Maischberger, nicht mal von Unter den Linden. Der Tag der Lockerung, mit Bedacht gewählt, die Große Freiheit vor dem Sich-Besinnen auf das Ende des Krieges und die Schönheit des Deutschen Waldes, der bald von Stürmen zerzaust, notgefällt, kahlgeschlagen und durch Pinien ersetzt wird. Was tun mit diesem Tag? Die Balkontür öffnen und eine Hose anziehen wäre ein Anfang, vielleicht in umgekehrter Reihenfolge.  

Ganz ohne Pressekonferenz kommt man dann doch nicht durch den Tag, schon gar nicht ohne Jens Spahn. Bei der Pressekonferenz des Saarlands teilen sich Musterschüler Tobias Hans, der aus seinem Strebergarten ans Rednerpult geeilt ist, und der omnipräsente Jens Spahn die Poleposition im Blitzlichtgewitterchen. Dass der Anblick von Jens Spahn irritiert liegt daran, dass er beim simulierten Zuhören den Kopf schief legt wie ein Vogel. Ein sehr großer Vogel. Ein Seuchenvogel. Der Vogel Roch aus der Hyäne...Hygienemythologie. Dazu passt seine tagtägliche Präsenz beim Sender Phönix, der sich aus deutscher Asche finanziert. 

Ich checke mein sprachliches Inventar. Ein paar neue Wörter. Glutnester. Remonstrationsfreiheit. Nowcast. Sonst - nach einer ersten Überprüfung - noch alles da. 

Um den schlappen Faktor 18 lag Boris Palmer bei seinem Verweis auf die Lebenserwartung der COVID-Kranken falsch, die ohnehin nur noch ein halbes Jahr zu leben hätten. Die Lebenserwartung von an COVID-19 Verstorbenen hätte laut einem Bericht auf Tagesschau.de vom 08.05.2020 ("Neun Lebensjahre verloren", Björn Schwentker und Jan Lukas Strozyk, NDR) bei 9 weiteren Jahren gelegen. Es ist mir angenehm, dass Boris Palmer nicht mehr nur als menschenverachtend dasteht, sondern als menschenverachtend und deppert.    

Schon wieder ein Überbietungswettbewerb, diesmal auf Kreisebene. Kaum ist die "Notbremse" verabschiedet, überschreiten die ersten Landkreise die 50. In Coesfeld erweisen sich gleich 129 Beschäftigte eines Schlachthofs als infiziert. Der Landrat sah keinen Anlass, den Betrieb zu schließen mit dem Argument dieser sei für den Landkreis Coesfeld systemrelevant - soviel zum Vertrauen in die Urteilskraft und die Prioritäten der Verantwortlichen vor Ort. Der Gesundheitsminister von NRW, Karl-Josef Laumann veranlasste die Schließung des Betriebes, sowie Tests für sämtliche Beschäftigte der Fleischereibetriebe in NRW, dazu die Prüfung der Arbeitsbedingungen und der Unterbringung zusammen mit dem Arbeitsschutz. Dass die Gründe für billiges Fleisch unappetitlich sind, was die Arbeitsbedingungen, die Löhne, die Unterbringung der Werkvertragskräfte und den Umgang mit den Tieren betrifft, kann niemanden überraschen. Wenn die Begebenheiten in Coesfeld einen Nutzen haben, dann den zu zeigen welchen hohen Preis billiges Fleisch hat. Dass es gelingt, die Infektionswege von mindestens 129 COVID-19-Infizierten noch rechtzeitig genug nachzuvollziehen, um eine weitere Ausbreitung zu verhindern, übersteigt meine Vorstellungskraft.   

In der halben Einkaufsmeile meiner Stadt ballen sich die Menschenmengen wie auf dem Cover der Grandmaster Flash LP mit dem Track "The Message". Auf den ersten Blick ein Indiz für die Kauflust der Konsumenten - tatsächlich ist die Fußgängerzone so voll, weil die Geschäfte in Folge der Abstandsregeln so leer sind. Die Menschen verteilen sich nicht wie vor der Epidemie auf die Kaufflächen, sondern konzentrieren sich in der Vorhölle der Fußgängerzonen. 

Böse vor acht: Ungeheuerliche Ideen bestimmen die Diskussionen in der EU, die schon vor der Krise gut gewesen wären, aber nun durch den Kaufstreik der Konsumenten ernsthaft erwogen werden - zum Beispiel die Einführung eines europäischen Mindestlohns. Massive Kreditaufnahme in Billionenhöhe für gemeinsame Konjunkturprogramme. Die Verwendung der Mittel aus dem ESM werden keiner genauen Überprüfung unterzogen. Die wichtigste Währung wird das Vertrauen der Konsumenten. Arbeits- und Gesundheitsschutz avancieren zu einem systemrelevanten Themenfeld. Wird dies ernst genommen, wird fortan das Modell der Rationalisierung durch Einsparungen von Lohnkosten und beim Arbeits- und Gesundheitsschutz als in jeder Hinsicht ungesund erachtet. Unternehmen können sich die Fokussierung auf Vierteljahresberichte und Shareholder Value nicht mehr leisten. Sollte die Marktwirtschaft am Ende wirklich sozial werden? Vielleicht erleben wir das Ende der Massengesellschaft, der Massentierhaltung, des Massenwahns, der Megacities, der Massenhysterie, der Massenvernichtungswaffen?

Während ich von einer besseren Welt träume patrouillieren Deutsche Grenzbeamte in Schengen. SeniorInnen erleiden Paniokattacken bei diesem Anblick.

Dank funktionierender Propriozeption - Beitrag zu dieser gemeinhin 6. Sinn genannten Fähigkeit morgen auf ARTE - schaffe ich es ins Schlafzimmer ohne den Mindestabstand zum Türrahmen zu unterschreiten.

 

51. 7. Mai 2020

"Alle Macht geht vom Virus aus" (Slogan auf einem Mund-Nasen-Schutz, bemerkt im Öffentlichen Personencoronahverkehr)

Es gibt immer etwas worüber und worauf man sich freuen kann. Mitten in der Trauerrede Wolfgang Schäubles zum Tod Norbert Blüms die Huldigung der unver`blüm´ten Sprache des Verstorbenen. Ein Grund für Heiterkeit mitten im traurigen Anlass, in diesem Fall kein Zynismus, weil diese Komik den Verstorbenen angemessen würdigt. Wichtiger als das Sich-Erfreuen an einem akuten Ereignis ist die Vorfreude. Sie ist Ausdruck von Hoffnung auf die Zukunft. Ich freue mich auf den neuen Banksy, auf den ich so ungeduldig warte wie als Kind auf das neue Asterix-Heft. Das Außergewöhnliche der Situation ruft positive Kindheitserinnerungen hervor. Als Kind reagierte man auf dramatische Wendungen mit Staunen und Neugier, ohne sie als Symptom dramatischer und gefährlicher Entwicklung zu begreifen. Eine Flut in den Straßen. Möbel die im Hochwasser trudeln. Eine Radtour auf einer leeren Autobahn. Da ist er, der neue Banksy. Ein Kind, dass seine Superman-Figuren in die Tonne kloppt und in seiner Faust eine Krankenschwester in die Höhe reckt wie die Fackel der Freiheitsstatue. In den Bildrahmen geklemmt ein Dankeschön an das Personal der Klinik, in die Banksy sein Bild hineingeschmuggelt hatte, wohl wissend um die Publicity dieser Aktion und den unschätzbaren Wert des Bildes als Kapitalanlage für das Krankenhaus.

Banksies Zeichnung ist ein McGuffin für den Verstand. Das Bild als Bilderrätsel. Wie hat er das Bild unter Wahrung seiner Anonymität in der Klinik platziert? Der Ort der Hinterlassenschaft, das Publikum, das adressiert wird, die Erzeugung der öffentlichen Aufmerksamkeit sind Teile des künstlerischen Planspiels, das zugleich politischer Kommentar und ein social hack ist. Was die Regierung nicht leistet, gewährt Banksy: Anerkennung der Leistungen des Klinikpersonals, die Aufwertung seiner Bedeutung und nicht zuletzt eine kräftige Finanzspritze.

Banksy ist ein Kunstprodukt aus Mythen. Nicht zu fassen wie Houdini. Spendabel wie Robin Hood. Vielfältig wie ein Chamäleon: Aktionskünstler, Streetartist, Dekonstruktivist, Satiriker, politischer Aktivist. Freue mich auf seine (ihre?) nächste Aktion. Wo wird sie stattfinden? Was wird es sein?

Banksies Werke entbehren nicht der Komik. Man erinnert sich an sein Bild, das sich nach der Versteigerung selbst zerschredderte (...und dadurch im Wert stieg...). Das ad absurdum-Führen der Reduzierung von Kunst auf ihren Vermögenswert führt zur Steigerung des Vermögenswertes, etwa so wie Werbung mit Ikonen der Kapitalismuskritik den Verkauf der `revolutionären` Produkte von Konzernen anregt. Die Komik wird dadurch zur Tragikomik, die in katastrophalen Zeiten Konjunktur hat. Fataler Humor. Der Bericht über "Mehr Tote am Bau" in der WAZ von heute kitzelte ein Kichern hervor, dessen ich mich gleich darauf schämte: die Fokussierung auf das Abstandsgebot führt vermehrt zu Abstürzen der Bauarbeiter von Baugerüsten.  Dachdecker stürzen ab und gehen entzwei (Jakob van Hoddis).

Heute im Bundestag: Die AfD ist für das Schwedische Modell das, was Salomon Kalou für die DFL ist - indem es von dieser Seite gelobt wird, sinkt die Chance, dass man sich mit seinen Vorzügen befasst.   

Kennen Sie auch. Grade wenn der Spielfilm spannend ist wird die erhöhte Aufmerksamkeit des Publikums für eine Werbeeinblendung genutzt. So ist das auch mit Liveübertragungen aus dem Bundestag. Die spannende Debatte zu Kreditvergaben an Konzerne mit Niederlassungen in Steueroasen wird unterbrochen durch eine Schaltung zu Jens Spahn, der sich über das Thema Konversionstherapien auslässt. So sexy wie ein Bildausfall beim Elfmeterschießen. 

Im nächsten Tagespunkt der aktuellen Stunde geht es um einen Deutschen Mittelmeereinsatz. Ich erwartete eine lebhafte Debatte um die Ermöglichung eines Sommerurlaubs in Italien, es stellte sich jedoch heraus, dass es sich bei Eunafor und Irini nicht um touristische Geheimtipps für immunisierte Camper handelt. 

Ohne die Ernsthaftigkeit der Debatten im Deutschen Bundestag in Frage stellen zu wollen drängen sich angesichts des laxen Umgangs der Abgeordneten mit Abstandsregeln bei Abstimmungen und als (Nicht-)Zuhörer im Plenarsaal Zweifel daran auf, ob die Volksvertreter die von ihnen gebetsmühlenartig wiederholte Betonung des Ernstes der Lage selbst begriffen haben. Tuscheln ohne Mund-Nasenschutz, Gedrängel an den Wahlurnen - diese Bilder verstärken nicht nur den Eindruck, die Abgeordneten hielten sich für erhaben über die von ihnen verordneten Regeln, sie zeugen auch von einer ausgeprägten Unbekümmertheit gegenüber dem Umstand, dass ihr Verhalten von Kameras eingefangen wird. Wenn ihnen selbst das egal ist, transportiert dies die Botschaft, auch das Urteil der Menschen, über die sie entscheiden sei ihnen wurscht. Mag auch sein, dass sie die versteckten Kameras nicht realisieren und verinnerlicht haben, dass der Fokus auf dem Rednerpult liegt, welches vor jedem Rednerwechsel sorgfältig desinfiziert wird. Die dekadente Ignoranz, die diese Disziplinlosigkeit derer ausstrahlt, die von anderen Disziplin fordern, erinnert an die Spätphase des römischen Senats. Es ist, als lebt das Parlament, sobald es den von Phönix installierten Überwachungsstaat ignoriert, noch nicht in der selbst verkündeten Neuen Normalität. Einer gewissen Ironie entbehrt es nicht, dass ausgerechnet die Parlamentarier so gründlich überwacht werden, wie sich manche Befürworter eines Seuchenregimentes das für die gesamte Bevölkerung wünschen. Diejenigen, die vor dem Entstehen neuer Hotspots warnen bilden ihren eigenen - man meint, einen bislang unentdeckten Film von Bunuel zu sehen. Vielleicht setzen die parlamentarischen Bengel ja darauf, dass sich für Übertragungen aus dem Bundestag kein Schwein interessiert und sich die Abgeordneten außerhalb von Talkshows im Toten Winkel der öffentlichen Aufmerksamkeit bewegen. 

Einen Spaziergang im Park habe ich mir verdient. Dass ich etwas abschalten muss merke ich, als ich an einem Wagen vorbei gehe, auf dem "Aktienvernichter" steht. Tatsächlich steht dort "Aktenvernichter". Ein Pärchen invasiver Gänse hat Nachwuchs und Hasenbabies hoppeln über eine Wiese voller Gänsekot. Ach - die Natur.  

Ein Aufkleber an einem Laternenpfahl. Eine Zeichnung von Käptn Ahab. Untertitel: All Humans Are Bastards.

Intensivmediziner werden die neuen Medienstars: bei Obduktionen stellt sich heraus, dass viele COVID-Opfer an Thrombose und Embolien verstarben. Beide Symptome sind therapierbar, womit die Behandlung der Erkrankten in den Brennpunkt rückt. Wie man sieht hocke ich wieder vorm Fernseher und über der Tastatur.

Als Lückenfüller zwischen den Corona-Berichten: seichte Lovestories aus deutschen Landen wie "Fast perfekt verliebt" im ZDF. Happy Ends auf Booten mit schwarz-rot-goldener Fahne am Bug, Hafenidylle in braunem Wasser. Werbung für Urlaub in Deutschland. 

Bangladesh: die zweitgrößte Textilindustrie der Welt. Alle Textilarbeiter müssen wieder arbeiten gehen. Ohne Abstand. Ohne Schutz. Maskenzwang als einzige Einnahmequelle. In Deutschland wird in der Bundesliga der Geistermeister ermittelt. 

Ranga Yogeshwar geht davon aus, dass den Lockerungsmaßnahmen in der Bevölkerung der große Leichtsinn folgt. Dies widerspricht seiner eigenen Beobachtung. Den Lockdown, den die Politik beschlossen hat, hat die Bevölkerung schon vor diesem Beschluss vollzogen (wie die Abflachung der Infektionskurve schon vor dem Zeitpunkt zeigt, ab dem die verordneten Maßnahmen Wirkung zeigen konnten). Was spricht dafür, dass die selbe "Weisheit der Vielen" nicht auch jetzt zum Tragen kommt? Yogeshwar geht davon aus, dass die Bevölkerung aus der bisherigen Entwicklung und Berichterstattung nichts gelernt hat, sondern im Gegenteil. Diesen demokratischen Pessimismus teilt er mit anderen Epidemologen und Virologen, was im Widerspruch zum Lob der vorauseilenden Vernunft der Bevölkerung zu Beginn der Pandemie steht. Sie extrapolieren worst-case-Szenarien, die ignorieren, dass Deutschland zur Zeit nicht aus lauter Bundestrainern besteht, sondern aus Epidemologen und Virologen, die sich jeden Morgen zunächst einmal die Infektionsraten im eigenen Landkreis ansehen. Nicht dass ich an die politische Weisheit der Vielen glaube, dennoch bleibt der Widerspruch, in einem Fall die Vernunft der Bevölkerung zu loben und nun von ihrer Unvernunft auszugehen. Zudem bedarf es nicht der Vernunft um sich vernünftig zu verhalten - der Instinkt der Herde für Gefahr könnte effektiver sein.  

Unterschätzt wird neben der Eigendynamik gesellschaftlicher Lernprozesse möglicher Weise auch die Lernfähigkeit der politisch Handelnden. Unterschätzt werden auch die Effekte einer Verlängerung des Lockdowns auf die Reaktanz in der Bevölkerung. Es verdichtet sich der Eindruck eines gewissen Unbehagens der Wissenschaftler aus den Bereichen der Epidemologie und Virologie über die Relativierung ihrer Bedeutung.  

Markus Lanz verwandelt seine Show in eine Variante von "Der heiße Stuhl" auf dem Armin Laschet herum rutscht. Zur Enttäuschung des Moderators verliert Laschet nicht die Nerven. Zwar weiß er im Gegensatz zum Kanzleramtssprecher Herrn Braun bei Illner nicht, wie man auf die Zahl 50 bei der Notbremse kam (es hat etwas mit der Anzahl der der Personen zu tun, deren Infektionsketten ein Mitarbeiter bei einem Gesundheitsamt nachvollziehen kann), aber er fährt nicht aus der Haut und kontert Kritiken recht souverän. Zwar bevorzugt Markus Lanz seinen Namensvetter Söder und überhaupt einen guten Diktator, der durchsetzt was Lanz schon immer für richtig hielt, aber Armin Laschet zu "grillen" gelingt ihm und seinen Gästen nicht. Inhaltlich tragen weder Maybrit Illner, noch Markus Lanz, noch deren Gäste Inspirierendes zum Thema bei.

Eine Ausnahme stellt die Diskussion zum Datenschutz im Zusammenhang mit der Tracing-App dar. Da wundert sich Armin Laschet angesichts der hohen Bereitschaft der Bevölkerung alle möglichen Einschränkungen der Grundrechte klaglos zu akzeptieren über den Widerstand dagegen, das Recht auf informelle Selbstbestimmung aufzugeben. Dabei scheint mir der Grund evident zu sein: die Einschränkungen der anderen Grundrechte wurden als vorübergehend eingestuft und gestatten keine Erstellung eines Persönlichkeitsprofils. Über mich erhobene Daten sind für die Ewigkeit, erlauben die Erstellung von Bewegungsprofilen und verwandeln mich in eine gläsernen Menschen - das gilt nicht nur für digital, sondern auch für analog erfasste Daten beim Friseur- oder Restaurantbesuch. Interessant sind ansonsten die Ausführungen eines Filmproduzenten zu Kussszenen unter Abstandsbedingungen (muss so gemacht werden wie bei Kontaktsportarten. Testen, testen, testen und das ganze Team für die Dreharbeiten unter Quarantäne, woraus man eine Big Brother-Serie produzieren kann). Das verhilft mir zu einem frühen Feierabend. Peter Altmeiers hypnotische Krawatte versetzt mich in den Tiefschlaf noch bevor ich schlafe.